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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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klärt Schneider

nwglich. Was kann denn bei solcher Behandlung einer wahrlich tief ernsten
Sache anders herauskommen, als die Legitimierung einer großen Zahl von
Phrasendreschern zum evangelischen Kirchendienstc? Da liegt ja gerade unser
Schade, Ein Phrasenheld auf einer evangelischen Kanzel ist jedesmal ein Gift¬
mischer, der auf das gesunde religiöse Leben der Gemeinde losgelassen wird.
Auch heute wird aus angeblichen Zeitmangel wenn nicht ganz so schlimm, so
doch ähnlich in den theologischen Prüfungen verfahrein Die Herren vom
Kirchenregiment und die examinierenden Konsistorialräte sollten sich schämen,
wenn sie bei der Prüfung der künftigen evangelischen Geistlichen mit so un¬
verantwortlicher Leichtfertigkeit verfahren, Schneider enthält sich jeder weitern
Kritik dieser haarsträubenden Prüfnngsweise. Sie richtet sich ja selbst, aber
man liest zwischen den Zeilen die gerechte Ironie, um nicht zu sagen Em¬
pörung, mit der er über derartige schwindclhafte Verkehrtheiten hochwürdiger
Examinatoren berichtet.

Im Frühjahr 1851 machte er das Rcktorexamen, und vor Weihnachten
desselben Jahres bestand er die zweite theologische Prüfung, Das war ein
schönes Weihnachtsfest, das er bei seiner Mutter in Schmiedeberg verlebte.
Dort predigte er denn auch am Sonntag nach Weihnachten mit großer Freudig¬
keit das immer neu von uns erlebte Evangelium, In Reiße aber vertiefte er
sich bei aller kirchlichen Arbeit mehr und mehr in die immer reicher an ihn
herantretenden Aufgaben des Unterrichts. Es war eine schöne Zeit, reich an
Arbeit, aber auch reich an Gewinn und erfrischender Anregung, Ganz er¬
götzlich schildert Schneider die wissenschaftliche Gesellschaft Philomathie in Reiße
und einzelne Erfahrungen in seinem sehnlicher. Was er aber begehrte, war
ein Pfarramt. Er wurde endlich im Jahre 1852 in Löwen zum Diakonus
und Rektor gewühlt. Seine Mutter und seine Schwester Sofie zogen zu ihm.
Bei seiner Ordination wurde er auf die unveränderte Augustana verpflichtet.
Es ist bezeichnend für den Entwicklungsgang seines innern Lebens, daß ihn,
das unbedenklich war. Znmnl die lutherische Abendmahlslehre sprach ihn durch
ihren lebendigen, poesievollen Inhalt an. Es war die Zeit der kirchlichen
Reaktion. Der vulgäre Rationalismus war nicht bloß auf den Universitäten
und bei den Konsistorien, sondern auch in den Gemeinden in Mißkredit ge¬
kommen. Die zur Herrschaft gekommne Rechtgläubigst war aber, wie Schneider
zutreffend darlegt, nicht tot, sondern wandte sich auf Wieherns Anregung hin
mit lebensvollen Eifer den Werken der barmherzigen Liebe und der innern
Mission zu. Schneider hat sein Verhältnis zu seinem Amtsvorgänger und
zum Hauptpastor mit feiner Feder geschildert. Seine ersten Erfahrungen im
geistlichen Amte sind nicht bloß kurzweilig, sondern auch sehr nützlich und lehr¬
reich zu lesen. Im Jahre 1854 wurde ihm die Stelle des Neligionslehrers
an dem neu zu begründenden Gymnasium in Krotoschin angeboten. Obwohl
die Einnahme dieser Stelle hinter seiner bisherigen Pfarreinnahme stark zurück¬
blieb, zog ihn doch die Mitarbeit an der Evangelisierung und Germanisierung
der Provinz Posen so an, daß er sich unter Zustimmung seiner Mutter und


Grenzboten 1 1901 4
klärt Schneider

nwglich. Was kann denn bei solcher Behandlung einer wahrlich tief ernsten
Sache anders herauskommen, als die Legitimierung einer großen Zahl von
Phrasendreschern zum evangelischen Kirchendienstc? Da liegt ja gerade unser
Schade, Ein Phrasenheld auf einer evangelischen Kanzel ist jedesmal ein Gift¬
mischer, der auf das gesunde religiöse Leben der Gemeinde losgelassen wird.
Auch heute wird aus angeblichen Zeitmangel wenn nicht ganz so schlimm, so
doch ähnlich in den theologischen Prüfungen verfahrein Die Herren vom
Kirchenregiment und die examinierenden Konsistorialräte sollten sich schämen,
wenn sie bei der Prüfung der künftigen evangelischen Geistlichen mit so un¬
verantwortlicher Leichtfertigkeit verfahren, Schneider enthält sich jeder weitern
Kritik dieser haarsträubenden Prüfnngsweise. Sie richtet sich ja selbst, aber
man liest zwischen den Zeilen die gerechte Ironie, um nicht zu sagen Em¬
pörung, mit der er über derartige schwindclhafte Verkehrtheiten hochwürdiger
Examinatoren berichtet.

Im Frühjahr 1851 machte er das Rcktorexamen, und vor Weihnachten
desselben Jahres bestand er die zweite theologische Prüfung, Das war ein
schönes Weihnachtsfest, das er bei seiner Mutter in Schmiedeberg verlebte.
Dort predigte er denn auch am Sonntag nach Weihnachten mit großer Freudig¬
keit das immer neu von uns erlebte Evangelium, In Reiße aber vertiefte er
sich bei aller kirchlichen Arbeit mehr und mehr in die immer reicher an ihn
herantretenden Aufgaben des Unterrichts. Es war eine schöne Zeit, reich an
Arbeit, aber auch reich an Gewinn und erfrischender Anregung, Ganz er¬
götzlich schildert Schneider die wissenschaftliche Gesellschaft Philomathie in Reiße
und einzelne Erfahrungen in seinem sehnlicher. Was er aber begehrte, war
ein Pfarramt. Er wurde endlich im Jahre 1852 in Löwen zum Diakonus
und Rektor gewühlt. Seine Mutter und seine Schwester Sofie zogen zu ihm.
Bei seiner Ordination wurde er auf die unveränderte Augustana verpflichtet.
Es ist bezeichnend für den Entwicklungsgang seines innern Lebens, daß ihn,
das unbedenklich war. Znmnl die lutherische Abendmahlslehre sprach ihn durch
ihren lebendigen, poesievollen Inhalt an. Es war die Zeit der kirchlichen
Reaktion. Der vulgäre Rationalismus war nicht bloß auf den Universitäten
und bei den Konsistorien, sondern auch in den Gemeinden in Mißkredit ge¬
kommen. Die zur Herrschaft gekommne Rechtgläubigst war aber, wie Schneider
zutreffend darlegt, nicht tot, sondern wandte sich auf Wieherns Anregung hin
mit lebensvollen Eifer den Werken der barmherzigen Liebe und der innern
Mission zu. Schneider hat sein Verhältnis zu seinem Amtsvorgänger und
zum Hauptpastor mit feiner Feder geschildert. Seine ersten Erfahrungen im
geistlichen Amte sind nicht bloß kurzweilig, sondern auch sehr nützlich und lehr¬
reich zu lesen. Im Jahre 1854 wurde ihm die Stelle des Neligionslehrers
an dem neu zu begründenden Gymnasium in Krotoschin angeboten. Obwohl
die Einnahme dieser Stelle hinter seiner bisherigen Pfarreinnahme stark zurück¬
blieb, zog ihn doch die Mitarbeit an der Evangelisierung und Germanisierung
der Provinz Posen so an, daß er sich unter Zustimmung seiner Mutter und


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[0033] klärt Schneider nwglich. Was kann denn bei solcher Behandlung einer wahrlich tief ernsten Sache anders herauskommen, als die Legitimierung einer großen Zahl von Phrasendreschern zum evangelischen Kirchendienstc? Da liegt ja gerade unser Schade, Ein Phrasenheld auf einer evangelischen Kanzel ist jedesmal ein Gift¬ mischer, der auf das gesunde religiöse Leben der Gemeinde losgelassen wird. Auch heute wird aus angeblichen Zeitmangel wenn nicht ganz so schlimm, so doch ähnlich in den theologischen Prüfungen verfahrein Die Herren vom Kirchenregiment und die examinierenden Konsistorialräte sollten sich schämen, wenn sie bei der Prüfung der künftigen evangelischen Geistlichen mit so un¬ verantwortlicher Leichtfertigkeit verfahren, Schneider enthält sich jeder weitern Kritik dieser haarsträubenden Prüfnngsweise. Sie richtet sich ja selbst, aber man liest zwischen den Zeilen die gerechte Ironie, um nicht zu sagen Em¬ pörung, mit der er über derartige schwindclhafte Verkehrtheiten hochwürdiger Examinatoren berichtet. Im Frühjahr 1851 machte er das Rcktorexamen, und vor Weihnachten desselben Jahres bestand er die zweite theologische Prüfung, Das war ein schönes Weihnachtsfest, das er bei seiner Mutter in Schmiedeberg verlebte. Dort predigte er denn auch am Sonntag nach Weihnachten mit großer Freudig¬ keit das immer neu von uns erlebte Evangelium, In Reiße aber vertiefte er sich bei aller kirchlichen Arbeit mehr und mehr in die immer reicher an ihn herantretenden Aufgaben des Unterrichts. Es war eine schöne Zeit, reich an Arbeit, aber auch reich an Gewinn und erfrischender Anregung, Ganz er¬ götzlich schildert Schneider die wissenschaftliche Gesellschaft Philomathie in Reiße und einzelne Erfahrungen in seinem sehnlicher. Was er aber begehrte, war ein Pfarramt. Er wurde endlich im Jahre 1852 in Löwen zum Diakonus und Rektor gewühlt. Seine Mutter und seine Schwester Sofie zogen zu ihm. Bei seiner Ordination wurde er auf die unveränderte Augustana verpflichtet. Es ist bezeichnend für den Entwicklungsgang seines innern Lebens, daß ihn, das unbedenklich war. Znmnl die lutherische Abendmahlslehre sprach ihn durch ihren lebendigen, poesievollen Inhalt an. Es war die Zeit der kirchlichen Reaktion. Der vulgäre Rationalismus war nicht bloß auf den Universitäten und bei den Konsistorien, sondern auch in den Gemeinden in Mißkredit ge¬ kommen. Die zur Herrschaft gekommne Rechtgläubigst war aber, wie Schneider zutreffend darlegt, nicht tot, sondern wandte sich auf Wieherns Anregung hin mit lebensvollen Eifer den Werken der barmherzigen Liebe und der innern Mission zu. Schneider hat sein Verhältnis zu seinem Amtsvorgänger und zum Hauptpastor mit feiner Feder geschildert. Seine ersten Erfahrungen im geistlichen Amte sind nicht bloß kurzweilig, sondern auch sehr nützlich und lehr¬ reich zu lesen. Im Jahre 1854 wurde ihm die Stelle des Neligionslehrers an dem neu zu begründenden Gymnasium in Krotoschin angeboten. Obwohl die Einnahme dieser Stelle hinter seiner bisherigen Pfarreinnahme stark zurück¬ blieb, zog ihn doch die Mitarbeit an der Evangelisierung und Germanisierung der Provinz Posen so an, daß er sich unter Zustimmung seiner Mutter und Grenzboten 1 1901 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/33>, abgerufen am 22.05.2024.