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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Der deutsche Boden und die deutsche Geschichte

wie ein Blick auf die zerfransten und zerstückten Nationalitätsgrenzen vom
Jsonzo bis zur Memel zeigt, bis heute nicht fertig.

Bei diesem Ostwachstum spielen die Südnordflüsse wie Regnitz, Saale,
Elbe, Reiße, Oder, Weichsel, Pregel eine große Rolle als zeitweilige Grenzen,
während die westöstlichen als natürliche Wege nach Osten bedeutend werden.
Die Donau und der Main sind unter diesen die hervorragendsten, so wie es
zur Römerzeit neben der Mosel so manches Flußthal vom Oberrhein bis zur
Lippe gewesen war. Diese Ostwege sind immer im Wert gestiegen, wenn eine
Ostbewegung in der deutschen Geschichte einsetzt; so geschah es besonders bei
der Christianisirung Böhmens, endlich im größten Maße bei der Kolonisation
des Ostens.

In derselben Richtung wird nun auch der Gebirgsbau bedeutsam. Die
Vogesen trennen die Völker Deutsche und Frauzosen, die Länder Deutschland
und Frankreich. Der Böhmerwald und der Pfülzerwald trennen Deutsche und
Tschechen, die Länder Bayern und Böhmen. Am Fichtelgebirge und im Franken¬
walde berührt sich Franken mit den halbslawischen Marken Zeitz und Meißen.
So wie der Thüringerwald Franken und Thüringer, schied der Harz Thüringer
und Niedersachsen. Beide Gebirge sind aber Glieder eines großen Diagonal¬
walls, der, sich von der Donau bis zur Ems ziehend, ein südliches und west¬
liches jetzt rein deutsches und geschichtlich älteres von einem nordöstlichen, halb
slawischen und geschichtlich jüngern Deutschland scheidet. Es ist die Sudetische
Richtung^) des Gebirgsbaues, die hier geschichtlich wird. Aber noch viel wirk¬
samer wird sie in der Verbindung mit der rechtwinklig auf ihr stehenden erz-
gebirgischen. Die beiden bilden die Gebirgsumrahmung, die aus Böhmen das
geschlossenste, daher früh entwickelte und seine nationale Eigenart mitten im
Deutschtum erhaltende Naturlaut machte. Wo sich im Fichtelgebirge die Rich¬
tungen kreuzen, da stoßen Böhmen, Bayern, Franken und Obersachsen zusammen.

Die Fülle mannigfaltiger Naturbedingungen im Gebirgsbau Deutschlands
kommt dabei zur Geltung und macht selbst Nachbargebirge gleichen Baues
und ähnlicher Lage zu Gebieten verschiedner Volks- und Staatenbildung. Ge¬
birge, die neben einander aufsteigen und derselben Richtung angehören, zeigen
grundverschiedne Wirkungen. Im siebenjährigen Krieg und in den Befreiungs-
kriegen machte sich der Unterschied der Wegsamkeit des Erzgebirges und der
Schwerwegsamkeit des Elbsandsteingebirges geltend. Das Erzgebirge war schon
zur Zeit des siebenjährigen Krieges wegsam, da sein breiter Rücken und seine
Bewohntheit die Anlage von Straßen und selbst Querverbindungen zugelassen



Wir unterscheiden seit Leopold von Auch zwei große Grundrichtungen in den deutschen
Gebirgen, eine nordwestliche und eine nordöstliche, die nicht blos; im eigentlichen Gebirge vor¬
kommen, wo sie besonders in dem Nordwestzuge von der Donau bis zur Weser und in der
Nordostrichtung der mittelrheinischen Gebirge deutlich werden, sondern selbst auch im Tiefland
Fluszlüufe beeinflussen.
Der deutsche Boden und die deutsche Geschichte

wie ein Blick auf die zerfransten und zerstückten Nationalitätsgrenzen vom
Jsonzo bis zur Memel zeigt, bis heute nicht fertig.

Bei diesem Ostwachstum spielen die Südnordflüsse wie Regnitz, Saale,
Elbe, Reiße, Oder, Weichsel, Pregel eine große Rolle als zeitweilige Grenzen,
während die westöstlichen als natürliche Wege nach Osten bedeutend werden.
Die Donau und der Main sind unter diesen die hervorragendsten, so wie es
zur Römerzeit neben der Mosel so manches Flußthal vom Oberrhein bis zur
Lippe gewesen war. Diese Ostwege sind immer im Wert gestiegen, wenn eine
Ostbewegung in der deutschen Geschichte einsetzt; so geschah es besonders bei
der Christianisirung Böhmens, endlich im größten Maße bei der Kolonisation
des Ostens.

In derselben Richtung wird nun auch der Gebirgsbau bedeutsam. Die
Vogesen trennen die Völker Deutsche und Frauzosen, die Länder Deutschland
und Frankreich. Der Böhmerwald und der Pfülzerwald trennen Deutsche und
Tschechen, die Länder Bayern und Böhmen. Am Fichtelgebirge und im Franken¬
walde berührt sich Franken mit den halbslawischen Marken Zeitz und Meißen.
So wie der Thüringerwald Franken und Thüringer, schied der Harz Thüringer
und Niedersachsen. Beide Gebirge sind aber Glieder eines großen Diagonal¬
walls, der, sich von der Donau bis zur Ems ziehend, ein südliches und west¬
liches jetzt rein deutsches und geschichtlich älteres von einem nordöstlichen, halb
slawischen und geschichtlich jüngern Deutschland scheidet. Es ist die Sudetische
Richtung^) des Gebirgsbaues, die hier geschichtlich wird. Aber noch viel wirk¬
samer wird sie in der Verbindung mit der rechtwinklig auf ihr stehenden erz-
gebirgischen. Die beiden bilden die Gebirgsumrahmung, die aus Böhmen das
geschlossenste, daher früh entwickelte und seine nationale Eigenart mitten im
Deutschtum erhaltende Naturlaut machte. Wo sich im Fichtelgebirge die Rich¬
tungen kreuzen, da stoßen Böhmen, Bayern, Franken und Obersachsen zusammen.

Die Fülle mannigfaltiger Naturbedingungen im Gebirgsbau Deutschlands
kommt dabei zur Geltung und macht selbst Nachbargebirge gleichen Baues
und ähnlicher Lage zu Gebieten verschiedner Volks- und Staatenbildung. Ge¬
birge, die neben einander aufsteigen und derselben Richtung angehören, zeigen
grundverschiedne Wirkungen. Im siebenjährigen Krieg und in den Befreiungs-
kriegen machte sich der Unterschied der Wegsamkeit des Erzgebirges und der
Schwerwegsamkeit des Elbsandsteingebirges geltend. Das Erzgebirge war schon
zur Zeit des siebenjährigen Krieges wegsam, da sein breiter Rücken und seine
Bewohntheit die Anlage von Straßen und selbst Querverbindungen zugelassen



Wir unterscheiden seit Leopold von Auch zwei große Grundrichtungen in den deutschen
Gebirgen, eine nordwestliche und eine nordöstliche, die nicht blos; im eigentlichen Gebirge vor¬
kommen, wo sie besonders in dem Nordwestzuge von der Donau bis zur Weser und in der
Nordostrichtung der mittelrheinischen Gebirge deutlich werden, sondern selbst auch im Tiefland
Fluszlüufe beeinflussen.
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[0604] Der deutsche Boden und die deutsche Geschichte wie ein Blick auf die zerfransten und zerstückten Nationalitätsgrenzen vom Jsonzo bis zur Memel zeigt, bis heute nicht fertig. Bei diesem Ostwachstum spielen die Südnordflüsse wie Regnitz, Saale, Elbe, Reiße, Oder, Weichsel, Pregel eine große Rolle als zeitweilige Grenzen, während die westöstlichen als natürliche Wege nach Osten bedeutend werden. Die Donau und der Main sind unter diesen die hervorragendsten, so wie es zur Römerzeit neben der Mosel so manches Flußthal vom Oberrhein bis zur Lippe gewesen war. Diese Ostwege sind immer im Wert gestiegen, wenn eine Ostbewegung in der deutschen Geschichte einsetzt; so geschah es besonders bei der Christianisirung Böhmens, endlich im größten Maße bei der Kolonisation des Ostens. In derselben Richtung wird nun auch der Gebirgsbau bedeutsam. Die Vogesen trennen die Völker Deutsche und Frauzosen, die Länder Deutschland und Frankreich. Der Böhmerwald und der Pfülzerwald trennen Deutsche und Tschechen, die Länder Bayern und Böhmen. Am Fichtelgebirge und im Franken¬ walde berührt sich Franken mit den halbslawischen Marken Zeitz und Meißen. So wie der Thüringerwald Franken und Thüringer, schied der Harz Thüringer und Niedersachsen. Beide Gebirge sind aber Glieder eines großen Diagonal¬ walls, der, sich von der Donau bis zur Ems ziehend, ein südliches und west¬ liches jetzt rein deutsches und geschichtlich älteres von einem nordöstlichen, halb slawischen und geschichtlich jüngern Deutschland scheidet. Es ist die Sudetische Richtung^) des Gebirgsbaues, die hier geschichtlich wird. Aber noch viel wirk¬ samer wird sie in der Verbindung mit der rechtwinklig auf ihr stehenden erz- gebirgischen. Die beiden bilden die Gebirgsumrahmung, die aus Böhmen das geschlossenste, daher früh entwickelte und seine nationale Eigenart mitten im Deutschtum erhaltende Naturlaut machte. Wo sich im Fichtelgebirge die Rich¬ tungen kreuzen, da stoßen Böhmen, Bayern, Franken und Obersachsen zusammen. Die Fülle mannigfaltiger Naturbedingungen im Gebirgsbau Deutschlands kommt dabei zur Geltung und macht selbst Nachbargebirge gleichen Baues und ähnlicher Lage zu Gebieten verschiedner Volks- und Staatenbildung. Ge¬ birge, die neben einander aufsteigen und derselben Richtung angehören, zeigen grundverschiedne Wirkungen. Im siebenjährigen Krieg und in den Befreiungs- kriegen machte sich der Unterschied der Wegsamkeit des Erzgebirges und der Schwerwegsamkeit des Elbsandsteingebirges geltend. Das Erzgebirge war schon zur Zeit des siebenjährigen Krieges wegsam, da sein breiter Rücken und seine Bewohntheit die Anlage von Straßen und selbst Querverbindungen zugelassen Wir unterscheiden seit Leopold von Auch zwei große Grundrichtungen in den deutschen Gebirgen, eine nordwestliche und eine nordöstliche, die nicht blos; im eigentlichen Gebirge vor¬ kommen, wo sie besonders in dem Nordwestzuge von der Donau bis zur Weser und in der Nordostrichtung der mittelrheinischen Gebirge deutlich werden, sondern selbst auch im Tiefland Fluszlüufe beeinflussen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/604>, abgerufen am 05.06.2024.