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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Die Staatsangehörigkeit als Mittel zu der Erhaltung des Deutschtums

lich verändert, und der deutsche Michel ist eine achtunggebietende Macht ge¬
worden, mit der die alten Großmächte wohl oder übel rechnen müssen. Wir
müssen daher nunmehr die gesetzliche Forderung erheben, daß der Neichsan-
gehörige nur durch eigne Willenserklärung, d. h. durch förmlichen Austritt
aus dem deutschen Staatsverband aufhört, ein Deutscher zu sein. Die Aus¬
nahmen im militärischen Interesse dürften noch zu verschärfen sein, wenn dafür
eine Erleichterung in der Art und in der Dauer der Dienstpflicht für die aus¬
ländischen Deutschen als Entgelt geboten würde. Die Erlaubnis der Aus¬
wanderung im wehrpflichtigen Alter unter der Voraussetzung und in der An¬
nahme, daß sie nicht in der Absicht, sich der Dienstpflicht zu entziehen, erfolgt,
stellt an die zuständigen Behörden Anforderungen, die einerseits der willkür¬
lichen Auffassung Thor und Thür öffnen, andrerseits aber häufig das natio¬
nale Interesse mit den doch auch schwerwiegenden Interessen der Bittsteller in
Widerspruch bringen. Ich spreche hier aus eigner amtlicher Erfahrung.
Hierzu kommt noch die thatsächliche Unmöglichkeit für den Heerespflichtigen,
besonders wegen der Kosten, seinerzeit auch den gesetzlich geforderten Kriegs¬
dienst zu leisten, selbst wenn er den redlichen Willen hierzu hat, aber irgendwo
im tar vssr als Tagelöhner sein Brot verdienen muß. Die gesetzliche Theorie
steht hier mit der Praxis in schroffem Gegensatz und verleitet gewissermaßen
den ausländischen Heerespflichtigen zum Gesctzesbruch, und noch schlimmer, zur
bewußten Aufgabe seines Volkstums, um sich den Folgen seiner gezwungnen
Handlungsweise nach deutschem Staatsrecht zu entziehen.

Vom nationalen Standpunkt aus interessirt bei dem reichen Überschuß an
Volkskraft hauptsachlich die Regelung des Verlustes der Staatsangehörigkeit.
Aber auch ihre Erwerbung nach Maßgabe des Gesetzes muß im Vergleich zu
den Bestimmungen der andern Staaten erörtert werden. Wir haben im Gegensatz
zu Völkern mit schwindenden Geburtenüberschuß kein Interesse daran, andre
Elemente als rein deutsche bei uns aufzunehme". Bis jetzt sucht man aber
nur die Juden des Ostens thunlichst an der Niederlassung im Reiche zu hindern.
Deshalb sind auch die mittel- und süddeutschen Bundesstaaten verpflichtet, dem
zunächst bedrohten Sachsen und Preußen dadurch Hilfe zu leisten, daß auch
sie keine solchen Elemente aufnehmen, die sich auf diesem Umwege über die
Reichsgrenzen einschmuggeln wollen. Aber der Slawe, der Pole wie der
Tscheche, ist jetzt ebenso gefährlich, und auch ihm gegenüber ist ebenso die
Ablehnung von Aufnahmegesuchen dringend geboten. Unsre jetzige Polenpolitik
befolgt auch diesen Weg, aber die Möglichkeit der Aufnahme müßte durch das
Gesetz besonders erschwert werden, was bisher nicht genügend der Fall war.
Die Einwanderung und Nationalisirung nach der Art Frankreichs und der
Mittel- und südamerikanischen Freistaaten gesetzlich zu fördern, haben wir
wahrlich keinen Anlaß. In Frankreich wird jeder Ausländer in der zweiten
Generation, sofern eines der Eltern schon im Lande geboren war, Franzose;


Die Staatsangehörigkeit als Mittel zu der Erhaltung des Deutschtums

lich verändert, und der deutsche Michel ist eine achtunggebietende Macht ge¬
worden, mit der die alten Großmächte wohl oder übel rechnen müssen. Wir
müssen daher nunmehr die gesetzliche Forderung erheben, daß der Neichsan-
gehörige nur durch eigne Willenserklärung, d. h. durch förmlichen Austritt
aus dem deutschen Staatsverband aufhört, ein Deutscher zu sein. Die Aus¬
nahmen im militärischen Interesse dürften noch zu verschärfen sein, wenn dafür
eine Erleichterung in der Art und in der Dauer der Dienstpflicht für die aus¬
ländischen Deutschen als Entgelt geboten würde. Die Erlaubnis der Aus¬
wanderung im wehrpflichtigen Alter unter der Voraussetzung und in der An¬
nahme, daß sie nicht in der Absicht, sich der Dienstpflicht zu entziehen, erfolgt,
stellt an die zuständigen Behörden Anforderungen, die einerseits der willkür¬
lichen Auffassung Thor und Thür öffnen, andrerseits aber häufig das natio¬
nale Interesse mit den doch auch schwerwiegenden Interessen der Bittsteller in
Widerspruch bringen. Ich spreche hier aus eigner amtlicher Erfahrung.
Hierzu kommt noch die thatsächliche Unmöglichkeit für den Heerespflichtigen,
besonders wegen der Kosten, seinerzeit auch den gesetzlich geforderten Kriegs¬
dienst zu leisten, selbst wenn er den redlichen Willen hierzu hat, aber irgendwo
im tar vssr als Tagelöhner sein Brot verdienen muß. Die gesetzliche Theorie
steht hier mit der Praxis in schroffem Gegensatz und verleitet gewissermaßen
den ausländischen Heerespflichtigen zum Gesctzesbruch, und noch schlimmer, zur
bewußten Aufgabe seines Volkstums, um sich den Folgen seiner gezwungnen
Handlungsweise nach deutschem Staatsrecht zu entziehen.

Vom nationalen Standpunkt aus interessirt bei dem reichen Überschuß an
Volkskraft hauptsachlich die Regelung des Verlustes der Staatsangehörigkeit.
Aber auch ihre Erwerbung nach Maßgabe des Gesetzes muß im Vergleich zu
den Bestimmungen der andern Staaten erörtert werden. Wir haben im Gegensatz
zu Völkern mit schwindenden Geburtenüberschuß kein Interesse daran, andre
Elemente als rein deutsche bei uns aufzunehme». Bis jetzt sucht man aber
nur die Juden des Ostens thunlichst an der Niederlassung im Reiche zu hindern.
Deshalb sind auch die mittel- und süddeutschen Bundesstaaten verpflichtet, dem
zunächst bedrohten Sachsen und Preußen dadurch Hilfe zu leisten, daß auch
sie keine solchen Elemente aufnehmen, die sich auf diesem Umwege über die
Reichsgrenzen einschmuggeln wollen. Aber der Slawe, der Pole wie der
Tscheche, ist jetzt ebenso gefährlich, und auch ihm gegenüber ist ebenso die
Ablehnung von Aufnahmegesuchen dringend geboten. Unsre jetzige Polenpolitik
befolgt auch diesen Weg, aber die Möglichkeit der Aufnahme müßte durch das
Gesetz besonders erschwert werden, was bisher nicht genügend der Fall war.
Die Einwanderung und Nationalisirung nach der Art Frankreichs und der
Mittel- und südamerikanischen Freistaaten gesetzlich zu fördern, haben wir
wahrlich keinen Anlaß. In Frankreich wird jeder Ausländer in der zweiten
Generation, sofern eines der Eltern schon im Lande geboren war, Franzose;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/404>, abgerufen am 05.06.2024.