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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Die Schlacht bei Khartum

hielten den Ehrennamen "Ulanenregiment Kaiserin von Indien," und man
pries ihre tapfre Haltung in klangvollen Versen, in schwungvollen Tischreden;
man beflaumte ihre "ungeheuern" Verluste. Hier sei nur bemerkt, daß die
Brigade Bredow auf ihrem Todesritt am 16. August 1870 über die Hälfte
ihres Bestandes ans dem Felde ließ.

Höhere Anerkennung scheint uns die ägyptische Brigade") Macdonald zu
verdienen, die bei der staffelförmigen Vvrbewegnng des Operationskorps auf
dem rechten Flügel, also am weitesten nach Westen stand. Sie sah sich plötzlich
von Südwesten durch die vom Kalifen persönlich geführten Scharen angefallen,
die sich, vom Dschebel Surgham gedeckt, wieder zum Kampfe geordnet hatten.
Die Kaltblütigkeit des Oberstleutnants Macdonald und seiner Leute ermöglichten
die volle Entwicklung der Feuerkraft der Brigade, und hieran, wie an der rasch
gebrachten Unterstützung durch die linken Nachbarbrigaden, zerschellte die todes¬
verachtende Tapferkeit der Mahdisten. Kaum ist das besorgt, da kommt von
Nordwesten ein zweiter gewaltiger Derwischhaufe, geführt von dem Sohn des
Kalifen, dem Scheck ed Din. Macdonald biegt seinen rechten Flügel rückwärts,
und dem neuen Angreifer wird dasselbe Schicksal bereitet wie dem eben ab¬
geschlagnen. Doch kommt ein Teil seiner Schützen bis auf 150 Meter heran;
einzelne Derwische drängen gar bis auf Wurfspeerweite vor. Welch ein Glück
für die Engländer, daß die Derwischangriffe von Südwesten und Nordwesten,
dank der höchst mangelhaften Führung auf der Seite des Kalifen nicht gleich¬
zeitig erfolgten. Ein gewisser Erfolg der Derwische wäre dann wohl unver¬
meidlich gewesen, und es hätte sich gestraft, daß sich die Engländer um den
Verbleib der starken Derwischkolvnne, durch die die ägyptische Reiterei und das
.Kamelkorps von den Kerrerihügeln vertrieben worden waren, in unverzeih¬
lichem Leichtsinn gar nicht weiter gekümmert hatten.

Die Führung griff bei dem überraschenden Stoß des Gegners in der
Weise ein, daß sie die englische Brigade Wauchope von dem linken ungefähr¬
lichen Flügel nach dem rechten beorderte: eine einfache, gegebne Maßregel, die
zum Beweise für das Feldherrntalent Kitcheners nicht ausreicht. Warum nnn
Macdonalds überaus anerkennenswertes Verhalten in England weniger gefeiert
worden ist, als der Angriff der 21. Lancers, obwohl jenes, rein militärisch
betrachtet, viel höher wertet? Wir hätten wohl eine Erklärung. Die Lancers
waren Engländer, Macdonalds Leute aber -- Ägypter. Außerdem war der
Oberstleutnant Macdonald ein Milna,äLM5ni, aus dem Unterofsizierstcmde und
nicht aus den gelehrten Schulen hervorgegangen.

Sehen wir von Macdonalds Gefechtsleitung ab, so wüßten wir nicht,
was die Schlacht in ihrem ganzen Verlaufe Rühmenswertes böte: weder in der



") Die englische und die ägyptische Brigade haben je 4 Bataillone zu 80" bis "0N Köpfen;
der Regünent-Zverbnnd fehlt.
Die Schlacht bei Khartum

hielten den Ehrennamen „Ulanenregiment Kaiserin von Indien," und man
pries ihre tapfre Haltung in klangvollen Versen, in schwungvollen Tischreden;
man beflaumte ihre „ungeheuern" Verluste. Hier sei nur bemerkt, daß die
Brigade Bredow auf ihrem Todesritt am 16. August 1870 über die Hälfte
ihres Bestandes ans dem Felde ließ.

Höhere Anerkennung scheint uns die ägyptische Brigade") Macdonald zu
verdienen, die bei der staffelförmigen Vvrbewegnng des Operationskorps auf
dem rechten Flügel, also am weitesten nach Westen stand. Sie sah sich plötzlich
von Südwesten durch die vom Kalifen persönlich geführten Scharen angefallen,
die sich, vom Dschebel Surgham gedeckt, wieder zum Kampfe geordnet hatten.
Die Kaltblütigkeit des Oberstleutnants Macdonald und seiner Leute ermöglichten
die volle Entwicklung der Feuerkraft der Brigade, und hieran, wie an der rasch
gebrachten Unterstützung durch die linken Nachbarbrigaden, zerschellte die todes¬
verachtende Tapferkeit der Mahdisten. Kaum ist das besorgt, da kommt von
Nordwesten ein zweiter gewaltiger Derwischhaufe, geführt von dem Sohn des
Kalifen, dem Scheck ed Din. Macdonald biegt seinen rechten Flügel rückwärts,
und dem neuen Angreifer wird dasselbe Schicksal bereitet wie dem eben ab¬
geschlagnen. Doch kommt ein Teil seiner Schützen bis auf 150 Meter heran;
einzelne Derwische drängen gar bis auf Wurfspeerweite vor. Welch ein Glück
für die Engländer, daß die Derwischangriffe von Südwesten und Nordwesten,
dank der höchst mangelhaften Führung auf der Seite des Kalifen nicht gleich¬
zeitig erfolgten. Ein gewisser Erfolg der Derwische wäre dann wohl unver¬
meidlich gewesen, und es hätte sich gestraft, daß sich die Engländer um den
Verbleib der starken Derwischkolvnne, durch die die ägyptische Reiterei und das
.Kamelkorps von den Kerrerihügeln vertrieben worden waren, in unverzeih¬
lichem Leichtsinn gar nicht weiter gekümmert hatten.

Die Führung griff bei dem überraschenden Stoß des Gegners in der
Weise ein, daß sie die englische Brigade Wauchope von dem linken ungefähr¬
lichen Flügel nach dem rechten beorderte: eine einfache, gegebne Maßregel, die
zum Beweise für das Feldherrntalent Kitcheners nicht ausreicht. Warum nnn
Macdonalds überaus anerkennenswertes Verhalten in England weniger gefeiert
worden ist, als der Angriff der 21. Lancers, obwohl jenes, rein militärisch
betrachtet, viel höher wertet? Wir hätten wohl eine Erklärung. Die Lancers
waren Engländer, Macdonalds Leute aber — Ägypter. Außerdem war der
Oberstleutnant Macdonald ein Milna,äLM5ni, aus dem Unterofsizierstcmde und
nicht aus den gelehrten Schulen hervorgegangen.

Sehen wir von Macdonalds Gefechtsleitung ab, so wüßten wir nicht,
was die Schlacht in ihrem ganzen Verlaufe Rühmenswertes böte: weder in der



») Die englische und die ägyptische Brigade haben je 4 Bataillone zu 80« bis »0N Köpfen;
der Regünent-Zverbnnd fehlt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/584>, abgerufen am 02.06.2024.