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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Karl Schneider

seiner Schwester bereit erklärte, mich Krotoschin zu gehn, wenn ihm dort ein
geistliches Nebenamt übertragen würde, Gehalt beanspruchte er dafür nicht.
Wirklich stand die Begründung eines Diakonats an der evangelischen Kirche
in Krotoschin in Aussicht. So ging er im Juli 1854 getrost dorthin und
fand in der zwar überwiegend deutschen, aber einen vorgeschobnen Posten gegen
das Polentum bildenden Stadt sehr lohnende, für ihn freilich neue Aufgaben.
Wie er in den dortigen Verhältnissen viel neues lernen mußte und gelernt
hat, wie er allmählich auch wirtschaftlich vorwärts kam, wie er -- auch dieses-
mal im Widerspruch mit seinen materiellen Interessen -- in das evangelische
Pfarramt in Schrodn berufen wurde und es annahm, wie er sich im Oktober
1856 mit der außerordentlich anmutigen und liebenswerten Pflegetochter des
Majors und Bataillonskommandeurs Hoffmann in Krotoschin verlobte und sie
im April 1857 heimführte, wie völlig anders sich Leben und Wirksamkeit in
dieser deutschen und evangelischen Diasporagemeinde (in des Worts verwegenster
Bedeutung) gestalteten, wie eigentümlich, aber günstig der gesellige Verkehr dort
war, das alles, mit konkreten Thatsachen lebendig illustriert, fesselt den Leser,
mag er Geistlicher oder Laie, Lehrer sein oder nicht, von Anfang bis zu Ende
und enthält ein gutes Stuck praktischer Lebensweisheit. Hier wurde Schneider
auch Mitarbeiter an der Sebaldschen Encyklopädie des gesamten llnterrichts-
und Erziehungswesens. Er hat für dieses Werk den Artikel "Leibniz" ge¬
schrieben, und diese Studien haben anch für sei" späteres Leben Bedeutung
gewonnen, auch ohne Zweifel mit dazu beigetragen, daß er vielfach mit seinem
trefflichen gelehrten Namensvetter Dr. K. F. Th. Schneider - er ist als
Geheimer Regierungs- und Provinzialschulrat in Schleswig gestorben -- ver¬
wechselt wurde. Merkwürdig, nebenbei gesagt, daß ein so sorgfältiger Mann
wie unser Schneider, ein Pädagog und Schulmann, der doch auf Korrektheit
der Schreibweise zu achte" amtlich gewöhnt sein muß, mit bedauerlicher Kon¬
sequenz den Namen des großen Philosophen falsch, nämlich Leibnitz statt
Leibniz schreibt. Man findet diesen Irrtum häufig, und es kommt ja so gut
wie nichts darauf an; aber ein Mann wie Karl Schneider sollte sich solche
Flüchtigkeiten nicht erlauben. In Schunds Encyklopädie ist der Name sicher
richtig geschrieben oder vielmehr gedruckt.

Auch sonst ist die Episode in Schrodn reich an litterarischer Thätigkeit,
und die Erzählung davon an allerhaud Kuriositäten. Schneider hatte von
Schroda aus einmal Aussicht, geistlicher Inspektor bei dem theologischen Konvitt
des Klosters Unsrer lieben Frauen in Magdeburg zu werden, eine Stellung,
für die er in der That geeignet gewesen wäre, wie kaum ein zweiter. Für
die Klasingschc Sonntagsbibliothek hatte er die Lebensbeschreibungen von
Klaus Harms und Gotthilf Heinrich Schubert übernommen. Diese letzte hat
mit Recht wiederholte Auflagen erlebt. Die vou Klaus Harms nicht. Das
läßt sich verstehn nach dem, was Schneider selbst von einem kleinen Kampfe
um diese Biographie mitteilt. Die Svnntagsbibliothek wurde von einem
mecklenburgischen Pastor Nische herausgegeben. Schneider hatte in seiner


Karl Schneider

seiner Schwester bereit erklärte, mich Krotoschin zu gehn, wenn ihm dort ein
geistliches Nebenamt übertragen würde, Gehalt beanspruchte er dafür nicht.
Wirklich stand die Begründung eines Diakonats an der evangelischen Kirche
in Krotoschin in Aussicht. So ging er im Juli 1854 getrost dorthin und
fand in der zwar überwiegend deutschen, aber einen vorgeschobnen Posten gegen
das Polentum bildenden Stadt sehr lohnende, für ihn freilich neue Aufgaben.
Wie er in den dortigen Verhältnissen viel neues lernen mußte und gelernt
hat, wie er allmählich auch wirtschaftlich vorwärts kam, wie er — auch dieses-
mal im Widerspruch mit seinen materiellen Interessen — in das evangelische
Pfarramt in Schrodn berufen wurde und es annahm, wie er sich im Oktober
1856 mit der außerordentlich anmutigen und liebenswerten Pflegetochter des
Majors und Bataillonskommandeurs Hoffmann in Krotoschin verlobte und sie
im April 1857 heimführte, wie völlig anders sich Leben und Wirksamkeit in
dieser deutschen und evangelischen Diasporagemeinde (in des Worts verwegenster
Bedeutung) gestalteten, wie eigentümlich, aber günstig der gesellige Verkehr dort
war, das alles, mit konkreten Thatsachen lebendig illustriert, fesselt den Leser,
mag er Geistlicher oder Laie, Lehrer sein oder nicht, von Anfang bis zu Ende
und enthält ein gutes Stuck praktischer Lebensweisheit. Hier wurde Schneider
auch Mitarbeiter an der Sebaldschen Encyklopädie des gesamten llnterrichts-
und Erziehungswesens. Er hat für dieses Werk den Artikel „Leibniz" ge¬
schrieben, und diese Studien haben anch für sei» späteres Leben Bedeutung
gewonnen, auch ohne Zweifel mit dazu beigetragen, daß er vielfach mit seinem
trefflichen gelehrten Namensvetter Dr. K. F. Th. Schneider - er ist als
Geheimer Regierungs- und Provinzialschulrat in Schleswig gestorben — ver¬
wechselt wurde. Merkwürdig, nebenbei gesagt, daß ein so sorgfältiger Mann
wie unser Schneider, ein Pädagog und Schulmann, der doch auf Korrektheit
der Schreibweise zu achte» amtlich gewöhnt sein muß, mit bedauerlicher Kon¬
sequenz den Namen des großen Philosophen falsch, nämlich Leibnitz statt
Leibniz schreibt. Man findet diesen Irrtum häufig, und es kommt ja so gut
wie nichts darauf an; aber ein Mann wie Karl Schneider sollte sich solche
Flüchtigkeiten nicht erlauben. In Schunds Encyklopädie ist der Name sicher
richtig geschrieben oder vielmehr gedruckt.

Auch sonst ist die Episode in Schrodn reich an litterarischer Thätigkeit,
und die Erzählung davon an allerhaud Kuriositäten. Schneider hatte von
Schroda aus einmal Aussicht, geistlicher Inspektor bei dem theologischen Konvitt
des Klosters Unsrer lieben Frauen in Magdeburg zu werden, eine Stellung,
für die er in der That geeignet gewesen wäre, wie kaum ein zweiter. Für
die Klasingschc Sonntagsbibliothek hatte er die Lebensbeschreibungen von
Klaus Harms und Gotthilf Heinrich Schubert übernommen. Diese letzte hat
mit Recht wiederholte Auflagen erlebt. Die vou Klaus Harms nicht. Das
läßt sich verstehn nach dem, was Schneider selbst von einem kleinen Kampfe
um diese Biographie mitteilt. Die Svnntagsbibliothek wurde von einem
mecklenburgischen Pastor Nische herausgegeben. Schneider hatte in seiner


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[0034] Karl Schneider seiner Schwester bereit erklärte, mich Krotoschin zu gehn, wenn ihm dort ein geistliches Nebenamt übertragen würde, Gehalt beanspruchte er dafür nicht. Wirklich stand die Begründung eines Diakonats an der evangelischen Kirche in Krotoschin in Aussicht. So ging er im Juli 1854 getrost dorthin und fand in der zwar überwiegend deutschen, aber einen vorgeschobnen Posten gegen das Polentum bildenden Stadt sehr lohnende, für ihn freilich neue Aufgaben. Wie er in den dortigen Verhältnissen viel neues lernen mußte und gelernt hat, wie er allmählich auch wirtschaftlich vorwärts kam, wie er — auch dieses- mal im Widerspruch mit seinen materiellen Interessen — in das evangelische Pfarramt in Schrodn berufen wurde und es annahm, wie er sich im Oktober 1856 mit der außerordentlich anmutigen und liebenswerten Pflegetochter des Majors und Bataillonskommandeurs Hoffmann in Krotoschin verlobte und sie im April 1857 heimführte, wie völlig anders sich Leben und Wirksamkeit in dieser deutschen und evangelischen Diasporagemeinde (in des Worts verwegenster Bedeutung) gestalteten, wie eigentümlich, aber günstig der gesellige Verkehr dort war, das alles, mit konkreten Thatsachen lebendig illustriert, fesselt den Leser, mag er Geistlicher oder Laie, Lehrer sein oder nicht, von Anfang bis zu Ende und enthält ein gutes Stuck praktischer Lebensweisheit. Hier wurde Schneider auch Mitarbeiter an der Sebaldschen Encyklopädie des gesamten llnterrichts- und Erziehungswesens. Er hat für dieses Werk den Artikel „Leibniz" ge¬ schrieben, und diese Studien haben anch für sei» späteres Leben Bedeutung gewonnen, auch ohne Zweifel mit dazu beigetragen, daß er vielfach mit seinem trefflichen gelehrten Namensvetter Dr. K. F. Th. Schneider - er ist als Geheimer Regierungs- und Provinzialschulrat in Schleswig gestorben — ver¬ wechselt wurde. Merkwürdig, nebenbei gesagt, daß ein so sorgfältiger Mann wie unser Schneider, ein Pädagog und Schulmann, der doch auf Korrektheit der Schreibweise zu achte» amtlich gewöhnt sein muß, mit bedauerlicher Kon¬ sequenz den Namen des großen Philosophen falsch, nämlich Leibnitz statt Leibniz schreibt. Man findet diesen Irrtum häufig, und es kommt ja so gut wie nichts darauf an; aber ein Mann wie Karl Schneider sollte sich solche Flüchtigkeiten nicht erlauben. In Schunds Encyklopädie ist der Name sicher richtig geschrieben oder vielmehr gedruckt. Auch sonst ist die Episode in Schrodn reich an litterarischer Thätigkeit, und die Erzählung davon an allerhaud Kuriositäten. Schneider hatte von Schroda aus einmal Aussicht, geistlicher Inspektor bei dem theologischen Konvitt des Klosters Unsrer lieben Frauen in Magdeburg zu werden, eine Stellung, für die er in der That geeignet gewesen wäre, wie kaum ein zweiter. Für die Klasingschc Sonntagsbibliothek hatte er die Lebensbeschreibungen von Klaus Harms und Gotthilf Heinrich Schubert übernommen. Diese letzte hat mit Recht wiederholte Auflagen erlebt. Die vou Klaus Harms nicht. Das läßt sich verstehn nach dem, was Schneider selbst von einem kleinen Kampfe um diese Biographie mitteilt. Die Svnntagsbibliothek wurde von einem mecklenburgischen Pastor Nische herausgegeben. Schneider hatte in seiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/34>, abgerufen am 16.05.2024.