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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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^"er Sinn des Christentums

Herr war nicht im Feuer; nach dem Feuer das Günseln eines sanften Luft-
hanchs, und ans diesem sprach Gott zu Elias. Von den Hohenpriestern und
Schriftgelehrten halte ich so wenig wie Hills, aber ich bin doch überzeugt, daß
es in jeder Zeit einige wackere Müuner unter ihnen giebt, die sich aufrichtig
bemühn, gute Christen zu sein, und ich glaube nicht, daß solche heutigentags,
soweit sie preußische und sächsische Pastoren sind, die Heiligkeit eines Mannes
sonderlich hoch schütze", der seinen König köpfen laßt. In England wird jetzt
die Absicht, Cromwell ein neues Denkmal setzen zu lassen, heftig bekämpft; in
der Snturday Review haben sich viele Stimmen dagegen und nur ein paar
dafür ausgesprochen. In der Nummer vom 11. November beweist G. Colomb,
daß die Bezeichnungen: Thrann, Verrüter und Mörder, mit denen der Par-
lamentsgerichtshvf den König gebrandmarkt hat, nicht diesem, sondern Cromwell
zukommen, und in der Nummer vom 23. Dezember beweist ein andrer, daß
Karl I. als Mürthrer für die englische Kirche gestorben sei, die die Puritaner
Hütten unterdrücken und ausrotten wollen. Und was würde ein zum Glück
unmöglicher Sieg des Puritcmertums über alle andern religiösen und irreli¬
giösen Richtungen bedeuten? Die Vernichtung von Kunst und Wissenschaft,
ein Leben, das einem ewigen Leichenbegängnis gliche, den Tod aller unschul¬
digen Freuden, aber durchaus nicht den aller schuldvollen.

Als Salz haben die Puritaner sehr heilsam gewirkt, und als Salz der
Erde bezeichnet Jesus auch seine Jünger, womit natürlich nicht gesagt sein soll,
daß deren Heiligkeit anch mir die geringste Ähnlichkeit mit der puritanischen
gehabt Hütte. Die Bezeichnung "Salz" hätte aber gar keinen Sinn, wenn es
in der Absicht Gottes läge, die ganze Menschheit in eine den Jüngern gleich¬
förmige Masse zu verwandeln. Das Gleichnis vom Sauerteig scheint zwar
diese Absicht zu offenbaren, aber es kann auch so verstanden werden, daß nur
gewisse Erkenntnisse und Grundsätze über die ganze Erde verbreitet werden
sollen. Wie um eigentlich die echten Heiligen aussehen, das ist auch nach
Hills schwer zu sagen. Die Erwühuuug der Puritaner genügt, daran zu er¬
innern, daß auch das Allerheiligste der Welt noch viele Wohnungen hat
für die verschiednen Sorten von Heiligen, die sich schlecht mit einander ver¬
tragen würden, wenn sie alle zusammen in einem Gemach untergebracht werden
sollten, denn es giebt sehr wunderliche darunter. Als Übergangsstufe von den
Weltkindern oder gewöhnlichen Christen zu den Heiligen können wir die Menschen
betrachten, die weltlich gesinnt sind und leben, aber nicht allein an die sittliche
Weltordnung, sondern auch an die göttliche Führung glauben und für ihre
Person darauf vertrauen. Es ist klar, daß ein solcher Glaube und ein solches
Bertrallen nur ans persönlicher Erfahrung geschöpft werden können, und Hilty
führt oft in immer neuen Wendungen den Gedanken aus, daß Gott, die sitt¬
liche Weltordnung und die göttliche Führung nicht bewiesen werden können,
sondern erfahren werden müssen. Diese Erfahrung kann man nun, wie gesagt,
machen, ohne den Tod der Entsagung zu sterben. Unter denen aber, die diese
höchste Stufe erklimmen, scheint es doch anch noch sehr verschieden geartete


^»er Sinn des Christentums

Herr war nicht im Feuer; nach dem Feuer das Günseln eines sanften Luft-
hanchs, und ans diesem sprach Gott zu Elias. Von den Hohenpriestern und
Schriftgelehrten halte ich so wenig wie Hills, aber ich bin doch überzeugt, daß
es in jeder Zeit einige wackere Müuner unter ihnen giebt, die sich aufrichtig
bemühn, gute Christen zu sein, und ich glaube nicht, daß solche heutigentags,
soweit sie preußische und sächsische Pastoren sind, die Heiligkeit eines Mannes
sonderlich hoch schütze», der seinen König köpfen laßt. In England wird jetzt
die Absicht, Cromwell ein neues Denkmal setzen zu lassen, heftig bekämpft; in
der Snturday Review haben sich viele Stimmen dagegen und nur ein paar
dafür ausgesprochen. In der Nummer vom 11. November beweist G. Colomb,
daß die Bezeichnungen: Thrann, Verrüter und Mörder, mit denen der Par-
lamentsgerichtshvf den König gebrandmarkt hat, nicht diesem, sondern Cromwell
zukommen, und in der Nummer vom 23. Dezember beweist ein andrer, daß
Karl I. als Mürthrer für die englische Kirche gestorben sei, die die Puritaner
Hütten unterdrücken und ausrotten wollen. Und was würde ein zum Glück
unmöglicher Sieg des Puritcmertums über alle andern religiösen und irreli¬
giösen Richtungen bedeuten? Die Vernichtung von Kunst und Wissenschaft,
ein Leben, das einem ewigen Leichenbegängnis gliche, den Tod aller unschul¬
digen Freuden, aber durchaus nicht den aller schuldvollen.

Als Salz haben die Puritaner sehr heilsam gewirkt, und als Salz der
Erde bezeichnet Jesus auch seine Jünger, womit natürlich nicht gesagt sein soll,
daß deren Heiligkeit anch mir die geringste Ähnlichkeit mit der puritanischen
gehabt Hütte. Die Bezeichnung „Salz" hätte aber gar keinen Sinn, wenn es
in der Absicht Gottes läge, die ganze Menschheit in eine den Jüngern gleich¬
förmige Masse zu verwandeln. Das Gleichnis vom Sauerteig scheint zwar
diese Absicht zu offenbaren, aber es kann auch so verstanden werden, daß nur
gewisse Erkenntnisse und Grundsätze über die ganze Erde verbreitet werden
sollen. Wie um eigentlich die echten Heiligen aussehen, das ist auch nach
Hills schwer zu sagen. Die Erwühuuug der Puritaner genügt, daran zu er¬
innern, daß auch das Allerheiligste der Welt noch viele Wohnungen hat
für die verschiednen Sorten von Heiligen, die sich schlecht mit einander ver¬
tragen würden, wenn sie alle zusammen in einem Gemach untergebracht werden
sollten, denn es giebt sehr wunderliche darunter. Als Übergangsstufe von den
Weltkindern oder gewöhnlichen Christen zu den Heiligen können wir die Menschen
betrachten, die weltlich gesinnt sind und leben, aber nicht allein an die sittliche
Weltordnung, sondern auch an die göttliche Führung glauben und für ihre
Person darauf vertrauen. Es ist klar, daß ein solcher Glaube und ein solches
Bertrallen nur ans persönlicher Erfahrung geschöpft werden können, und Hilty
führt oft in immer neuen Wendungen den Gedanken aus, daß Gott, die sitt¬
liche Weltordnung und die göttliche Führung nicht bewiesen werden können,
sondern erfahren werden müssen. Diese Erfahrung kann man nun, wie gesagt,
machen, ohne den Tod der Entsagung zu sterben. Unter denen aber, die diese
höchste Stufe erklimmen, scheint es doch anch noch sehr verschieden geartete


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[0454] ^»er Sinn des Christentums Herr war nicht im Feuer; nach dem Feuer das Günseln eines sanften Luft- hanchs, und ans diesem sprach Gott zu Elias. Von den Hohenpriestern und Schriftgelehrten halte ich so wenig wie Hills, aber ich bin doch überzeugt, daß es in jeder Zeit einige wackere Müuner unter ihnen giebt, die sich aufrichtig bemühn, gute Christen zu sein, und ich glaube nicht, daß solche heutigentags, soweit sie preußische und sächsische Pastoren sind, die Heiligkeit eines Mannes sonderlich hoch schütze», der seinen König köpfen laßt. In England wird jetzt die Absicht, Cromwell ein neues Denkmal setzen zu lassen, heftig bekämpft; in der Snturday Review haben sich viele Stimmen dagegen und nur ein paar dafür ausgesprochen. In der Nummer vom 11. November beweist G. Colomb, daß die Bezeichnungen: Thrann, Verrüter und Mörder, mit denen der Par- lamentsgerichtshvf den König gebrandmarkt hat, nicht diesem, sondern Cromwell zukommen, und in der Nummer vom 23. Dezember beweist ein andrer, daß Karl I. als Mürthrer für die englische Kirche gestorben sei, die die Puritaner Hütten unterdrücken und ausrotten wollen. Und was würde ein zum Glück unmöglicher Sieg des Puritcmertums über alle andern religiösen und irreli¬ giösen Richtungen bedeuten? Die Vernichtung von Kunst und Wissenschaft, ein Leben, das einem ewigen Leichenbegängnis gliche, den Tod aller unschul¬ digen Freuden, aber durchaus nicht den aller schuldvollen. Als Salz haben die Puritaner sehr heilsam gewirkt, und als Salz der Erde bezeichnet Jesus auch seine Jünger, womit natürlich nicht gesagt sein soll, daß deren Heiligkeit anch mir die geringste Ähnlichkeit mit der puritanischen gehabt Hütte. Die Bezeichnung „Salz" hätte aber gar keinen Sinn, wenn es in der Absicht Gottes läge, die ganze Menschheit in eine den Jüngern gleich¬ förmige Masse zu verwandeln. Das Gleichnis vom Sauerteig scheint zwar diese Absicht zu offenbaren, aber es kann auch so verstanden werden, daß nur gewisse Erkenntnisse und Grundsätze über die ganze Erde verbreitet werden sollen. Wie um eigentlich die echten Heiligen aussehen, das ist auch nach Hills schwer zu sagen. Die Erwühuuug der Puritaner genügt, daran zu er¬ innern, daß auch das Allerheiligste der Welt noch viele Wohnungen hat für die verschiednen Sorten von Heiligen, die sich schlecht mit einander ver¬ tragen würden, wenn sie alle zusammen in einem Gemach untergebracht werden sollten, denn es giebt sehr wunderliche darunter. Als Übergangsstufe von den Weltkindern oder gewöhnlichen Christen zu den Heiligen können wir die Menschen betrachten, die weltlich gesinnt sind und leben, aber nicht allein an die sittliche Weltordnung, sondern auch an die göttliche Führung glauben und für ihre Person darauf vertrauen. Es ist klar, daß ein solcher Glaube und ein solches Bertrallen nur ans persönlicher Erfahrung geschöpft werden können, und Hilty führt oft in immer neuen Wendungen den Gedanken aus, daß Gott, die sitt¬ liche Weltordnung und die göttliche Führung nicht bewiesen werden können, sondern erfahren werden müssen. Diese Erfahrung kann man nun, wie gesagt, machen, ohne den Tod der Entsagung zu sterben. Unter denen aber, die diese höchste Stufe erklimmen, scheint es doch anch noch sehr verschieden geartete

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/454>, abgerufen am 16.06.2024.