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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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"Lin neuer Streiter wider den Naturalismus

doch das eine gemeinsam haben, daß sie sich in Gegensatz zu der Überlieferung,
insbesondre in Gegensatz zu der Kunstrichtung stellen, die vor ihnen geherrscht
hat und zum Teil noch herrscht.

Für Pietschker ist Gussow eine dieser Erscheinungen, und sein Auftreten
um die Mitte der siebziger Jahre hatte, namentlich für die Berliner Malerei,
etwas Revolutionäres, das bei den jüngern Künstlern schnell volles Ver¬
ständnis fand und sogar eine gewisse Begeisterung hervorrief, die ihm viele
Schüler und Schülerinnen zuführte. Die ältern Künstler und das große
Publikum verhielten sich dagegen lange ablehnend, und eine allgemeine An¬
erkennung in diesen Kreisen fand Gussow eigentlich erst, als er seinen robusten,
wie seine Gegner sagten, "struppigen" Naturalismus müßigte und in seinen
Bildnissen, die später in den Vordergrund seines Schaffens traten, sogar eine
verschmolzne, fast glatte koloristische Behandlung bevorzugte. Die Verehrer
seiner frühern Genrebilder sahen dagegen in den Bildnissen, namentlich in den
weiblichen, einen Abfall von der Natur, und es fehlte nicht viel, daß Gussow
zuletzt noch in die Kategorie der Modemaler verwiesen worden wäre. Ver-
schiedne Umstände, über die Pietschker in seinem Buche nähere Mitteilungen
macht, vereinigten sich, Gussow den Aufenthalt in Berlin zu verleiden. In
der Hauptsache waren es persönliche Verstimmungen, die durch wirkliche und
vermeintliche Kränkungen hervorgerufen worden waren, und so verschwand ein
Künstler, der einst wie eine Bombe in das Berliner Kunstleben hineingeplatzt
war, nach einer sechzehnjähriger Thätigkeit mit schwankenden Erfolgen still und
geräuschlos aus Berlin und wurde bald vergessen. Erst in diesem Jahre hat
er sich auf der großen Ausstellung wieder durch zwei Bilder, die seine große
koloristische Fähigkeit noch in voller Kraft zeigten, wieder in Erinnerung ge¬
bracht. In München, wo er seinen Wohnsitz genommen hatte, hat er die alte
Unabhängigkeit seiner Gesinnung als Mensch und Künstler dadurch bewährt,
daß er sich den Sezefsionisten angeschlossen hat, obwohl seine Anschauungs¬
und Ausdrucksweise heute nichts Modernes -- wenigstens nicht im Sinne der
neuesten Münchner Malerei -- an sich hat.

Es kann darnach scheinen, als hätte Pietschker Gussows Bedeutung über¬
schätzt, wenn auch nicht seine persönliche, so doch die Stellung, die er in der
Entwicklung der neuern Malerei in Deutschland zu beanspruchen hat. Jeden¬
falls hat sein Einfluß nicht über Berlin hinaufgereicht, und jetzt ist er auch
kaum noch in der Berliner Malerei, höchstens noch im Pinselstrich einiger
seiner Schüler, nachzuweisen. Pietschker hat sich aber Gussow als Beispiel
gewählt, um daran zu zeigen, wie der Naturalismus, wenn er von Weiser
künstlerischer Überlegung gebändigt wird, zu einer durchaus gesunden Kunst¬
anschauung gelangen kann. In dem Gesamtbild des modernen Naturalismus
ist ihm Gusfow gleichsam das "Repousfoir," von dem sich die Verirrungen
der ungesunden Naturalisten desto greller abheben.


Grenzboten IV 1898 40
«Lin neuer Streiter wider den Naturalismus

doch das eine gemeinsam haben, daß sie sich in Gegensatz zu der Überlieferung,
insbesondre in Gegensatz zu der Kunstrichtung stellen, die vor ihnen geherrscht
hat und zum Teil noch herrscht.

Für Pietschker ist Gussow eine dieser Erscheinungen, und sein Auftreten
um die Mitte der siebziger Jahre hatte, namentlich für die Berliner Malerei,
etwas Revolutionäres, das bei den jüngern Künstlern schnell volles Ver¬
ständnis fand und sogar eine gewisse Begeisterung hervorrief, die ihm viele
Schüler und Schülerinnen zuführte. Die ältern Künstler und das große
Publikum verhielten sich dagegen lange ablehnend, und eine allgemeine An¬
erkennung in diesen Kreisen fand Gussow eigentlich erst, als er seinen robusten,
wie seine Gegner sagten, „struppigen" Naturalismus müßigte und in seinen
Bildnissen, die später in den Vordergrund seines Schaffens traten, sogar eine
verschmolzne, fast glatte koloristische Behandlung bevorzugte. Die Verehrer
seiner frühern Genrebilder sahen dagegen in den Bildnissen, namentlich in den
weiblichen, einen Abfall von der Natur, und es fehlte nicht viel, daß Gussow
zuletzt noch in die Kategorie der Modemaler verwiesen worden wäre. Ver-
schiedne Umstände, über die Pietschker in seinem Buche nähere Mitteilungen
macht, vereinigten sich, Gussow den Aufenthalt in Berlin zu verleiden. In
der Hauptsache waren es persönliche Verstimmungen, die durch wirkliche und
vermeintliche Kränkungen hervorgerufen worden waren, und so verschwand ein
Künstler, der einst wie eine Bombe in das Berliner Kunstleben hineingeplatzt
war, nach einer sechzehnjähriger Thätigkeit mit schwankenden Erfolgen still und
geräuschlos aus Berlin und wurde bald vergessen. Erst in diesem Jahre hat
er sich auf der großen Ausstellung wieder durch zwei Bilder, die seine große
koloristische Fähigkeit noch in voller Kraft zeigten, wieder in Erinnerung ge¬
bracht. In München, wo er seinen Wohnsitz genommen hatte, hat er die alte
Unabhängigkeit seiner Gesinnung als Mensch und Künstler dadurch bewährt,
daß er sich den Sezefsionisten angeschlossen hat, obwohl seine Anschauungs¬
und Ausdrucksweise heute nichts Modernes — wenigstens nicht im Sinne der
neuesten Münchner Malerei — an sich hat.

Es kann darnach scheinen, als hätte Pietschker Gussows Bedeutung über¬
schätzt, wenn auch nicht seine persönliche, so doch die Stellung, die er in der
Entwicklung der neuern Malerei in Deutschland zu beanspruchen hat. Jeden¬
falls hat sein Einfluß nicht über Berlin hinaufgereicht, und jetzt ist er auch
kaum noch in der Berliner Malerei, höchstens noch im Pinselstrich einiger
seiner Schüler, nachzuweisen. Pietschker hat sich aber Gussow als Beispiel
gewählt, um daran zu zeigen, wie der Naturalismus, wenn er von Weiser
künstlerischer Überlegung gebändigt wird, zu einer durchaus gesunden Kunst¬
anschauung gelangen kann. In dem Gesamtbild des modernen Naturalismus
ist ihm Gusfow gleichsam das „Repousfoir," von dem sich die Verirrungen
der ungesunden Naturalisten desto greller abheben.


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[0324] «Lin neuer Streiter wider den Naturalismus doch das eine gemeinsam haben, daß sie sich in Gegensatz zu der Überlieferung, insbesondre in Gegensatz zu der Kunstrichtung stellen, die vor ihnen geherrscht hat und zum Teil noch herrscht. Für Pietschker ist Gussow eine dieser Erscheinungen, und sein Auftreten um die Mitte der siebziger Jahre hatte, namentlich für die Berliner Malerei, etwas Revolutionäres, das bei den jüngern Künstlern schnell volles Ver¬ ständnis fand und sogar eine gewisse Begeisterung hervorrief, die ihm viele Schüler und Schülerinnen zuführte. Die ältern Künstler und das große Publikum verhielten sich dagegen lange ablehnend, und eine allgemeine An¬ erkennung in diesen Kreisen fand Gussow eigentlich erst, als er seinen robusten, wie seine Gegner sagten, „struppigen" Naturalismus müßigte und in seinen Bildnissen, die später in den Vordergrund seines Schaffens traten, sogar eine verschmolzne, fast glatte koloristische Behandlung bevorzugte. Die Verehrer seiner frühern Genrebilder sahen dagegen in den Bildnissen, namentlich in den weiblichen, einen Abfall von der Natur, und es fehlte nicht viel, daß Gussow zuletzt noch in die Kategorie der Modemaler verwiesen worden wäre. Ver- schiedne Umstände, über die Pietschker in seinem Buche nähere Mitteilungen macht, vereinigten sich, Gussow den Aufenthalt in Berlin zu verleiden. In der Hauptsache waren es persönliche Verstimmungen, die durch wirkliche und vermeintliche Kränkungen hervorgerufen worden waren, und so verschwand ein Künstler, der einst wie eine Bombe in das Berliner Kunstleben hineingeplatzt war, nach einer sechzehnjähriger Thätigkeit mit schwankenden Erfolgen still und geräuschlos aus Berlin und wurde bald vergessen. Erst in diesem Jahre hat er sich auf der großen Ausstellung wieder durch zwei Bilder, die seine große koloristische Fähigkeit noch in voller Kraft zeigten, wieder in Erinnerung ge¬ bracht. In München, wo er seinen Wohnsitz genommen hatte, hat er die alte Unabhängigkeit seiner Gesinnung als Mensch und Künstler dadurch bewährt, daß er sich den Sezefsionisten angeschlossen hat, obwohl seine Anschauungs¬ und Ausdrucksweise heute nichts Modernes — wenigstens nicht im Sinne der neuesten Münchner Malerei — an sich hat. Es kann darnach scheinen, als hätte Pietschker Gussows Bedeutung über¬ schätzt, wenn auch nicht seine persönliche, so doch die Stellung, die er in der Entwicklung der neuern Malerei in Deutschland zu beanspruchen hat. Jeden¬ falls hat sein Einfluß nicht über Berlin hinaufgereicht, und jetzt ist er auch kaum noch in der Berliner Malerei, höchstens noch im Pinselstrich einiger seiner Schüler, nachzuweisen. Pietschker hat sich aber Gussow als Beispiel gewählt, um daran zu zeigen, wie der Naturalismus, wenn er von Weiser künstlerischer Überlegung gebändigt wird, zu einer durchaus gesunden Kunst¬ anschauung gelangen kann. In dem Gesamtbild des modernen Naturalismus ist ihm Gusfow gleichsam das „Repousfoir," von dem sich die Verirrungen der ungesunden Naturalisten desto greller abheben. Grenzboten IV 1898 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/324>, abgerufen am 05.06.2024.