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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Der fünfte Band des Bismarck-Jahrbuchs

das sein, uns auflaufen zu lassen, wie Anno 50 oder wie Rußland in den
Donaufürstentümern. Außerdem können wir so große Anstrengungen nur für
Kriege machen, die die Chance haben, etwas einzubringen" (18. September
1856), während Wentzel einen Einmarsch in Neuenburg wünscht. Ferner mi߬
billigt Bismarck 1859 die Bereitwilligkeit Preußens, Österreich zu Hilfe zu
kommen ("Wir haben zu früh und zu stark gerüstet," 1. Juli), und ist mit
der Zusammenkunft des Prinzregenten und Napoleons III. in Baden-Baden
gar nicht recht zufrieden (16. Juni 1860), dagegen fehr einverstanden, "daß
wir uns in Teplitz zu gar nichts verpflichtet haben" (8. September 1860).
Auch daß der Prinzregent die in Baden-Baden wieder auftauchenden mittel¬
staatlichen Vorschläge einer militärischen Trias "sofort entschieden zurückge¬
wiesen" hatte, meldet Wentzel am 18. Juli 1860 mit großer Befriedigung.

Soviel wurde diesem in Frankfurt immer klarer, daß "es ohne große Er¬
eignisse nicht anders werden wird" (23. Mai 1861). Da aber große Ereignisse
gewöhnlich nur von großen Männern herbeigeführt werden, so hofft er auf
ein Ministerium Bismarck und verzeichnet schon am 12. August 1861 die Nach¬
richt, daß man mit ihm wegen Übernahme des auswärtigen Ministeriums ver¬
handle, wovon dann noch mehrfach die Rede ist. Was er hoffte, fürchteten
andre. "Man scheint jetzt doch in Wien eingesehen zu haben, schreibt Wentzel
am 17. März 1359 an Bismarck nach Petersburg, daß Sie in Petersburg
sehr unbequem (für Österreich) sind," und er schickt ihm zum Beleg einen Ar¬
tikel des Frankfurter "Volksfreundes" voll der heftigsten Anklagen wegen eines
angeblich von Bismarck verfaßten "antinationalen" Pamphlets "Preußen und
die italienische Politik." Später wurde auch gegen seine Versetzung nach Paris
von den Anhängern Österreichs heftig intriguirt (1. Mai 1862).

Wenn dieser Briefwechsel im wesentlichen die deutschen Angelegenheiten be¬
handelt, so umspannen die Gvltzischen Briefe einen weitern Kreis. Denn Robert
von der Goltz, ein entschlossener, hochkonservativer, preußischer Patriot, daher
Gegner der in der "Kreuzzeitung" damals herrschenden doktrinären, nur angeblich
konservativen, thatsächlich ganz unpreußischen Richtung und ein Anhänger von
Nadvwitz, dessen Verlust jetzt "unersetzlich" sein würde (Bries vom 11. Mürz
1850), war vorwiegend Diplomat, seit 1856 Vertreter Preußens in Athen, 1859
in Konstantinopel als "Beobachter des schon einen kadaverähulicheu Gestank
verbreitenden Patienten, der nicht leben und nicht sterben kann" (17. Februar
1860). 1862 Bismarcks Nachfolger erst in Petersburg, dann in Paris, ein
Mann von starkem Selbstgefühl und voller Selbständigkeit des Urteils und ein
scharfer Beobachter.

Die Briefe der ersten Jahre behandeln im wesentlichen Personalfragen;
besonders interessant werden sie aber, sobald Goltz von Paris aus seinem
Minister berichtet. Da tritt der kaiserliche Hof in scharfer Beleuchtung hervor,
namentlich das Verhältnis Napoleons III. zu Marguerite Vellanger, das die


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das sein, uns auflaufen zu lassen, wie Anno 50 oder wie Rußland in den
Donaufürstentümern. Außerdem können wir so große Anstrengungen nur für
Kriege machen, die die Chance haben, etwas einzubringen" (18. September
1856), während Wentzel einen Einmarsch in Neuenburg wünscht. Ferner mi߬
billigt Bismarck 1859 die Bereitwilligkeit Preußens, Österreich zu Hilfe zu
kommen („Wir haben zu früh und zu stark gerüstet," 1. Juli), und ist mit
der Zusammenkunft des Prinzregenten und Napoleons III. in Baden-Baden
gar nicht recht zufrieden (16. Juni 1860), dagegen fehr einverstanden, „daß
wir uns in Teplitz zu gar nichts verpflichtet haben" (8. September 1860).
Auch daß der Prinzregent die in Baden-Baden wieder auftauchenden mittel¬
staatlichen Vorschläge einer militärischen Trias „sofort entschieden zurückge¬
wiesen" hatte, meldet Wentzel am 18. Juli 1860 mit großer Befriedigung.

Soviel wurde diesem in Frankfurt immer klarer, daß „es ohne große Er¬
eignisse nicht anders werden wird" (23. Mai 1861). Da aber große Ereignisse
gewöhnlich nur von großen Männern herbeigeführt werden, so hofft er auf
ein Ministerium Bismarck und verzeichnet schon am 12. August 1861 die Nach¬
richt, daß man mit ihm wegen Übernahme des auswärtigen Ministeriums ver¬
handle, wovon dann noch mehrfach die Rede ist. Was er hoffte, fürchteten
andre. „Man scheint jetzt doch in Wien eingesehen zu haben, schreibt Wentzel
am 17. März 1359 an Bismarck nach Petersburg, daß Sie in Petersburg
sehr unbequem (für Österreich) sind," und er schickt ihm zum Beleg einen Ar¬
tikel des Frankfurter „Volksfreundes" voll der heftigsten Anklagen wegen eines
angeblich von Bismarck verfaßten „antinationalen" Pamphlets „Preußen und
die italienische Politik." Später wurde auch gegen seine Versetzung nach Paris
von den Anhängern Österreichs heftig intriguirt (1. Mai 1862).

Wenn dieser Briefwechsel im wesentlichen die deutschen Angelegenheiten be¬
handelt, so umspannen die Gvltzischen Briefe einen weitern Kreis. Denn Robert
von der Goltz, ein entschlossener, hochkonservativer, preußischer Patriot, daher
Gegner der in der „Kreuzzeitung" damals herrschenden doktrinären, nur angeblich
konservativen, thatsächlich ganz unpreußischen Richtung und ein Anhänger von
Nadvwitz, dessen Verlust jetzt „unersetzlich" sein würde (Bries vom 11. Mürz
1850), war vorwiegend Diplomat, seit 1856 Vertreter Preußens in Athen, 1859
in Konstantinopel als „Beobachter des schon einen kadaverähulicheu Gestank
verbreitenden Patienten, der nicht leben und nicht sterben kann" (17. Februar
1860). 1862 Bismarcks Nachfolger erst in Petersburg, dann in Paris, ein
Mann von starkem Selbstgefühl und voller Selbständigkeit des Urteils und ein
scharfer Beobachter.

Die Briefe der ersten Jahre behandeln im wesentlichen Personalfragen;
besonders interessant werden sie aber, sobald Goltz von Paris aus seinem
Minister berichtet. Da tritt der kaiserliche Hof in scharfer Beleuchtung hervor,
namentlich das Verhältnis Napoleons III. zu Marguerite Vellanger, das die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/175>, abgerufen am 31.10.2024.