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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Über das Alter der französischen Generäle

für den aktiven Dienst nicht mehr ausreicht; es bedarf dann zu der Ver¬
setzung einer Verordnung des Präsidenten der Republik. Diese Bestimmung
einer Altersgrenze erschien, wie gesagt, notwendig in einer Armee, der der
Kriegsherr und somit eine über die Personalverhältnisse in oberster Instanz
entscheidende Stelle fehlt. Der Präsident der Republik, meist ein Nichtmilitär,
hat nicht die Fähigkeit, die Leistungen eines Generals zu beurteilen, und würde
auch verfassungsmäßig nicht berechtigt sein, Beförderungen oder Verab¬
schiedungen zu verfügen. Der Kriegsminister, dem derartige Entscheidungen
am ehesten zukommen könnten, ist in Frankreich eine rein politische, von den
Majoritäten in der Volksvertretung abhängige und daher oft wechselnde Per¬
sönlichkeit, der derartige persönliche Entscheidungen demnach auch nicht zuge¬
standen werden können, umso weniger, als dieser Posten eigentümlicherweise
nicht einmal mit einem Militär besetzt zu sein braucht -- wie es beispielsweise
jetzt der Fall war. Daß die Erreichung eines gewissen Alters ein sehr unsicherer
und anfechtbarer Maßstab ist für die Beförderung und die Verabschiedung der
Generäle, liegt auf der Hand. Eine französische Militärzeitung bemerkte kürzlich
sehr richtig, daß während des Friedens eine Verjüngung in den obersten
Stellen der französischen Armee eine reine Chimäre sei; das einzige, was man
vernünftigerweise verlangen könne, sei eine weise aber entschlossene Anwendung
der in den Reglements vorgesehenen Mittel, um solche Elemente auszuscheiden,
die felddienstunfähig seien. Es werde aber immer "Alte" geben, die noch
rüstig und widerstandsfähig, und andrerseits "Junge," die vor der Zeit ver¬
braucht und entnervt seien. Das Alter sei also durchaus nicht das unfehlbare
Kennzeichen der Leistungsfähigkeit, sondern lediglich ein Fingerzeig.

Daß diese Bemerkungen sehr richtig sind, braucht wohl nicht besonders
betont und bewiesen zu werden. Aber man ersieht daraus, wie mangelhaft
die Institution der Altersgrenze ist, und daß sie lediglich als lÄuts as misux
betrachtet wird.

Die durch das Gesetz festgestellte Zahl von hundertundzehn aktiven Divisions-
generülen ist zur Zeit vorhanden, während zwei Generäle noch außerdem in
den Listen der aktiven Armee fortgeführt werden, weil sie ein Oberkommando
vor dem Feinde geführt haben; es sind dies die siebzigjährigen Generäle
d'Exea-Doumarc und Sausster, einst Kommandant des Expeditionskorps in
Tunis. Unter den hundertundzehn Generälen, die im aktiven Dienste stehen, sind
ebenfalls zwei, die die Altersgrenze überschritten haben und in ihrem Kom¬
mando belassen wurden, weil sie vor dem Feinde ein selbständiges Oberkom¬
mando geführt haben: der General Billot (bis vor kurzem Kriegsminister), der
die Loirearmee befehligte und noch in diesem Jahre das siebzigste Lebensjahr
erreicht, und der General Jamont, der frühere Kommandant des an der
deutschen Grenze liegenden VI. Armeekorps und der designirte Generalissimus
der Armee, der in Tonkin befehligte und jetzt siebenundsechzig Jahre alt ist.


Grenzboten III 18S8 77
Über das Alter der französischen Generäle

für den aktiven Dienst nicht mehr ausreicht; es bedarf dann zu der Ver¬
setzung einer Verordnung des Präsidenten der Republik. Diese Bestimmung
einer Altersgrenze erschien, wie gesagt, notwendig in einer Armee, der der
Kriegsherr und somit eine über die Personalverhältnisse in oberster Instanz
entscheidende Stelle fehlt. Der Präsident der Republik, meist ein Nichtmilitär,
hat nicht die Fähigkeit, die Leistungen eines Generals zu beurteilen, und würde
auch verfassungsmäßig nicht berechtigt sein, Beförderungen oder Verab¬
schiedungen zu verfügen. Der Kriegsminister, dem derartige Entscheidungen
am ehesten zukommen könnten, ist in Frankreich eine rein politische, von den
Majoritäten in der Volksvertretung abhängige und daher oft wechselnde Per¬
sönlichkeit, der derartige persönliche Entscheidungen demnach auch nicht zuge¬
standen werden können, umso weniger, als dieser Posten eigentümlicherweise
nicht einmal mit einem Militär besetzt zu sein braucht — wie es beispielsweise
jetzt der Fall war. Daß die Erreichung eines gewissen Alters ein sehr unsicherer
und anfechtbarer Maßstab ist für die Beförderung und die Verabschiedung der
Generäle, liegt auf der Hand. Eine französische Militärzeitung bemerkte kürzlich
sehr richtig, daß während des Friedens eine Verjüngung in den obersten
Stellen der französischen Armee eine reine Chimäre sei; das einzige, was man
vernünftigerweise verlangen könne, sei eine weise aber entschlossene Anwendung
der in den Reglements vorgesehenen Mittel, um solche Elemente auszuscheiden,
die felddienstunfähig seien. Es werde aber immer „Alte" geben, die noch
rüstig und widerstandsfähig, und andrerseits „Junge," die vor der Zeit ver¬
braucht und entnervt seien. Das Alter sei also durchaus nicht das unfehlbare
Kennzeichen der Leistungsfähigkeit, sondern lediglich ein Fingerzeig.

Daß diese Bemerkungen sehr richtig sind, braucht wohl nicht besonders
betont und bewiesen zu werden. Aber man ersieht daraus, wie mangelhaft
die Institution der Altersgrenze ist, und daß sie lediglich als lÄuts as misux
betrachtet wird.

Die durch das Gesetz festgestellte Zahl von hundertundzehn aktiven Divisions-
generülen ist zur Zeit vorhanden, während zwei Generäle noch außerdem in
den Listen der aktiven Armee fortgeführt werden, weil sie ein Oberkommando
vor dem Feinde geführt haben; es sind dies die siebzigjährigen Generäle
d'Exea-Doumarc und Sausster, einst Kommandant des Expeditionskorps in
Tunis. Unter den hundertundzehn Generälen, die im aktiven Dienste stehen, sind
ebenfalls zwei, die die Altersgrenze überschritten haben und in ihrem Kom¬
mando belassen wurden, weil sie vor dem Feinde ein selbständiges Oberkom¬
mando geführt haben: der General Billot (bis vor kurzem Kriegsminister), der
die Loirearmee befehligte und noch in diesem Jahre das siebzigste Lebensjahr
erreicht, und der General Jamont, der frühere Kommandant des an der
deutschen Grenze liegenden VI. Armeekorps und der designirte Generalissimus
der Armee, der in Tonkin befehligte und jetzt siebenundsechzig Jahre alt ist.


Grenzboten III 18S8 77
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/613>, abgerufen am 05.06.2024.