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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Abendland mit Morgenland

erwachsen, und in Österreich bedroht das überspannte Selbstbewußtsein kleiner
Nationen noch fortwährend den festen Zusammenhang, ja den Bestand des
Reichs, das doch, wenn jemals, so jetzt eine europäische Notwendigkeit ist.
Aber auch der weitläufige Bau des britische" Weltreichs hat genug brüchige
Stellen, und es ist soeben eifrig bestrebt, sich in Südafrika ein neues Irland
zu schaffen, weil es um europäischen Irland offenbar noch nicht genug hat.
Dort ist indessen die politische Erziehung immerhin so weit vorgeschritten, daß
die überwiegende Mehrheit der Wählerschaften die Notwendigkeit der Welt-
Politik und der Weltstellung Englands begreift; im übrigen Europa und ganz
besonders in Deutschland ist eS ein ziemlich hoffnungsloses Beginnen, den
Durchschnittsmenschen zum Verständnis der großen Politik zu erziehn, denn
die Tradition, die in England einige Jahrhunderte alt ist, existiert bei uns
nicht, und der deutsche Staatsbürger, er mag Abgeordneter, Zeitungsschreiber
oder bloßer Zeitungsleser sein, weiß ohnehin immer alles besser als die Regie¬
rung. Um so mehr bedürfen wir einer starken monarchischen Leitung.

Denn Deutschland steht schon seiner geographischen Lage nach im Border-
treffen gegen den Osten, seitdem der verbrecherische Leichtsinn und die politische
Unfähigkeit des polnischen Adels Polen, die alte allerdings selbst noch halb¬
barbarische Vormacht der abendländischen Welt, zerstört und den weitaus größten
Teil der "königlichen Republik" den Moskowitern überliefert hat. Deshalb
hassen russische Nationalisten vom Schlage des Fürsten Uchtomskij kein abend¬
ländisches Volk so sehr wie das "anmaßende, rücksichtslose Germanentum."
Erst in diesem Zusammenhange wird die welthistorische Bedeutung einer Reihe
von Thatsachen der deutschen Geschichte völlig klar: die Bekehrung der West¬
slawen und Ungarn von Deutschland aus und durch deutsche Priester, eines
der größten und bedeutsamsten Werke unsers vielverschrieenen alten Kaisertums,
sodann die Kolonisation und die Angliederung des slawischen Ostens, die vom
Kaisertum begonnen, vom Landesfürstentum weitergeführt wurde, endlich die
Begründung der preußischen und der österreichischen Großmacht ans diesem
Boden. Alle drei Entwicklungsreihen stellen zusammen einen mächtigen Vor¬
stoß abendländischer Kultur gegen den Osten dar. Ohne die erste würden die
Westslaweu griechisch-katholisch, also Glaubensgenossen der Russen sein, wie es
heute die Südslnwcu sind, waren also durch ein Band mit ihm verbunden, das
im Osten weit mehr bedeutet als die Nationalität; ohne die zweite würde die
Grenze des deutschen Volkstums längs der Elbe, der Saale, des Böhmcrwaldes
und der Enns laufen, und die Westdeutschen, die sogenannten "reindeutschen"
Stämme, ans ein verhältnismäßig schmales Gebiet zwischen Alpen und Nordsee
beschränkt, würden im besten Falle, wie in der Karolingerzeit, Außenwerke
eines Westreichs sein, das seinen Schwerpunkt im romanischen Frankreich Hütte;
ohne die dritte Thatsache endlich würden etwa Oder, Sudeten, March und
Leitha die Ostgrenze bilden, und das eingeengte Deutschland wäre uoch heute
der Spielball, das Schlachtfeld und das Ausglcichsobjett der fremden Mächte,
was es vorher so lauge gewesen ist.


Abendland mit Morgenland

erwachsen, und in Österreich bedroht das überspannte Selbstbewußtsein kleiner
Nationen noch fortwährend den festen Zusammenhang, ja den Bestand des
Reichs, das doch, wenn jemals, so jetzt eine europäische Notwendigkeit ist.
Aber auch der weitläufige Bau des britische« Weltreichs hat genug brüchige
Stellen, und es ist soeben eifrig bestrebt, sich in Südafrika ein neues Irland
zu schaffen, weil es um europäischen Irland offenbar noch nicht genug hat.
Dort ist indessen die politische Erziehung immerhin so weit vorgeschritten, daß
die überwiegende Mehrheit der Wählerschaften die Notwendigkeit der Welt-
Politik und der Weltstellung Englands begreift; im übrigen Europa und ganz
besonders in Deutschland ist eS ein ziemlich hoffnungsloses Beginnen, den
Durchschnittsmenschen zum Verständnis der großen Politik zu erziehn, denn
die Tradition, die in England einige Jahrhunderte alt ist, existiert bei uns
nicht, und der deutsche Staatsbürger, er mag Abgeordneter, Zeitungsschreiber
oder bloßer Zeitungsleser sein, weiß ohnehin immer alles besser als die Regie¬
rung. Um so mehr bedürfen wir einer starken monarchischen Leitung.

Denn Deutschland steht schon seiner geographischen Lage nach im Border-
treffen gegen den Osten, seitdem der verbrecherische Leichtsinn und die politische
Unfähigkeit des polnischen Adels Polen, die alte allerdings selbst noch halb¬
barbarische Vormacht der abendländischen Welt, zerstört und den weitaus größten
Teil der „königlichen Republik" den Moskowitern überliefert hat. Deshalb
hassen russische Nationalisten vom Schlage des Fürsten Uchtomskij kein abend¬
ländisches Volk so sehr wie das „anmaßende, rücksichtslose Germanentum."
Erst in diesem Zusammenhange wird die welthistorische Bedeutung einer Reihe
von Thatsachen der deutschen Geschichte völlig klar: die Bekehrung der West¬
slawen und Ungarn von Deutschland aus und durch deutsche Priester, eines
der größten und bedeutsamsten Werke unsers vielverschrieenen alten Kaisertums,
sodann die Kolonisation und die Angliederung des slawischen Ostens, die vom
Kaisertum begonnen, vom Landesfürstentum weitergeführt wurde, endlich die
Begründung der preußischen und der österreichischen Großmacht ans diesem
Boden. Alle drei Entwicklungsreihen stellen zusammen einen mächtigen Vor¬
stoß abendländischer Kultur gegen den Osten dar. Ohne die erste würden die
Westslaweu griechisch-katholisch, also Glaubensgenossen der Russen sein, wie es
heute die Südslnwcu sind, waren also durch ein Band mit ihm verbunden, das
im Osten weit mehr bedeutet als die Nationalität; ohne die zweite würde die
Grenze des deutschen Volkstums längs der Elbe, der Saale, des Böhmcrwaldes
und der Enns laufen, und die Westdeutschen, die sogenannten „reindeutschen"
Stämme, ans ein verhältnismäßig schmales Gebiet zwischen Alpen und Nordsee
beschränkt, würden im besten Falle, wie in der Karolingerzeit, Außenwerke
eines Westreichs sein, das seinen Schwerpunkt im romanischen Frankreich Hütte;
ohne die dritte Thatsache endlich würden etwa Oder, Sudeten, March und
Leitha die Ostgrenze bilden, und das eingeengte Deutschland wäre uoch heute
der Spielball, das Schlachtfeld und das Ausglcichsobjett der fremden Mächte,
was es vorher so lauge gewesen ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/15>, abgerufen am 16.05.2024.