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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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j)aut Heyse

und Sinne im tiefsten erquickender nicht gedacht werden konnte." Offner und
zugleich zarter und schöner konnte das wohl nicht gesagt werden,

Paul Heyse gehört zu den wenigen, denen das mutlose Dichterleben voll
gelungen ist. Für ihn, den während der Universitätsjahrc in Berlin und Bonn
keine Neigung an ein bestimmtes Fachstudium hatte fesseln können, war es ein
Glück, daß ihn gerade als er von einer einjährigen italienischen Reise nach
Hanse zurückgekehrt war, ein Ruf ans München traf an die Tafelrunde des
Königs Max; nun hatte er eine feste Heimat und einen Beruf, den ihm des
Königs Freundlichkeit nicht schwer machte. Der wißbegierige hohe Herr wollte
von den fremden Schriftstellern und Dichtern lernen; die "Eingebornen" waren
ausgeschlossen, Geibel, der seinen jungen Berliner Freund empfohlen hatte,
herrschte in diesem Kreise, er donnerte Bodenstedt nieder, der ihm durchaus
unsympathisch war, und der uoch von dem Erfolg des Mirza Schafft) mit
seinem "ziemlich äußerlichen Witz" zehrte. Ausführlich wird das Leben am
Hofe des Königs geschildert mit seinen Symposien und den Theeabeuden, an
denen auch die Königin nicht ganz aus freier Neigung teilnahm. Eine Menge
bekannter Zeitgenossen wird uns vorgeführt lind manche eingehend und zu¬
treffend gewürdigt, z, B. Riehl als Hausmusiker, Novellist und halbwisseu-
schaftlicher Schriftsteller, der sich über die Kulturwelt seine Gedanken machte
und sie niederschrieb, wie wenn niemand vor ihm sich dieser Aufgabe unter¬
zogen hätte, oder der Graf Schack als aristokratischer Bildungspoet und Nhe-
toriker ohne Naturlaut und ohne schriftstellerischen Erfolg, wogegen seine Ver¬
dienste als Knnstmäcen und Förderer der Genelli, Böcklin und Feuerbach doch
wohl nicht ganz gerecht bloß auf die Einsicht seiner Berater zurückgeführt werden.
Auch sonst durchzieht das Buch eine Menge kurzer und treffender Charak¬
teristiken, die manchmal zugleich für den, der sie giebt, bezeichnend sind. Er
lernt schon 1852 Justinus Kerner kennen, der ihm bei zngezognen Gardinen
ein Konzert aus der Maultrommel giebt, und wiewohl fast erblindet, wenn sich
Frauen und Mädchen ihm nähern, die häßlichen von den hübschen zu unter¬
scheiden weiß, jene stehn läßt, diese aber nahe an sich heranzieht, um sie genau
zu betrachten, und dann auf den Mund küßt. Später besucht er ihn noch
einmal, auf der Reise nach Italien, den lieben alten Mann, der jedenfalls ein
geborner Poet war, wenn er sich auch nie zu höher" Leistungen erzogen hat.
Daß der feierlich getragne Gregorovius ans der Stadt der reinen Verminst,
der überall moralische Maßstäbe anlegte, und wohin er anch treten mochte, ge¬
weihten historischen Boden sah, nicht zu Heyse paßte, versteht mau ohne
weiteres; sie hatten allzubald den Gegensatz ihrer Naturen empfunden. Aber
mit Jakob Bernays in Bonn wurde er eng befreundet, einem der tiefsten
Denker, die sich jemals der Aufgabe der Philologie, Erkanntes zu erkennen
(Böckhs Definition), unterzogen haben. Nur eins fehlte ihm, das dem jüdischen
Stamme selten eigen zu sein pflegt: das Organ für das Künstlerische. Als
ihn Heyse einmal auffordert, ein irgendwo ausgestelltes Bild anzusehen, meint
er achselzuckend: Wozu soll ich das? Ich war ja im Louvre! Gottfried


j)aut Heyse

und Sinne im tiefsten erquickender nicht gedacht werden konnte." Offner und
zugleich zarter und schöner konnte das wohl nicht gesagt werden,

Paul Heyse gehört zu den wenigen, denen das mutlose Dichterleben voll
gelungen ist. Für ihn, den während der Universitätsjahrc in Berlin und Bonn
keine Neigung an ein bestimmtes Fachstudium hatte fesseln können, war es ein
Glück, daß ihn gerade als er von einer einjährigen italienischen Reise nach
Hanse zurückgekehrt war, ein Ruf ans München traf an die Tafelrunde des
Königs Max; nun hatte er eine feste Heimat und einen Beruf, den ihm des
Königs Freundlichkeit nicht schwer machte. Der wißbegierige hohe Herr wollte
von den fremden Schriftstellern und Dichtern lernen; die „Eingebornen" waren
ausgeschlossen, Geibel, der seinen jungen Berliner Freund empfohlen hatte,
herrschte in diesem Kreise, er donnerte Bodenstedt nieder, der ihm durchaus
unsympathisch war, und der uoch von dem Erfolg des Mirza Schafft) mit
seinem „ziemlich äußerlichen Witz" zehrte. Ausführlich wird das Leben am
Hofe des Königs geschildert mit seinen Symposien und den Theeabeuden, an
denen auch die Königin nicht ganz aus freier Neigung teilnahm. Eine Menge
bekannter Zeitgenossen wird uns vorgeführt lind manche eingehend und zu¬
treffend gewürdigt, z, B. Riehl als Hausmusiker, Novellist und halbwisseu-
schaftlicher Schriftsteller, der sich über die Kulturwelt seine Gedanken machte
und sie niederschrieb, wie wenn niemand vor ihm sich dieser Aufgabe unter¬
zogen hätte, oder der Graf Schack als aristokratischer Bildungspoet und Nhe-
toriker ohne Naturlaut und ohne schriftstellerischen Erfolg, wogegen seine Ver¬
dienste als Knnstmäcen und Förderer der Genelli, Böcklin und Feuerbach doch
wohl nicht ganz gerecht bloß auf die Einsicht seiner Berater zurückgeführt werden.
Auch sonst durchzieht das Buch eine Menge kurzer und treffender Charak¬
teristiken, die manchmal zugleich für den, der sie giebt, bezeichnend sind. Er
lernt schon 1852 Justinus Kerner kennen, der ihm bei zngezognen Gardinen
ein Konzert aus der Maultrommel giebt, und wiewohl fast erblindet, wenn sich
Frauen und Mädchen ihm nähern, die häßlichen von den hübschen zu unter¬
scheiden weiß, jene stehn läßt, diese aber nahe an sich heranzieht, um sie genau
zu betrachten, und dann auf den Mund küßt. Später besucht er ihn noch
einmal, auf der Reise nach Italien, den lieben alten Mann, der jedenfalls ein
geborner Poet war, wenn er sich auch nie zu höher« Leistungen erzogen hat.
Daß der feierlich getragne Gregorovius ans der Stadt der reinen Verminst,
der überall moralische Maßstäbe anlegte, und wohin er anch treten mochte, ge¬
weihten historischen Boden sah, nicht zu Heyse paßte, versteht mau ohne
weiteres; sie hatten allzubald den Gegensatz ihrer Naturen empfunden. Aber
mit Jakob Bernays in Bonn wurde er eng befreundet, einem der tiefsten
Denker, die sich jemals der Aufgabe der Philologie, Erkanntes zu erkennen
(Böckhs Definition), unterzogen haben. Nur eins fehlte ihm, das dem jüdischen
Stamme selten eigen zu sein pflegt: das Organ für das Künstlerische. Als
ihn Heyse einmal auffordert, ein irgendwo ausgestelltes Bild anzusehen, meint
er achselzuckend: Wozu soll ich das? Ich war ja im Louvre! Gottfried


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/38>, abgerufen am 22.05.2024.