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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Abendland und Morgenland

romanisch-germanischen Kulturkreise auch in dieser entscheidenden Beziehung in
Gegensatz getreten, nud indem Peter der Große, äußerlich der größte "Westler"
iSapaduik) unter den Herrschern Rußlands, 1725 auch die Leitung der russisch-
orthodoxen Kirche an sich nahm, hat es mit dem znrischcn Absolutismus den
byzantinischen Cäsaropapismus, als dessen Rechtsnachfolger es sich fühlte, ver¬
bunden, also erst recht theokratische, orientalische Formen angenommen. Darum
ist die russische Kirche, ohne Anteil an der lebendigen kirchlichen Entwicklung
des Westens, in Zeremoniendienst erstarrt und übt auf das sittlich-religiöse
Leben des Volkes kaum noch einen Einfluß, und darum giebt es in Rußland
weder einen Adel im europäischen Sinne, noch eine wirkliche Selbstverwaltung,
noch vollends eine Volksvertretung. Auch jähe Übergänge von einem Extrem
zum andern sind häufig, da alles vom persönlichen Willen des Zaren nbhäugt,
und Thronwechsel von orientalischer Gewaltsamkeit sind bis 1801 die Regel
gewesen. Dafür teilt Rußland die Langlebigkeit orientalischer Theokratien
und sieht auf eine ununterbrochne Geschichte von mehr als einem Jahrtausend
zurück, ist also älter als jedes andre jetzt bestehende europäische Staatswesen.

Wohl ist die europäische Bildung in die höhern Schichten des Volks ein¬
gedrungen und hat durch den unausgleichbaren Widerspruch zwischen ihrem
und dem russischen Geiste den Nihilismus hervorgetrieben; aber im rassischen
Volke hat dieser niemals Wurzel geschlagen, und in Form eines rohen, un¬
duldsamen Nationalismus hat der russische Geist schließlich gesiegt. Was Ru߬
land vom Abendlande wirklich aufgenommen hat, das ist etwas äußerliches,
die militärische, wirtschaftliche, gesellschaftliche lind bis zu einem gewissen Grade
auch die wissenschaftliche und künstlerische Technik. Es ist etwa, als wenn das
altpersische Reich vom jüngern Cyrus mit griechischen Kräften reformiert worden
wäre. Griechisch wäre es dadurch nicht geworden, wie auch Rußland seit Peter
dem Großen nicht innerlich europäisch geworden, sondern, vornehmlich durch
deutsche Hilfskräfte, nur äußerlich europäisiert worden ist. Aber eben mit Hilfe
dieser dem Abendlande entlehnten Bildungselemente ist es, im Innern ohne
wirkliche Entwicklung, nach außen rastlos gewachsen. Es hat schon im acht¬
zehnten und im Anfange des neunzehnten Jahrhunderts die baltisch-deutschen
Provinzen, Finnland und den größten Teil Polens unterworfen, ist also tief
in das Gebiet der abendländischen Kultur eingedrungen; es galt dann lange
Zeit als Hort des konservativ-monarchischen Gedankens und hielt besonders
deshalb Preußen und Deutschland in einer gewissen Abhängigkeit; es hat
endlich unter Alexander II. unter dem Drucke des unduldsamen Panslawismus
begonnen, seine halborientalische Kultur jenen abendländischen Anßenposten auf-
zuzwingen, ihr europäisches Wesen, das allerdings dem russischen innerlich
widerstrebt, zu zerstören, unleugbar eine noch dazu selbstmörderische Barbarei,
aber ebenso unleugbar auch eine Konsequenz des russischen Staatsgedankens.
Ungleich mächtiger ist die Ausbreitung Rußlands im Osten, in Asien. Ganz
natürlich, denn der Gedanke eines Weltreichs, dem die Russen so gern nach¬
hängen, ist nicht europäisch, sondern asiatisch, weil er sich nur auf dem Boden


Abendland und Morgenland

romanisch-germanischen Kulturkreise auch in dieser entscheidenden Beziehung in
Gegensatz getreten, nud indem Peter der Große, äußerlich der größte „Westler"
iSapaduik) unter den Herrschern Rußlands, 1725 auch die Leitung der russisch-
orthodoxen Kirche an sich nahm, hat es mit dem znrischcn Absolutismus den
byzantinischen Cäsaropapismus, als dessen Rechtsnachfolger es sich fühlte, ver¬
bunden, also erst recht theokratische, orientalische Formen angenommen. Darum
ist die russische Kirche, ohne Anteil an der lebendigen kirchlichen Entwicklung
des Westens, in Zeremoniendienst erstarrt und übt auf das sittlich-religiöse
Leben des Volkes kaum noch einen Einfluß, und darum giebt es in Rußland
weder einen Adel im europäischen Sinne, noch eine wirkliche Selbstverwaltung,
noch vollends eine Volksvertretung. Auch jähe Übergänge von einem Extrem
zum andern sind häufig, da alles vom persönlichen Willen des Zaren nbhäugt,
und Thronwechsel von orientalischer Gewaltsamkeit sind bis 1801 die Regel
gewesen. Dafür teilt Rußland die Langlebigkeit orientalischer Theokratien
und sieht auf eine ununterbrochne Geschichte von mehr als einem Jahrtausend
zurück, ist also älter als jedes andre jetzt bestehende europäische Staatswesen.

Wohl ist die europäische Bildung in die höhern Schichten des Volks ein¬
gedrungen und hat durch den unausgleichbaren Widerspruch zwischen ihrem
und dem russischen Geiste den Nihilismus hervorgetrieben; aber im rassischen
Volke hat dieser niemals Wurzel geschlagen, und in Form eines rohen, un¬
duldsamen Nationalismus hat der russische Geist schließlich gesiegt. Was Ru߬
land vom Abendlande wirklich aufgenommen hat, das ist etwas äußerliches,
die militärische, wirtschaftliche, gesellschaftliche lind bis zu einem gewissen Grade
auch die wissenschaftliche und künstlerische Technik. Es ist etwa, als wenn das
altpersische Reich vom jüngern Cyrus mit griechischen Kräften reformiert worden
wäre. Griechisch wäre es dadurch nicht geworden, wie auch Rußland seit Peter
dem Großen nicht innerlich europäisch geworden, sondern, vornehmlich durch
deutsche Hilfskräfte, nur äußerlich europäisiert worden ist. Aber eben mit Hilfe
dieser dem Abendlande entlehnten Bildungselemente ist es, im Innern ohne
wirkliche Entwicklung, nach außen rastlos gewachsen. Es hat schon im acht¬
zehnten und im Anfange des neunzehnten Jahrhunderts die baltisch-deutschen
Provinzen, Finnland und den größten Teil Polens unterworfen, ist also tief
in das Gebiet der abendländischen Kultur eingedrungen; es galt dann lange
Zeit als Hort des konservativ-monarchischen Gedankens und hielt besonders
deshalb Preußen und Deutschland in einer gewissen Abhängigkeit; es hat
endlich unter Alexander II. unter dem Drucke des unduldsamen Panslawismus
begonnen, seine halborientalische Kultur jenen abendländischen Anßenposten auf-
zuzwingen, ihr europäisches Wesen, das allerdings dem russischen innerlich
widerstrebt, zu zerstören, unleugbar eine noch dazu selbstmörderische Barbarei,
aber ebenso unleugbar auch eine Konsequenz des russischen Staatsgedankens.
Ungleich mächtiger ist die Ausbreitung Rußlands im Osten, in Asien. Ganz
natürlich, denn der Gedanke eines Weltreichs, dem die Russen so gern nach¬
hängen, ist nicht europäisch, sondern asiatisch, weil er sich nur auf dem Boden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/12>, abgerufen am 15.05.2024.