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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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durch jeden gehört, den Bildung oder Besitz berechtigen, eine hervorragende
Stelle in Anspruch zu nehmen.

Dresden ist eine Stadt zum schleudern. Der Strom, die große Brücke,
die weiche Luft, die blauen Hügel, die interessanten Vanwerle laden zur Betrach¬
tung ein. Ich vergleiche diese Eigenschaft Dresdens mit Florenz, Brüssel, München.
Wer aus dem geschäftigen, nüchternen Leipzig kommt, das sich, seitdem es sich
mit einem Kranz von Fabrikdörfern umschlungen hat, niemals, auch um höchsten
Festtagen nicht seines Alltagsgewandes entledigen kann, findet in Dresden die
Festtagsstimmung einer von zahllosen müßigen Menschen bewohnten und zu
allen Jahreszeiten von Vergnügungsreisenden besuchten Residenzstadt. Die
Menschen geh" gut gekleidet, sogar geputzt auf den Straßen, ihr Schritt ist
langsam, sie "lassen sich Zeit," glänzend ausgestattete Gewölbe öffnen sich auf
die Straßen, Kaffeehäuser sind von lesenden und spielenden Gästen besucht,
und stille Alleen öffnen sich zu beiden Seiten der Verkehrsstraßen. Dabei
fehlen nicht die Erinnerungen an eine anders geartete Vergangenheit. Die
Lebensader der alten Stadt, die Prngerstrnße, ist keine breite Trinmphstraße
wie "die Linden," sie hat vielmehr etwas eng bürgerliches, das der Entwick¬
lung Dresdens aus kleinen, fast dörflichen Verhältnissen entspricht. Dazu
paßt die bürgerliche Lage der Residenz, der gegenüber, nur durch die Straße ge¬
trennt, sich die Schaufenster breit machen. Die großartige Elblandschaft mit der
Terrasse, der herrlichen alten Brücke und dem Zwinger, sind durch den dunkeln
Durchgang ganz davon getrennt, gerade so wie das bürgerliche und büreaukratische
Dresden einst unberührt geblieben war von den Kunstbestrebungen des Hofes.
Beide nmfnßt nnn das moderne Dresden, hier Stadt der Industrie und des
Handels, dort Fremdenstadt. Sogar in der Fremdenstadt möchte man noch
die Schichtungen einer geschichtlichen Entwicklung verfolgen, denn der Wechsel
ist nicht unbeträchtlich von der Zeit um, wo die polnischen und die russischen
Familien zuerst die Vorzüge Dresdens für den Aufenthalt in der Fremde er¬
kannt hatten, und der Periode der großen Überschwemmung mit Engländern
und Amerikanern, der endlich ein starker Zustrom norddeutscher Ruhe- und
Genußsuchender folgte.

Während wir am Elbufer hinwanderten, führte uns die Betrachtung
dieser Vergangenheit unmerklich aus der transatlantischen Stimmung der letzten
Stunden in die deutsche Gegenwart zurück. Niemand hatte deu Wunsch, sich
ihr zu entziehn, denn auch die gebornen Amerikaner gehörten zu denen, die
sich Deutschland in irgend einer Beziehung verschuldet wissen. Wir hatten
in unserm Kreise einen der ersten Ärzte von Newhork, den Sprößling einer
der idealgesinnten Judenfamilien, die in den fünfziger Jahren zu dein besten
Kern der deutsch-amerikanischen Gesellschaft gehörten. Er war in Deutschland
gebildet, und zwar nicht gefirnißt, sondern gesättigt mit deutscher Wissen¬
schaft, dabei Amerikaner von Gesittung und wohl mich Gesinnung. Er kam
von einem der großen internationalen Kongresse und teilte uns seine Ein¬
drücke mit. Wissenschaftlich, meint er, folgen wir ja alle entschlossen und in


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durch jeden gehört, den Bildung oder Besitz berechtigen, eine hervorragende
Stelle in Anspruch zu nehmen.

Dresden ist eine Stadt zum schleudern. Der Strom, die große Brücke,
die weiche Luft, die blauen Hügel, die interessanten Vanwerle laden zur Betrach¬
tung ein. Ich vergleiche diese Eigenschaft Dresdens mit Florenz, Brüssel, München.
Wer aus dem geschäftigen, nüchternen Leipzig kommt, das sich, seitdem es sich
mit einem Kranz von Fabrikdörfern umschlungen hat, niemals, auch um höchsten
Festtagen nicht seines Alltagsgewandes entledigen kann, findet in Dresden die
Festtagsstimmung einer von zahllosen müßigen Menschen bewohnten und zu
allen Jahreszeiten von Vergnügungsreisenden besuchten Residenzstadt. Die
Menschen geh» gut gekleidet, sogar geputzt auf den Straßen, ihr Schritt ist
langsam, sie „lassen sich Zeit," glänzend ausgestattete Gewölbe öffnen sich auf
die Straßen, Kaffeehäuser sind von lesenden und spielenden Gästen besucht,
und stille Alleen öffnen sich zu beiden Seiten der Verkehrsstraßen. Dabei
fehlen nicht die Erinnerungen an eine anders geartete Vergangenheit. Die
Lebensader der alten Stadt, die Prngerstrnße, ist keine breite Trinmphstraße
wie „die Linden," sie hat vielmehr etwas eng bürgerliches, das der Entwick¬
lung Dresdens aus kleinen, fast dörflichen Verhältnissen entspricht. Dazu
paßt die bürgerliche Lage der Residenz, der gegenüber, nur durch die Straße ge¬
trennt, sich die Schaufenster breit machen. Die großartige Elblandschaft mit der
Terrasse, der herrlichen alten Brücke und dem Zwinger, sind durch den dunkeln
Durchgang ganz davon getrennt, gerade so wie das bürgerliche und büreaukratische
Dresden einst unberührt geblieben war von den Kunstbestrebungen des Hofes.
Beide nmfnßt nnn das moderne Dresden, hier Stadt der Industrie und des
Handels, dort Fremdenstadt. Sogar in der Fremdenstadt möchte man noch
die Schichtungen einer geschichtlichen Entwicklung verfolgen, denn der Wechsel
ist nicht unbeträchtlich von der Zeit um, wo die polnischen und die russischen
Familien zuerst die Vorzüge Dresdens für den Aufenthalt in der Fremde er¬
kannt hatten, und der Periode der großen Überschwemmung mit Engländern
und Amerikanern, der endlich ein starker Zustrom norddeutscher Ruhe- und
Genußsuchender folgte.

Während wir am Elbufer hinwanderten, führte uns die Betrachtung
dieser Vergangenheit unmerklich aus der transatlantischen Stimmung der letzten
Stunden in die deutsche Gegenwart zurück. Niemand hatte deu Wunsch, sich
ihr zu entziehn, denn auch die gebornen Amerikaner gehörten zu denen, die
sich Deutschland in irgend einer Beziehung verschuldet wissen. Wir hatten
in unserm Kreise einen der ersten Ärzte von Newhork, den Sprößling einer
der idealgesinnten Judenfamilien, die in den fünfziger Jahren zu dein besten
Kern der deutsch-amerikanischen Gesellschaft gehörten. Er war in Deutschland
gebildet, und zwar nicht gefirnißt, sondern gesättigt mit deutscher Wissen¬
schaft, dabei Amerikaner von Gesittung und wohl mich Gesinnung. Er kam
von einem der großen internationalen Kongresse und teilte uns seine Ein¬
drücke mit. Wissenschaftlich, meint er, folgen wir ja alle entschlossen und in


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[0610] Briafc lines Zurückgekehrten durch jeden gehört, den Bildung oder Besitz berechtigen, eine hervorragende Stelle in Anspruch zu nehmen. Dresden ist eine Stadt zum schleudern. Der Strom, die große Brücke, die weiche Luft, die blauen Hügel, die interessanten Vanwerle laden zur Betrach¬ tung ein. Ich vergleiche diese Eigenschaft Dresdens mit Florenz, Brüssel, München. Wer aus dem geschäftigen, nüchternen Leipzig kommt, das sich, seitdem es sich mit einem Kranz von Fabrikdörfern umschlungen hat, niemals, auch um höchsten Festtagen nicht seines Alltagsgewandes entledigen kann, findet in Dresden die Festtagsstimmung einer von zahllosen müßigen Menschen bewohnten und zu allen Jahreszeiten von Vergnügungsreisenden besuchten Residenzstadt. Die Menschen geh» gut gekleidet, sogar geputzt auf den Straßen, ihr Schritt ist langsam, sie „lassen sich Zeit," glänzend ausgestattete Gewölbe öffnen sich auf die Straßen, Kaffeehäuser sind von lesenden und spielenden Gästen besucht, und stille Alleen öffnen sich zu beiden Seiten der Verkehrsstraßen. Dabei fehlen nicht die Erinnerungen an eine anders geartete Vergangenheit. Die Lebensader der alten Stadt, die Prngerstrnße, ist keine breite Trinmphstraße wie „die Linden," sie hat vielmehr etwas eng bürgerliches, das der Entwick¬ lung Dresdens aus kleinen, fast dörflichen Verhältnissen entspricht. Dazu paßt die bürgerliche Lage der Residenz, der gegenüber, nur durch die Straße ge¬ trennt, sich die Schaufenster breit machen. Die großartige Elblandschaft mit der Terrasse, der herrlichen alten Brücke und dem Zwinger, sind durch den dunkeln Durchgang ganz davon getrennt, gerade so wie das bürgerliche und büreaukratische Dresden einst unberührt geblieben war von den Kunstbestrebungen des Hofes. Beide nmfnßt nnn das moderne Dresden, hier Stadt der Industrie und des Handels, dort Fremdenstadt. Sogar in der Fremdenstadt möchte man noch die Schichtungen einer geschichtlichen Entwicklung verfolgen, denn der Wechsel ist nicht unbeträchtlich von der Zeit um, wo die polnischen und die russischen Familien zuerst die Vorzüge Dresdens für den Aufenthalt in der Fremde er¬ kannt hatten, und der Periode der großen Überschwemmung mit Engländern und Amerikanern, der endlich ein starker Zustrom norddeutscher Ruhe- und Genußsuchender folgte. Während wir am Elbufer hinwanderten, führte uns die Betrachtung dieser Vergangenheit unmerklich aus der transatlantischen Stimmung der letzten Stunden in die deutsche Gegenwart zurück. Niemand hatte deu Wunsch, sich ihr zu entziehn, denn auch die gebornen Amerikaner gehörten zu denen, die sich Deutschland in irgend einer Beziehung verschuldet wissen. Wir hatten in unserm Kreise einen der ersten Ärzte von Newhork, den Sprößling einer der idealgesinnten Judenfamilien, die in den fünfziger Jahren zu dein besten Kern der deutsch-amerikanischen Gesellschaft gehörten. Er war in Deutschland gebildet, und zwar nicht gefirnißt, sondern gesättigt mit deutscher Wissen¬ schaft, dabei Amerikaner von Gesittung und wohl mich Gesinnung. Er kam von einem der großen internationalen Kongresse und teilte uns seine Ein¬ drücke mit. Wissenschaftlich, meint er, folgen wir ja alle entschlossen und in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/610>, abgerufen am 15.06.2024.