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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Theodor von Bernhard! als Nationalökonom

bringt dann nur das Material bei, dessen man bedarf, um über die einzelnen
Erscheinungen des wirtschaftlichen Lebens zu urteilen. So wie die Politik der
Strategie ihre Ziele weist, so hat auch die Staatswissenschaft der Volkswirt¬
schaft ihre Aufgaben zu stellen für die Gestaltung des Verhältnisses zur Güter¬
welt. Wenn die politische Ökonomie erklärt, sie suche freilich den Menschen
einem andern Ziele zuzuführen, als die Philosophie, so fertigt Bernhardt diese
Weisheit ab: Was wäre das für eine Lehre vom Staats- und Volkshaushalt,
die, ohne je zu fragen, zu welchem Ende dem: eigentlich hausgehalten werden
soll, immer nur von Vermehrung der Mittel zum Haushalten spricht, möge
sie einen vernünftigen Zweck haben oder nicht, und am Ende gezwungen ist,
das beschämende Geständnis abzulegen, daß sie sich mit den Forderungen, die
die Philosophie, was hier doch wohl nur heißen kann, die ihrer selbst bewußte
Vernunft überhaupt, an den Menschen zu stellen hat, im Widerspruch weiß,
somit genötigt ist, von diesen Forderungen ganz abzusehen.

Eine ganze Zahl von Lehrern der politischen Ökonomie hat diese höchsten
und entscheidenden Fragen weder gestellt noch beantwortet, und zu diese" gehört
namentlich Adam Smith mit seiner ganzen Schule. Niemals wird Wesen und
Zweck des Staates untersucht, niemals nach der Stellung des Einzelnen zu
Staat und Gesellschaft gefragt. Die sogenannte reine Volkswirtschaftslehre
glaubt von dieser entscheidenden Hauptfrage absehen zu dürfen und gelangt
deshalb notwendig dazu, alle sozialen und Kulturfragen schlechthin dem indi¬
viduellen Eudämonismus, zu deutsch dem Eigennutz und der Selbstsucht des
Einzelnen dienstbar zu machen. Diese Wissenschaft geht also von einer Grund¬
lage aus, die sie selbst später als falsch nachweist. Nach ihrer Auffassung
bleibt die behaglichste Entwicklung, das möglichste Gedeihen des Privatlebens
des Einzelnen das Streben wie das Endziel des öffentlichen Wesens. Das
Individuum ist in seiner Vereinzelung abgeschlossener Selbstzweck, der Staat
wird dem Privatleben dienstbar; er ist nur Mittel und Werkzeug, bestimmt,
den Einzelnen die Erstrebung ihrer besondern eudämonistischen Zwecke zu er¬
leichtern und soll dem Privatleben so wenig als möglich entziehen.

Im schroffsten Gegensatz zu dieser individualistischen atomisirenden An¬
schauung steht die antike Ansicht vom Staat; im Altertum ist der Staat alles,
das Individuum nichts. Das Leben des Einzelnen hat in dem des Staates
völlig aufzugehen.

Eine dritte Ansicht vom Staate bringt Bernhardt zur Geltung, es ist die,
die heute in Deutschland zur Herrschaft gelangt ist. Hiernach hat der Staat
neben der negativen Bestimmung, alle Störungen der öffentlichen und privaten
Sicherheit abzuwehren, auch noch die positive, die Keime einer bessern Zukunft
mit Bewußtsein zu hegen, und fördernd das geistige und sittliche Leben der
Völker einer fortschreitenden schönern Entwicklung entgegenzuführen.

So werden also Staat und Gesellschaft zu Trägern der höchsten Interessen


Theodor von Bernhard! als Nationalökonom

bringt dann nur das Material bei, dessen man bedarf, um über die einzelnen
Erscheinungen des wirtschaftlichen Lebens zu urteilen. So wie die Politik der
Strategie ihre Ziele weist, so hat auch die Staatswissenschaft der Volkswirt¬
schaft ihre Aufgaben zu stellen für die Gestaltung des Verhältnisses zur Güter¬
welt. Wenn die politische Ökonomie erklärt, sie suche freilich den Menschen
einem andern Ziele zuzuführen, als die Philosophie, so fertigt Bernhardt diese
Weisheit ab: Was wäre das für eine Lehre vom Staats- und Volkshaushalt,
die, ohne je zu fragen, zu welchem Ende dem: eigentlich hausgehalten werden
soll, immer nur von Vermehrung der Mittel zum Haushalten spricht, möge
sie einen vernünftigen Zweck haben oder nicht, und am Ende gezwungen ist,
das beschämende Geständnis abzulegen, daß sie sich mit den Forderungen, die
die Philosophie, was hier doch wohl nur heißen kann, die ihrer selbst bewußte
Vernunft überhaupt, an den Menschen zu stellen hat, im Widerspruch weiß,
somit genötigt ist, von diesen Forderungen ganz abzusehen.

Eine ganze Zahl von Lehrern der politischen Ökonomie hat diese höchsten
und entscheidenden Fragen weder gestellt noch beantwortet, und zu diese» gehört
namentlich Adam Smith mit seiner ganzen Schule. Niemals wird Wesen und
Zweck des Staates untersucht, niemals nach der Stellung des Einzelnen zu
Staat und Gesellschaft gefragt. Die sogenannte reine Volkswirtschaftslehre
glaubt von dieser entscheidenden Hauptfrage absehen zu dürfen und gelangt
deshalb notwendig dazu, alle sozialen und Kulturfragen schlechthin dem indi¬
viduellen Eudämonismus, zu deutsch dem Eigennutz und der Selbstsucht des
Einzelnen dienstbar zu machen. Diese Wissenschaft geht also von einer Grund¬
lage aus, die sie selbst später als falsch nachweist. Nach ihrer Auffassung
bleibt die behaglichste Entwicklung, das möglichste Gedeihen des Privatlebens
des Einzelnen das Streben wie das Endziel des öffentlichen Wesens. Das
Individuum ist in seiner Vereinzelung abgeschlossener Selbstzweck, der Staat
wird dem Privatleben dienstbar; er ist nur Mittel und Werkzeug, bestimmt,
den Einzelnen die Erstrebung ihrer besondern eudämonistischen Zwecke zu er¬
leichtern und soll dem Privatleben so wenig als möglich entziehen.

Im schroffsten Gegensatz zu dieser individualistischen atomisirenden An¬
schauung steht die antike Ansicht vom Staat; im Altertum ist der Staat alles,
das Individuum nichts. Das Leben des Einzelnen hat in dem des Staates
völlig aufzugehen.

Eine dritte Ansicht vom Staate bringt Bernhardt zur Geltung, es ist die,
die heute in Deutschland zur Herrschaft gelangt ist. Hiernach hat der Staat
neben der negativen Bestimmung, alle Störungen der öffentlichen und privaten
Sicherheit abzuwehren, auch noch die positive, die Keime einer bessern Zukunft
mit Bewußtsein zu hegen, und fördernd das geistige und sittliche Leben der
Völker einer fortschreitenden schönern Entwicklung entgegenzuführen.

So werden also Staat und Gesellschaft zu Trägern der höchsten Interessen


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[0209] Theodor von Bernhard! als Nationalökonom bringt dann nur das Material bei, dessen man bedarf, um über die einzelnen Erscheinungen des wirtschaftlichen Lebens zu urteilen. So wie die Politik der Strategie ihre Ziele weist, so hat auch die Staatswissenschaft der Volkswirt¬ schaft ihre Aufgaben zu stellen für die Gestaltung des Verhältnisses zur Güter¬ welt. Wenn die politische Ökonomie erklärt, sie suche freilich den Menschen einem andern Ziele zuzuführen, als die Philosophie, so fertigt Bernhardt diese Weisheit ab: Was wäre das für eine Lehre vom Staats- und Volkshaushalt, die, ohne je zu fragen, zu welchem Ende dem: eigentlich hausgehalten werden soll, immer nur von Vermehrung der Mittel zum Haushalten spricht, möge sie einen vernünftigen Zweck haben oder nicht, und am Ende gezwungen ist, das beschämende Geständnis abzulegen, daß sie sich mit den Forderungen, die die Philosophie, was hier doch wohl nur heißen kann, die ihrer selbst bewußte Vernunft überhaupt, an den Menschen zu stellen hat, im Widerspruch weiß, somit genötigt ist, von diesen Forderungen ganz abzusehen. Eine ganze Zahl von Lehrern der politischen Ökonomie hat diese höchsten und entscheidenden Fragen weder gestellt noch beantwortet, und zu diese» gehört namentlich Adam Smith mit seiner ganzen Schule. Niemals wird Wesen und Zweck des Staates untersucht, niemals nach der Stellung des Einzelnen zu Staat und Gesellschaft gefragt. Die sogenannte reine Volkswirtschaftslehre glaubt von dieser entscheidenden Hauptfrage absehen zu dürfen und gelangt deshalb notwendig dazu, alle sozialen und Kulturfragen schlechthin dem indi¬ viduellen Eudämonismus, zu deutsch dem Eigennutz und der Selbstsucht des Einzelnen dienstbar zu machen. Diese Wissenschaft geht also von einer Grund¬ lage aus, die sie selbst später als falsch nachweist. Nach ihrer Auffassung bleibt die behaglichste Entwicklung, das möglichste Gedeihen des Privatlebens des Einzelnen das Streben wie das Endziel des öffentlichen Wesens. Das Individuum ist in seiner Vereinzelung abgeschlossener Selbstzweck, der Staat wird dem Privatleben dienstbar; er ist nur Mittel und Werkzeug, bestimmt, den Einzelnen die Erstrebung ihrer besondern eudämonistischen Zwecke zu er¬ leichtern und soll dem Privatleben so wenig als möglich entziehen. Im schroffsten Gegensatz zu dieser individualistischen atomisirenden An¬ schauung steht die antike Ansicht vom Staat; im Altertum ist der Staat alles, das Individuum nichts. Das Leben des Einzelnen hat in dem des Staates völlig aufzugehen. Eine dritte Ansicht vom Staate bringt Bernhardt zur Geltung, es ist die, die heute in Deutschland zur Herrschaft gelangt ist. Hiernach hat der Staat neben der negativen Bestimmung, alle Störungen der öffentlichen und privaten Sicherheit abzuwehren, auch noch die positive, die Keime einer bessern Zukunft mit Bewußtsein zu hegen, und fördernd das geistige und sittliche Leben der Völker einer fortschreitenden schönern Entwicklung entgegenzuführen. So werden also Staat und Gesellschaft zu Trägern der höchsten Interessen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/209>, abgerufen am 05.06.2024.