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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Paul Heyse

Kinkel, der Schönredner auf dem Katheder, enttäuscht ihn gründlich schon durch
die erste" Vorlesungen, kein ernster Gelehrter im Stil der Kugler, Schmause,
Karl Bötticher und Burckhardt. Jakob Burckhardt war der Mann nach seinem
Herzen, der ganz wie ein Künstler empfand und seine italienischen Lieder sang.
Ebenso der für alles Formelle empfängliche und empfindliche, sauber arbeitende
Philologe Otto Ribbeck, der eigentliche Hauptfreuud Heyses von Berlin her.
Sehr nett und zugleich unterrichtend für Heyses Art sind die Bemerkungen
über Scheffel. Beide haben sich in Rom angefreundet, und Scheffel liest Heyse
in Sorrent die ersten Trompetergesänge vor. Dieser ergötzt sich an den komischen
Szenen, findet aber die Liebesgeschichte düsseldorfisch-romantisch und ahnt den
spätern ungeheuern Erfolg des Ganzen nicht vou fern: es sei verwegen, darauf eine
Poeteuzukuuft zu gründen. Dann im Winter 1857 kommt Scheffel auf Besuch
nach München, damals schon ein gefeierter junger Dichter und allerseits mit
offnen Armen aufgenommen, wobei er sich freilich "ach seiner Art etwas steif
und wortkarg verhielt, selten zu bewegen war, etwas vorzulesen, und hinter
halb geschlossenen Lidern vor sich hinznträumen schien, bis der Humor in ihm
aufwachte und ein im trockensten Ton hingeworfiies Scherzwort Zeugnis von
seiner frischen Geistesgegenwart gab. Die Freuiidschaft blieb bis ans Ende,
so verschiedentönig ihre Kunst war. Die seit Redwitz und Scheffel in Blüte
geschossene, mit lyrischen Blumen durchwirkte poetische Erzählung mußte zwar
in ihrem bunten Gemisch von Neröarten einem Dichter vo" dem strenge"
Formgefühl Heyses stillos vorkomme", der Trompeter von Säkkingen aber (so
urteilt er), der noch ans dieser Verirnmg des Zeitgeschmacks hervorging,
gewann durch die liebenswürdige Frische des Temperaments und den sieg¬
reichen Humor eine Lebenskraft, die alle gleichzeitigen Erscheinungen über¬
dauerte.

Solche Bemerkungen führen uns aus den tiefern Grund des Buchs, worin
die Mitteilungen aus der äußern Lebensgeschichte nicht die Hauptsachen sind,
sondern die Bekenntnisse des Dichters über seine Kunst. Er führt sie mit der
feinen Bescheidenheit ein, die welterfahrne Männer kennzeichnet, wo sie über
sich selbst rede" müsse". Sie siud gehaltvoll, hochinteressa"t ""d wichtig für
unsre ganze zeitgenössische schöne Litteratur. Die landläufige Meinung, die
jede Leistung auf kurze Formeln zu bringe" pflegt, hat'für ih" zwei Prädikate
ausgesucht: deu "Künstler" und das "Formtalent." Er selbst verwahrt sich gegen
solche Beschränkung und weist aus den lebe"digeu Inhalt seiner Dichtung hin.
Sie richtet ihn auf, da er einst vou schwerem Familie"uuglück getroffen wird,
und um schreibt er -- die Kinder der Welt. Ein Jenseits giebt es ja für
ihn nicht. Das Zeitliche im Lichte des Ewigen nennt er an einer andern Stelle
das Ziel seiner Arbeit. Wer an diese," Inhalt nicht genug hat, und wer
oftmals, außer wo sichs um Liebe handelt, die Wärme des Gefühls vermißt,
dem hilft freilich kein Nachweis, wieviel ein Dichter wirklich bei seinen: Dichten
gefühlt habe. Aber als "Künstler" kann er ihn genießen, auch ohne Kom¬
mentar.


Paul Heyse

Kinkel, der Schönredner auf dem Katheder, enttäuscht ihn gründlich schon durch
die erste» Vorlesungen, kein ernster Gelehrter im Stil der Kugler, Schmause,
Karl Bötticher und Burckhardt. Jakob Burckhardt war der Mann nach seinem
Herzen, der ganz wie ein Künstler empfand und seine italienischen Lieder sang.
Ebenso der für alles Formelle empfängliche und empfindliche, sauber arbeitende
Philologe Otto Ribbeck, der eigentliche Hauptfreuud Heyses von Berlin her.
Sehr nett und zugleich unterrichtend für Heyses Art sind die Bemerkungen
über Scheffel. Beide haben sich in Rom angefreundet, und Scheffel liest Heyse
in Sorrent die ersten Trompetergesänge vor. Dieser ergötzt sich an den komischen
Szenen, findet aber die Liebesgeschichte düsseldorfisch-romantisch und ahnt den
spätern ungeheuern Erfolg des Ganzen nicht vou fern: es sei verwegen, darauf eine
Poeteuzukuuft zu gründen. Dann im Winter 1857 kommt Scheffel auf Besuch
nach München, damals schon ein gefeierter junger Dichter und allerseits mit
offnen Armen aufgenommen, wobei er sich freilich »ach seiner Art etwas steif
und wortkarg verhielt, selten zu bewegen war, etwas vorzulesen, und hinter
halb geschlossenen Lidern vor sich hinznträumen schien, bis der Humor in ihm
aufwachte und ein im trockensten Ton hingeworfiies Scherzwort Zeugnis von
seiner frischen Geistesgegenwart gab. Die Freuiidschaft blieb bis ans Ende,
so verschiedentönig ihre Kunst war. Die seit Redwitz und Scheffel in Blüte
geschossene, mit lyrischen Blumen durchwirkte poetische Erzählung mußte zwar
in ihrem bunten Gemisch von Neröarten einem Dichter vo» dem strenge»
Formgefühl Heyses stillos vorkomme», der Trompeter von Säkkingen aber (so
urteilt er), der noch ans dieser Verirnmg des Zeitgeschmacks hervorging,
gewann durch die liebenswürdige Frische des Temperaments und den sieg¬
reichen Humor eine Lebenskraft, die alle gleichzeitigen Erscheinungen über¬
dauerte.

Solche Bemerkungen führen uns aus den tiefern Grund des Buchs, worin
die Mitteilungen aus der äußern Lebensgeschichte nicht die Hauptsachen sind,
sondern die Bekenntnisse des Dichters über seine Kunst. Er führt sie mit der
feinen Bescheidenheit ein, die welterfahrne Männer kennzeichnet, wo sie über
sich selbst rede» müsse». Sie siud gehaltvoll, hochinteressa»t »»d wichtig für
unsre ganze zeitgenössische schöne Litteratur. Die landläufige Meinung, die
jede Leistung auf kurze Formeln zu bringe» pflegt, hat'für ih» zwei Prädikate
ausgesucht: deu „Künstler" und das „Formtalent." Er selbst verwahrt sich gegen
solche Beschränkung und weist aus den lebe»digeu Inhalt seiner Dichtung hin.
Sie richtet ihn auf, da er einst vou schwerem Familie»uuglück getroffen wird,
und um schreibt er — die Kinder der Welt. Ein Jenseits giebt es ja für
ihn nicht. Das Zeitliche im Lichte des Ewigen nennt er an einer andern Stelle
das Ziel seiner Arbeit. Wer an diese,» Inhalt nicht genug hat, und wer
oftmals, außer wo sichs um Liebe handelt, die Wärme des Gefühls vermißt,
dem hilft freilich kein Nachweis, wieviel ein Dichter wirklich bei seinen: Dichten
gefühlt habe. Aber als „Künstler" kann er ihn genießen, auch ohne Kom¬
mentar.


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[0039] Paul Heyse Kinkel, der Schönredner auf dem Katheder, enttäuscht ihn gründlich schon durch die erste» Vorlesungen, kein ernster Gelehrter im Stil der Kugler, Schmause, Karl Bötticher und Burckhardt. Jakob Burckhardt war der Mann nach seinem Herzen, der ganz wie ein Künstler empfand und seine italienischen Lieder sang. Ebenso der für alles Formelle empfängliche und empfindliche, sauber arbeitende Philologe Otto Ribbeck, der eigentliche Hauptfreuud Heyses von Berlin her. Sehr nett und zugleich unterrichtend für Heyses Art sind die Bemerkungen über Scheffel. Beide haben sich in Rom angefreundet, und Scheffel liest Heyse in Sorrent die ersten Trompetergesänge vor. Dieser ergötzt sich an den komischen Szenen, findet aber die Liebesgeschichte düsseldorfisch-romantisch und ahnt den spätern ungeheuern Erfolg des Ganzen nicht vou fern: es sei verwegen, darauf eine Poeteuzukuuft zu gründen. Dann im Winter 1857 kommt Scheffel auf Besuch nach München, damals schon ein gefeierter junger Dichter und allerseits mit offnen Armen aufgenommen, wobei er sich freilich »ach seiner Art etwas steif und wortkarg verhielt, selten zu bewegen war, etwas vorzulesen, und hinter halb geschlossenen Lidern vor sich hinznträumen schien, bis der Humor in ihm aufwachte und ein im trockensten Ton hingeworfiies Scherzwort Zeugnis von seiner frischen Geistesgegenwart gab. Die Freuiidschaft blieb bis ans Ende, so verschiedentönig ihre Kunst war. Die seit Redwitz und Scheffel in Blüte geschossene, mit lyrischen Blumen durchwirkte poetische Erzählung mußte zwar in ihrem bunten Gemisch von Neröarten einem Dichter vo» dem strenge» Formgefühl Heyses stillos vorkomme», der Trompeter von Säkkingen aber (so urteilt er), der noch ans dieser Verirnmg des Zeitgeschmacks hervorging, gewann durch die liebenswürdige Frische des Temperaments und den sieg¬ reichen Humor eine Lebenskraft, die alle gleichzeitigen Erscheinungen über¬ dauerte. Solche Bemerkungen führen uns aus den tiefern Grund des Buchs, worin die Mitteilungen aus der äußern Lebensgeschichte nicht die Hauptsachen sind, sondern die Bekenntnisse des Dichters über seine Kunst. Er führt sie mit der feinen Bescheidenheit ein, die welterfahrne Männer kennzeichnet, wo sie über sich selbst rede» müsse». Sie siud gehaltvoll, hochinteressa»t »»d wichtig für unsre ganze zeitgenössische schöne Litteratur. Die landläufige Meinung, die jede Leistung auf kurze Formeln zu bringe» pflegt, hat'für ih» zwei Prädikate ausgesucht: deu „Künstler" und das „Formtalent." Er selbst verwahrt sich gegen solche Beschränkung und weist aus den lebe»digeu Inhalt seiner Dichtung hin. Sie richtet ihn auf, da er einst vou schwerem Familie»uuglück getroffen wird, und um schreibt er — die Kinder der Welt. Ein Jenseits giebt es ja für ihn nicht. Das Zeitliche im Lichte des Ewigen nennt er an einer andern Stelle das Ziel seiner Arbeit. Wer an diese,» Inhalt nicht genug hat, und wer oftmals, außer wo sichs um Liebe handelt, die Wärme des Gefühls vermißt, dem hilft freilich kein Nachweis, wieviel ein Dichter wirklich bei seinen: Dichten gefühlt habe. Aber als „Künstler" kann er ihn genießen, auch ohne Kom¬ mentar.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/39>, abgerufen am 15.05.2024.