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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Der Posener Schulstr^it

da, wo sie vorhanden waren, erfuhren die Sprechübungen zunächst noch lauge
nicht die geforderte Pflege. Das lag nur zum geringsten Teil an der metho¬
dischen Schwäche der erwähnten Anleitung, die sich viel zu sehr der Übersetzung
ans dem Polnischen bediente und die Lehrer veranlaßte, die Namen der ge¬
zeigten Gegenstände, ihrer Eigenschaften und Thätigkeiten erst in polnischer
Sprache lernen und dann ins Deutsche übersetzen zu lassen. Immerhin war
die Anleitung ihrer Zeit eine achtbare Leistung, und die deutsche Sprache hätte
durch sie eine anerkennenswerte Förderung erfahren können, wenn die Lehrer
danach gehandelt Hütten. Aber, wie schon gesagt, beherrschten die Lehrer selber
die deutsche Sprache zum größten Teile viel zu wenig, als daß sie die Schüler
darin hätten erfolgreich unterrichten können. Auch waren sie an regelmüßiges,
geordnetes Schulehalten nicht gewöhnt, und der Schulbesuch war äußerst un¬
regelmäßig, weil sich niemand darum kümmerte. Endlich ist nicht daran zu
zweifeln, daß die Lehrer vielfach sei es aus eigner Abneigung gegen die deutsche
Sprache, sei es unter dem Einfluß und Druck ihrer Schulinspektoren und
Seelsorger die Unterweisung im Deutschen absichtlich vernachlässigt haben. So
blieb die deutsche Sprache ein höchstens geduldeter und mißliebiger Unterrichts-
gegenstand, über den man, wenn er z. B. bei der öffentlichen Prüfung wirk¬
lich einmal ans die Tagesordnung gesetzt war, möglichst schnell hinwegging,
wenn es auch nicht immer mit den Worten geschehn sein mag, mit denen ein
geistlicher Schulinspektor gelegentlich die deutsche Sprechübuug schloß: Dos^o
t^ob. nwuneolciell ki"ki! zu Deutsch: "Genug dieser deutschen Possen!"

Wie schlecht es um die Pflege der deutschen Sprache in den polnischen
Schulen bestellt war, darüber erhielt die Regierung volle Klarheit erst, als im
Anfange der siebziger Jahre allgemeine Revisionen dieser Schulen kreiswcise
durch die für diesen Zweck besonders geschaffnen Kommissionen unter der
Leitung der Landrüte stattfanden. Das Ergebnis war -- nicht bloß nach der
Seite der deutschen Sprachkenntuis -- haarsträubend und hielt der Regierung
in erschreckender Weise den Spiegel ihrer Unterlassungssünden vor die Augen.
Nun kam Leben in die Unterrichtsverwaltung. Auf Grund des Schnlanfsichts-
gesetzes vom 11. März 1872 wurde die Kreisschulinspektion den katholischen
Geistlichen abgenommen und besondern Beamten mit schultechnischer Vorbildung
übertragen. Im Herbste 1872 traten die ersten ständigen Kreisschuliuspektoren
ihr Amt an, und ihre Zahl wurde fortgesetzt vermehrt. Die Geistlichen, die
sich in nationaler oder kirchenpolitischer Beziehung als besonders unzuverlässig
erwiesen hatten, wurden auch der Ortsschulaufsicht enthoben und die Wahr-
nehmung dieses Amtes teils den Kreisschulinspektoren, teils geeignet scheinenden
Privatpersonen anvertraut.

Waren so die Organe geschaffen, deren sich die Negierung zur Durch¬
führung ihrer Maßnahmen im Schulwesen mit Vertrauen bedienen konnte, so
gaben die Allgemeinen Bestimmungen vom 15. Oktober 1872 über die Auf¬
gabe, das Ziel und die Einrichtung der preußischen Volksschule für die zu
erlassenden besondern Vorschriften die sichere Grundlage. Der deutschen


Der Posener Schulstr^it

da, wo sie vorhanden waren, erfuhren die Sprechübungen zunächst noch lauge
nicht die geforderte Pflege. Das lag nur zum geringsten Teil an der metho¬
dischen Schwäche der erwähnten Anleitung, die sich viel zu sehr der Übersetzung
ans dem Polnischen bediente und die Lehrer veranlaßte, die Namen der ge¬
zeigten Gegenstände, ihrer Eigenschaften und Thätigkeiten erst in polnischer
Sprache lernen und dann ins Deutsche übersetzen zu lassen. Immerhin war
die Anleitung ihrer Zeit eine achtbare Leistung, und die deutsche Sprache hätte
durch sie eine anerkennenswerte Förderung erfahren können, wenn die Lehrer
danach gehandelt Hütten. Aber, wie schon gesagt, beherrschten die Lehrer selber
die deutsche Sprache zum größten Teile viel zu wenig, als daß sie die Schüler
darin hätten erfolgreich unterrichten können. Auch waren sie an regelmüßiges,
geordnetes Schulehalten nicht gewöhnt, und der Schulbesuch war äußerst un¬
regelmäßig, weil sich niemand darum kümmerte. Endlich ist nicht daran zu
zweifeln, daß die Lehrer vielfach sei es aus eigner Abneigung gegen die deutsche
Sprache, sei es unter dem Einfluß und Druck ihrer Schulinspektoren und
Seelsorger die Unterweisung im Deutschen absichtlich vernachlässigt haben. So
blieb die deutsche Sprache ein höchstens geduldeter und mißliebiger Unterrichts-
gegenstand, über den man, wenn er z. B. bei der öffentlichen Prüfung wirk¬
lich einmal ans die Tagesordnung gesetzt war, möglichst schnell hinwegging,
wenn es auch nicht immer mit den Worten geschehn sein mag, mit denen ein
geistlicher Schulinspektor gelegentlich die deutsche Sprechübuug schloß: Dos^o
t^ob. nwuneolciell ki»ki! zu Deutsch: „Genug dieser deutschen Possen!"

Wie schlecht es um die Pflege der deutschen Sprache in den polnischen
Schulen bestellt war, darüber erhielt die Regierung volle Klarheit erst, als im
Anfange der siebziger Jahre allgemeine Revisionen dieser Schulen kreiswcise
durch die für diesen Zweck besonders geschaffnen Kommissionen unter der
Leitung der Landrüte stattfanden. Das Ergebnis war — nicht bloß nach der
Seite der deutschen Sprachkenntuis — haarsträubend und hielt der Regierung
in erschreckender Weise den Spiegel ihrer Unterlassungssünden vor die Augen.
Nun kam Leben in die Unterrichtsverwaltung. Auf Grund des Schnlanfsichts-
gesetzes vom 11. März 1872 wurde die Kreisschulinspektion den katholischen
Geistlichen abgenommen und besondern Beamten mit schultechnischer Vorbildung
übertragen. Im Herbste 1872 traten die ersten ständigen Kreisschuliuspektoren
ihr Amt an, und ihre Zahl wurde fortgesetzt vermehrt. Die Geistlichen, die
sich in nationaler oder kirchenpolitischer Beziehung als besonders unzuverlässig
erwiesen hatten, wurden auch der Ortsschulaufsicht enthoben und die Wahr-
nehmung dieses Amtes teils den Kreisschulinspektoren, teils geeignet scheinenden
Privatpersonen anvertraut.

Waren so die Organe geschaffen, deren sich die Negierung zur Durch¬
führung ihrer Maßnahmen im Schulwesen mit Vertrauen bedienen konnte, so
gaben die Allgemeinen Bestimmungen vom 15. Oktober 1872 über die Auf¬
gabe, das Ziel und die Einrichtung der preußischen Volksschule für die zu
erlassenden besondern Vorschriften die sichere Grundlage. Der deutschen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/26>, abgerufen am 16.06.2024.