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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Der deutsche Boden und die deutsche Geschichte

haben. Dagegen war das Elbsandsteingebirge, wiewohl niedriger, wegen seiner
Schroffheit schwer gangbar und schwer zugänglich. Auch das Mährische Geheule
war im Beginn des siebenjährigen Kriegs nur auf einigen Saumpfaden über¬
schreitbar. Der Landeshuter Paß hatte schon damals eine Straße bis Trau-
tenau, durch deren Besitz die Österreicher schon in den schlesischen Kriegen
begünstigt waren, besonders da der Königreichswald eine Waldzone davorlegte.
Vogesen und Schwarzwald sind durch gemeinsame Züge verbunden, die in
ihrer Entstehungsgeschichte liegen, aber wie verschieden wirkt der einfache Wall
der Vogesen und der selbst im Innern noch reicher gegliederte Schwarzwald,
wie viel selbständiger stand daher Elsaß-Lothringen als das oberrheinische Land
Schwaben gegenüber.

Wir wollen mit diesen Beispielen nicht die alte Behauptung belegen, von
den Gebirgen sei die politische Zersplitterung Deutschlands ausgegangen; ein¬
fach darum nicht, weil von ihnen nicht die Staatenbildung ausgegangen ist.
Zunächst wollen wir an das Naturgesetz erinnern, daß alle Staaten aus kleinen
Anfängen hervorgehen. Die Zersplitterung in kleinste Gebiete ist der Anfang
aller politischen Entwicklung, die Zusammenfassung zu größern Gebieten folgt
erst später, und alles Staatenwachstum ist ein Ringen mit der Tendenz zur
Abschließung auf dem engsten Raum. Dann aber noch etwas andres: Im
sechzehnten Jahrhundert waren einige deutsche Waldgebirge wie der Spessart
und der Bahrische Wald überhaupt noch so gut wie unbewohnt, weil die
Staaten in ihrem Wachstum von den tiefern Gegenden nach den höhern erst
an deren Rand angekommen waren. Bildeten auch die Gebirge Teile von
politischen Gebieten, so lagen sie doch ohne Wert überall, wo nicht Erzreichtnm
frühe die Besiedler anlockte. Wo die Gebirge die Größe und Gestalt deutscher
Länder bestimmten, sind keine kleinen und kleinlichen Gebilde herausge¬
kommen, wie sie zuletzt gerade die hügeligen Länder Schwabens und Frankens
zerstückt haben, sondern eins der größten und mächtigsten Gebiete: Böhmen
und die sich mit Böhmen in der Gebirgskreuzung des Fichtelgebirges berüh¬
renden. Die deutschen Gebiete sind durch die Gebirge höchstens dadurch am
Wachstum verhindert worden, daß alle um ein Gebirge herumliegenden in
das Gebirge hineinzuwachsen strebten, um sich gleichsam darin zu verankern.
So hemmten sie wechselseitig ihre Ausbreitung, und so entstand die bis auf
den heutigen Tag erhaltne Vierteiluug des Harzes. Bei deu so häufigen
Teilungen gaben die Höhenzüge bequeme Grenzen, und da mochte die innere
Mannigfaltigkeit des deutschen Gebirgsbaues ein vom Urwald bis zu deu
Rebenhügeln ziehendes Thal leicht dem sich darin abschließenden politischen
und wirtschaftlichen Selbstgenügen als eine Welt für sich erscheinen lassen.
Auch an andre kleine Motive ist zu denken. Wo sich jeder Baron seine Burg
baute, die nur durch Belagerung genommen werden konnte, da war ein hügel-
und bergreiches Land sozusagen von Natur politisch zerklüftet. Jeder Hügel


Grenzboten III 1898 7g
Der deutsche Boden und die deutsche Geschichte

haben. Dagegen war das Elbsandsteingebirge, wiewohl niedriger, wegen seiner
Schroffheit schwer gangbar und schwer zugänglich. Auch das Mährische Geheule
war im Beginn des siebenjährigen Kriegs nur auf einigen Saumpfaden über¬
schreitbar. Der Landeshuter Paß hatte schon damals eine Straße bis Trau-
tenau, durch deren Besitz die Österreicher schon in den schlesischen Kriegen
begünstigt waren, besonders da der Königreichswald eine Waldzone davorlegte.
Vogesen und Schwarzwald sind durch gemeinsame Züge verbunden, die in
ihrer Entstehungsgeschichte liegen, aber wie verschieden wirkt der einfache Wall
der Vogesen und der selbst im Innern noch reicher gegliederte Schwarzwald,
wie viel selbständiger stand daher Elsaß-Lothringen als das oberrheinische Land
Schwaben gegenüber.

Wir wollen mit diesen Beispielen nicht die alte Behauptung belegen, von
den Gebirgen sei die politische Zersplitterung Deutschlands ausgegangen; ein¬
fach darum nicht, weil von ihnen nicht die Staatenbildung ausgegangen ist.
Zunächst wollen wir an das Naturgesetz erinnern, daß alle Staaten aus kleinen
Anfängen hervorgehen. Die Zersplitterung in kleinste Gebiete ist der Anfang
aller politischen Entwicklung, die Zusammenfassung zu größern Gebieten folgt
erst später, und alles Staatenwachstum ist ein Ringen mit der Tendenz zur
Abschließung auf dem engsten Raum. Dann aber noch etwas andres: Im
sechzehnten Jahrhundert waren einige deutsche Waldgebirge wie der Spessart
und der Bahrische Wald überhaupt noch so gut wie unbewohnt, weil die
Staaten in ihrem Wachstum von den tiefern Gegenden nach den höhern erst
an deren Rand angekommen waren. Bildeten auch die Gebirge Teile von
politischen Gebieten, so lagen sie doch ohne Wert überall, wo nicht Erzreichtnm
frühe die Besiedler anlockte. Wo die Gebirge die Größe und Gestalt deutscher
Länder bestimmten, sind keine kleinen und kleinlichen Gebilde herausge¬
kommen, wie sie zuletzt gerade die hügeligen Länder Schwabens und Frankens
zerstückt haben, sondern eins der größten und mächtigsten Gebiete: Böhmen
und die sich mit Böhmen in der Gebirgskreuzung des Fichtelgebirges berüh¬
renden. Die deutschen Gebiete sind durch die Gebirge höchstens dadurch am
Wachstum verhindert worden, daß alle um ein Gebirge herumliegenden in
das Gebirge hineinzuwachsen strebten, um sich gleichsam darin zu verankern.
So hemmten sie wechselseitig ihre Ausbreitung, und so entstand die bis auf
den heutigen Tag erhaltne Vierteiluug des Harzes. Bei deu so häufigen
Teilungen gaben die Höhenzüge bequeme Grenzen, und da mochte die innere
Mannigfaltigkeit des deutschen Gebirgsbaues ein vom Urwald bis zu deu
Rebenhügeln ziehendes Thal leicht dem sich darin abschließenden politischen
und wirtschaftlichen Selbstgenügen als eine Welt für sich erscheinen lassen.
Auch an andre kleine Motive ist zu denken. Wo sich jeder Baron seine Burg
baute, die nur durch Belagerung genommen werden konnte, da war ein hügel-
und bergreiches Land sozusagen von Natur politisch zerklüftet. Jeder Hügel


Grenzboten III 1898 7g
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[0605] Der deutsche Boden und die deutsche Geschichte haben. Dagegen war das Elbsandsteingebirge, wiewohl niedriger, wegen seiner Schroffheit schwer gangbar und schwer zugänglich. Auch das Mährische Geheule war im Beginn des siebenjährigen Kriegs nur auf einigen Saumpfaden über¬ schreitbar. Der Landeshuter Paß hatte schon damals eine Straße bis Trau- tenau, durch deren Besitz die Österreicher schon in den schlesischen Kriegen begünstigt waren, besonders da der Königreichswald eine Waldzone davorlegte. Vogesen und Schwarzwald sind durch gemeinsame Züge verbunden, die in ihrer Entstehungsgeschichte liegen, aber wie verschieden wirkt der einfache Wall der Vogesen und der selbst im Innern noch reicher gegliederte Schwarzwald, wie viel selbständiger stand daher Elsaß-Lothringen als das oberrheinische Land Schwaben gegenüber. Wir wollen mit diesen Beispielen nicht die alte Behauptung belegen, von den Gebirgen sei die politische Zersplitterung Deutschlands ausgegangen; ein¬ fach darum nicht, weil von ihnen nicht die Staatenbildung ausgegangen ist. Zunächst wollen wir an das Naturgesetz erinnern, daß alle Staaten aus kleinen Anfängen hervorgehen. Die Zersplitterung in kleinste Gebiete ist der Anfang aller politischen Entwicklung, die Zusammenfassung zu größern Gebieten folgt erst später, und alles Staatenwachstum ist ein Ringen mit der Tendenz zur Abschließung auf dem engsten Raum. Dann aber noch etwas andres: Im sechzehnten Jahrhundert waren einige deutsche Waldgebirge wie der Spessart und der Bahrische Wald überhaupt noch so gut wie unbewohnt, weil die Staaten in ihrem Wachstum von den tiefern Gegenden nach den höhern erst an deren Rand angekommen waren. Bildeten auch die Gebirge Teile von politischen Gebieten, so lagen sie doch ohne Wert überall, wo nicht Erzreichtnm frühe die Besiedler anlockte. Wo die Gebirge die Größe und Gestalt deutscher Länder bestimmten, sind keine kleinen und kleinlichen Gebilde herausge¬ kommen, wie sie zuletzt gerade die hügeligen Länder Schwabens und Frankens zerstückt haben, sondern eins der größten und mächtigsten Gebiete: Böhmen und die sich mit Böhmen in der Gebirgskreuzung des Fichtelgebirges berüh¬ renden. Die deutschen Gebiete sind durch die Gebirge höchstens dadurch am Wachstum verhindert worden, daß alle um ein Gebirge herumliegenden in das Gebirge hineinzuwachsen strebten, um sich gleichsam darin zu verankern. So hemmten sie wechselseitig ihre Ausbreitung, und so entstand die bis auf den heutigen Tag erhaltne Vierteiluug des Harzes. Bei deu so häufigen Teilungen gaben die Höhenzüge bequeme Grenzen, und da mochte die innere Mannigfaltigkeit des deutschen Gebirgsbaues ein vom Urwald bis zu deu Rebenhügeln ziehendes Thal leicht dem sich darin abschließenden politischen und wirtschaftlichen Selbstgenügen als eine Welt für sich erscheinen lassen. Auch an andre kleine Motive ist zu denken. Wo sich jeder Baron seine Burg baute, die nur durch Belagerung genommen werden konnte, da war ein hügel- und bergreiches Land sozusagen von Natur politisch zerklüftet. Jeder Hügel Grenzboten III 1898 7g

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/605>, abgerufen am 12.06.2024.