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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die vereinigte" Staaten im Kampfe für Freiheit und Humanität

soweit getrieben hatten, daß der Norden aus Angst das verhängnisvolle Thema
gar nicht mehr aufs Tapet zu bringen wagte, schrieb der Oberrichter der Ver¬
einigten Staaten. Ellsworth, sehr bezeichnend für die Art, wie man sich sitt¬
lichen Skrupeln zu entziehen pflegte: "Laßt jeden Staat importiren (nämlich
Sklaven), was ihm gefällt. Moralität und Weisheit sind Erwägungen, die
die Staaten selbst angehen (nicht die Bundesregierung oder alle Welt). Was
einen Teil bereichert, bereichert das Ganze. Die Einzelstaaten sind die besten
Richter ihres besondern Interesses."

Aber je mehr es im eignen Lande an Freiheit gebrach, je mehr man selbst
aus der Bibel die Sklaverei in ihrem ewigen Rechte zu begründen wußte, und
Geistliche auf der Kanzel ihr Lob verkündeten, um so mehr begeisterte mau sich
für die Freiheit andrer Länder da, wo es nichts kostete. In den zwanziger
Jahren war es 8t,Mu, sich für das Volk von Hellas zu erwärmen. Man
kannte es in Amerika so wenig, wie es seine europäischen Fürsprecher kannten,
aber man schätzte seinen Freiheitssinn. Es blieb bei einer platonischen Be¬
geisterung, und die Monroelehre bewahrte sich hier wirklich einmal nach ihrer
andern Seite: man mischte sich nicht durch Absendung eines Agenten hinein,
wie es Gefühlspolitiker beantragten. Zu derselben Zeit veranlaßte ein Besuch
Lafayettes. der ja die Sache der Freiheit in Amerika so begeistert gefordert
hatte, daß die Erinnerung an den eignen Freiheitskampf von neuem wach
wurde. Vicrzigtausend Menschen strömten in Philadelphia zusammen und be¬
rauschten sich an dem seichten Phrasentum des "großen" Franzosen. Man
hatte ihm 200000 Dollar und einige 20000 Acker Land geschenkt, während
der wirklich viel verdienstvollere deutsche General von Stender. dem die ameri¬
kanische Armee im Unabhüngigkeitskampfe ihre Kriegstttchtigkeit verdankt hatte,
nur von wenig Getreuen geleitet zu Grabe getragen wurde. Aber dle euro¬
päische Berühmtheit Lafayettes schmeichelte den Amerikanern trotz ihrer Ver¬
achtung Europas, und ihre im allgemeinen seichte Bildung war für das fran¬
zösische Pathos sehr empfänglich, besonders wenn dabei die Worte "Freiheit"
und "Unabhängigkeit" vorkamen.

Nicht so platonisch wie bei der Begeisterung für Griechenland ging es ab.
als Kossuth das Volk der Magyaren zum Freiheitskämpfe rief. Ein Agent
wurde nach Ungarn geschickt, um zu berichten, ob sich das Land als "freies"
halten könnte. Ein energischer Protest Österreichs wurde prompt und grob
mit den Worten abgefertigt, die Hausmacht der Habsburger erschiene gegenüber
der Ländermasse. über die der junge Riese des Westens verfüge, denn doch
als ein zu winziges Besitztum, als daß man sich über die Proteste Österreichs
sonderlich aufregen könnte. Im Jahre 1851 pilgerte Kossuth mit andern "edeln
Verbannten" nach dem Lande der Freiheit, überall begeistert empfangen, bis
er in die Politik maßgebend eingreifen wollte und ein thätiges Bündnis der
Union mit England verlangte, um den Absolutismus Österreichs und Rußlands


Die vereinigte» Staaten im Kampfe für Freiheit und Humanität

soweit getrieben hatten, daß der Norden aus Angst das verhängnisvolle Thema
gar nicht mehr aufs Tapet zu bringen wagte, schrieb der Oberrichter der Ver¬
einigten Staaten. Ellsworth, sehr bezeichnend für die Art, wie man sich sitt¬
lichen Skrupeln zu entziehen pflegte: „Laßt jeden Staat importiren (nämlich
Sklaven), was ihm gefällt. Moralität und Weisheit sind Erwägungen, die
die Staaten selbst angehen (nicht die Bundesregierung oder alle Welt). Was
einen Teil bereichert, bereichert das Ganze. Die Einzelstaaten sind die besten
Richter ihres besondern Interesses."

Aber je mehr es im eignen Lande an Freiheit gebrach, je mehr man selbst
aus der Bibel die Sklaverei in ihrem ewigen Rechte zu begründen wußte, und
Geistliche auf der Kanzel ihr Lob verkündeten, um so mehr begeisterte mau sich
für die Freiheit andrer Länder da, wo es nichts kostete. In den zwanziger
Jahren war es 8t,Mu, sich für das Volk von Hellas zu erwärmen. Man
kannte es in Amerika so wenig, wie es seine europäischen Fürsprecher kannten,
aber man schätzte seinen Freiheitssinn. Es blieb bei einer platonischen Be¬
geisterung, und die Monroelehre bewahrte sich hier wirklich einmal nach ihrer
andern Seite: man mischte sich nicht durch Absendung eines Agenten hinein,
wie es Gefühlspolitiker beantragten. Zu derselben Zeit veranlaßte ein Besuch
Lafayettes. der ja die Sache der Freiheit in Amerika so begeistert gefordert
hatte, daß die Erinnerung an den eignen Freiheitskampf von neuem wach
wurde. Vicrzigtausend Menschen strömten in Philadelphia zusammen und be¬
rauschten sich an dem seichten Phrasentum des „großen" Franzosen. Man
hatte ihm 200000 Dollar und einige 20000 Acker Land geschenkt, während
der wirklich viel verdienstvollere deutsche General von Stender. dem die ameri¬
kanische Armee im Unabhüngigkeitskampfe ihre Kriegstttchtigkeit verdankt hatte,
nur von wenig Getreuen geleitet zu Grabe getragen wurde. Aber dle euro¬
päische Berühmtheit Lafayettes schmeichelte den Amerikanern trotz ihrer Ver¬
achtung Europas, und ihre im allgemeinen seichte Bildung war für das fran¬
zösische Pathos sehr empfänglich, besonders wenn dabei die Worte „Freiheit"
und „Unabhängigkeit" vorkamen.

Nicht so platonisch wie bei der Begeisterung für Griechenland ging es ab.
als Kossuth das Volk der Magyaren zum Freiheitskämpfe rief. Ein Agent
wurde nach Ungarn geschickt, um zu berichten, ob sich das Land als „freies"
halten könnte. Ein energischer Protest Österreichs wurde prompt und grob
mit den Worten abgefertigt, die Hausmacht der Habsburger erschiene gegenüber
der Ländermasse. über die der junge Riese des Westens verfüge, denn doch
als ein zu winziges Besitztum, als daß man sich über die Proteste Österreichs
sonderlich aufregen könnte. Im Jahre 1851 pilgerte Kossuth mit andern „edeln
Verbannten" nach dem Lande der Freiheit, überall begeistert empfangen, bis
er in die Politik maßgebend eingreifen wollte und ein thätiges Bündnis der
Union mit England verlangte, um den Absolutismus Österreichs und Rußlands


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[0694] Die vereinigte» Staaten im Kampfe für Freiheit und Humanität soweit getrieben hatten, daß der Norden aus Angst das verhängnisvolle Thema gar nicht mehr aufs Tapet zu bringen wagte, schrieb der Oberrichter der Ver¬ einigten Staaten. Ellsworth, sehr bezeichnend für die Art, wie man sich sitt¬ lichen Skrupeln zu entziehen pflegte: „Laßt jeden Staat importiren (nämlich Sklaven), was ihm gefällt. Moralität und Weisheit sind Erwägungen, die die Staaten selbst angehen (nicht die Bundesregierung oder alle Welt). Was einen Teil bereichert, bereichert das Ganze. Die Einzelstaaten sind die besten Richter ihres besondern Interesses." Aber je mehr es im eignen Lande an Freiheit gebrach, je mehr man selbst aus der Bibel die Sklaverei in ihrem ewigen Rechte zu begründen wußte, und Geistliche auf der Kanzel ihr Lob verkündeten, um so mehr begeisterte mau sich für die Freiheit andrer Länder da, wo es nichts kostete. In den zwanziger Jahren war es 8t,Mu, sich für das Volk von Hellas zu erwärmen. Man kannte es in Amerika so wenig, wie es seine europäischen Fürsprecher kannten, aber man schätzte seinen Freiheitssinn. Es blieb bei einer platonischen Be¬ geisterung, und die Monroelehre bewahrte sich hier wirklich einmal nach ihrer andern Seite: man mischte sich nicht durch Absendung eines Agenten hinein, wie es Gefühlspolitiker beantragten. Zu derselben Zeit veranlaßte ein Besuch Lafayettes. der ja die Sache der Freiheit in Amerika so begeistert gefordert hatte, daß die Erinnerung an den eignen Freiheitskampf von neuem wach wurde. Vicrzigtausend Menschen strömten in Philadelphia zusammen und be¬ rauschten sich an dem seichten Phrasentum des „großen" Franzosen. Man hatte ihm 200000 Dollar und einige 20000 Acker Land geschenkt, während der wirklich viel verdienstvollere deutsche General von Stender. dem die ameri¬ kanische Armee im Unabhüngigkeitskampfe ihre Kriegstttchtigkeit verdankt hatte, nur von wenig Getreuen geleitet zu Grabe getragen wurde. Aber dle euro¬ päische Berühmtheit Lafayettes schmeichelte den Amerikanern trotz ihrer Ver¬ achtung Europas, und ihre im allgemeinen seichte Bildung war für das fran¬ zösische Pathos sehr empfänglich, besonders wenn dabei die Worte „Freiheit" und „Unabhängigkeit" vorkamen. Nicht so platonisch wie bei der Begeisterung für Griechenland ging es ab. als Kossuth das Volk der Magyaren zum Freiheitskämpfe rief. Ein Agent wurde nach Ungarn geschickt, um zu berichten, ob sich das Land als „freies" halten könnte. Ein energischer Protest Österreichs wurde prompt und grob mit den Worten abgefertigt, die Hausmacht der Habsburger erschiene gegenüber der Ländermasse. über die der junge Riese des Westens verfüge, denn doch als ein zu winziges Besitztum, als daß man sich über die Proteste Österreichs sonderlich aufregen könnte. Im Jahre 1851 pilgerte Kossuth mit andern „edeln Verbannten" nach dem Lande der Freiheit, überall begeistert empfangen, bis er in die Politik maßgebend eingreifen wollte und ein thätiges Bündnis der Union mit England verlangte, um den Absolutismus Österreichs und Rußlands

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/694>, abgerufen am 16.06.2024.