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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Lnefe eines Zurückgekehrten

gericht. Auf die Welt darüber hinaus giebt er nicht viel, Sein Fach, seine
Lieblingsgedanken oder -theorien, seine Schiller, die sind seine Welt, Wenn
nicht die leidigen Titel und Orden wären, könnte man sagen: der direkte Nach¬
komme des Sokrates und des Plato, der Lehrer nicht bloß seines Volks, nein
der Menschheit. Das werden wir in Amerika nicht nachmachen, wie es denn
eine Anzahl von Dingen in Deutschland giebt, die man nirgends im Ausland
nachahme" kann; es sind mehr und größere, als man sich in Deutschland selbst
träumen läßt.

Um bei den Hochschulen zu bleiben: der Amerikaner ist durchschnittlich
viel zu viel Sklave der Gesellschaft, daß er den Adel des ganz freien Ritters
vom Geiste so leicht erringen könnte. Von den talentvollen Jünglingen, die
alljährlich von deutschen Hochschulen zu uns zurückkehren, erreichen in der
Regel mir die Stellung und Einfluß, die ihre Unabhängigkeit opfern. Bei
Beförderungen heißt es nicht: Was leistet er? sondern die thörichte Frage
wird gestellt: Ist er Gentleman oder Scholar? Gut, wenn er beides ist; das
kommt aber selten vor. Zeigt er aber in den Augen des Präsidenten, der für
eine amerikanische Universität viel mehr bedeutet als für eine preußische der
Kurator, Mängel in der ersten Hinsicht, so wird ihm irgend ein geschniegelter
Streber vorgezogen. Da nun nichts bequemer ist, als durch die Pflege der
Äußerlichkeiten, die nach den zunehmend plutvtratischer werdenden Ansichten
zum korrekten Bürger gehören, Lücken der Leistungen zu verdenke", so findet
man die zahlreichen Professoren, die nichts leisten, immer auf der Seite des
Gentleman, Der Scholar ist ihnen bedenklich, und von dieser Seite her setzt
schon eine Reaktion gegen die angebliche Überschätzung der deutschen Wissen¬
schaft ein, die wie alles chauvinistische bereitlvilligst von den im Grunde doch
sehr ungebildet gebliebner anglokeltischen Massen anfgenonime" und besonders
von den nach Popularität haschenden Blätter" geschürt wird. Die deutsche
Wissenschaft und ihre Pflege auf deu Hochschulen behält ihre Freunde, Einen
Mann wie Andrew White erreichen die trüben Strömungen gar nicht. Aber
der höchste Stand des dentschen Einflusses auf das amerikanische Geistesleben
ist wahrscheinlich schon überschritten.

Wer möchte leugnen, daß Wissenschaftspflege und -lehre in Deutschland,
Österreich und der Schweiz auch ihre Mängel haben? Ich habe gerade die
Fnchmäilner mit echt deutscher Unbefangenheit darüber sprechen hören. Gerade
weil man sich ihnen nicht verschließt, wird man sie noch beizeiten beseitigen
können. Die amerikanische" Benrteiler sprechen meistens mit zu viel Vor¬
eingenommenheit, als daß sie in Deutschlnud mit der Ruhe gehört würde",
die man nötig hat, wen" man die eig"e" Fehler einsehen soll. Es sind anch
meistens nicht Leute, denen man hierzulande Wege" ihrer wissenschaftlichen
Autorität ein williges Ohr leihen möchte. Immerhin wird es gut sein, die
von ihnen nicht zu überhören, die sachlich urteilen, und deren Ausstellungen
manchmal mit denen der deutschen Kritiker genau zusammenfallen. Ich "kochte
besonders drei Punkte nennen, in denen neuerdings die amerikanischen Ansichten


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gericht. Auf die Welt darüber hinaus giebt er nicht viel, Sein Fach, seine
Lieblingsgedanken oder -theorien, seine Schiller, die sind seine Welt, Wenn
nicht die leidigen Titel und Orden wären, könnte man sagen: der direkte Nach¬
komme des Sokrates und des Plato, der Lehrer nicht bloß seines Volks, nein
der Menschheit. Das werden wir in Amerika nicht nachmachen, wie es denn
eine Anzahl von Dingen in Deutschland giebt, die man nirgends im Ausland
nachahme« kann; es sind mehr und größere, als man sich in Deutschland selbst
träumen läßt.

Um bei den Hochschulen zu bleiben: der Amerikaner ist durchschnittlich
viel zu viel Sklave der Gesellschaft, daß er den Adel des ganz freien Ritters
vom Geiste so leicht erringen könnte. Von den talentvollen Jünglingen, die
alljährlich von deutschen Hochschulen zu uns zurückkehren, erreichen in der
Regel mir die Stellung und Einfluß, die ihre Unabhängigkeit opfern. Bei
Beförderungen heißt es nicht: Was leistet er? sondern die thörichte Frage
wird gestellt: Ist er Gentleman oder Scholar? Gut, wenn er beides ist; das
kommt aber selten vor. Zeigt er aber in den Augen des Präsidenten, der für
eine amerikanische Universität viel mehr bedeutet als für eine preußische der
Kurator, Mängel in der ersten Hinsicht, so wird ihm irgend ein geschniegelter
Streber vorgezogen. Da nun nichts bequemer ist, als durch die Pflege der
Äußerlichkeiten, die nach den zunehmend plutvtratischer werdenden Ansichten
zum korrekten Bürger gehören, Lücken der Leistungen zu verdenke», so findet
man die zahlreichen Professoren, die nichts leisten, immer auf der Seite des
Gentleman, Der Scholar ist ihnen bedenklich, und von dieser Seite her setzt
schon eine Reaktion gegen die angebliche Überschätzung der deutschen Wissen¬
schaft ein, die wie alles chauvinistische bereitlvilligst von den im Grunde doch
sehr ungebildet gebliebner anglokeltischen Massen anfgenonime» und besonders
von den nach Popularität haschenden Blätter» geschürt wird. Die deutsche
Wissenschaft und ihre Pflege auf deu Hochschulen behält ihre Freunde, Einen
Mann wie Andrew White erreichen die trüben Strömungen gar nicht. Aber
der höchste Stand des dentschen Einflusses auf das amerikanische Geistesleben
ist wahrscheinlich schon überschritten.

Wer möchte leugnen, daß Wissenschaftspflege und -lehre in Deutschland,
Österreich und der Schweiz auch ihre Mängel haben? Ich habe gerade die
Fnchmäilner mit echt deutscher Unbefangenheit darüber sprechen hören. Gerade
weil man sich ihnen nicht verschließt, wird man sie noch beizeiten beseitigen
können. Die amerikanische» Benrteiler sprechen meistens mit zu viel Vor¬
eingenommenheit, als daß sie in Deutschlnud mit der Ruhe gehört würde»,
die man nötig hat, wen» man die eig»e» Fehler einsehen soll. Es sind anch
meistens nicht Leute, denen man hierzulande Wege» ihrer wissenschaftlichen
Autorität ein williges Ohr leihen möchte. Immerhin wird es gut sein, die
von ihnen nicht zu überhören, die sachlich urteilen, und deren Ausstellungen
manchmal mit denen der deutschen Kritiker genau zusammenfallen. Ich »kochte
besonders drei Punkte nennen, in denen neuerdings die amerikanischen Ansichten


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[0612] Lnefe eines Zurückgekehrten gericht. Auf die Welt darüber hinaus giebt er nicht viel, Sein Fach, seine Lieblingsgedanken oder -theorien, seine Schiller, die sind seine Welt, Wenn nicht die leidigen Titel und Orden wären, könnte man sagen: der direkte Nach¬ komme des Sokrates und des Plato, der Lehrer nicht bloß seines Volks, nein der Menschheit. Das werden wir in Amerika nicht nachmachen, wie es denn eine Anzahl von Dingen in Deutschland giebt, die man nirgends im Ausland nachahme« kann; es sind mehr und größere, als man sich in Deutschland selbst träumen läßt. Um bei den Hochschulen zu bleiben: der Amerikaner ist durchschnittlich viel zu viel Sklave der Gesellschaft, daß er den Adel des ganz freien Ritters vom Geiste so leicht erringen könnte. Von den talentvollen Jünglingen, die alljährlich von deutschen Hochschulen zu uns zurückkehren, erreichen in der Regel mir die Stellung und Einfluß, die ihre Unabhängigkeit opfern. Bei Beförderungen heißt es nicht: Was leistet er? sondern die thörichte Frage wird gestellt: Ist er Gentleman oder Scholar? Gut, wenn er beides ist; das kommt aber selten vor. Zeigt er aber in den Augen des Präsidenten, der für eine amerikanische Universität viel mehr bedeutet als für eine preußische der Kurator, Mängel in der ersten Hinsicht, so wird ihm irgend ein geschniegelter Streber vorgezogen. Da nun nichts bequemer ist, als durch die Pflege der Äußerlichkeiten, die nach den zunehmend plutvtratischer werdenden Ansichten zum korrekten Bürger gehören, Lücken der Leistungen zu verdenke», so findet man die zahlreichen Professoren, die nichts leisten, immer auf der Seite des Gentleman, Der Scholar ist ihnen bedenklich, und von dieser Seite her setzt schon eine Reaktion gegen die angebliche Überschätzung der deutschen Wissen¬ schaft ein, die wie alles chauvinistische bereitlvilligst von den im Grunde doch sehr ungebildet gebliebner anglokeltischen Massen anfgenonime» und besonders von den nach Popularität haschenden Blätter» geschürt wird. Die deutsche Wissenschaft und ihre Pflege auf deu Hochschulen behält ihre Freunde, Einen Mann wie Andrew White erreichen die trüben Strömungen gar nicht. Aber der höchste Stand des dentschen Einflusses auf das amerikanische Geistesleben ist wahrscheinlich schon überschritten. Wer möchte leugnen, daß Wissenschaftspflege und -lehre in Deutschland, Österreich und der Schweiz auch ihre Mängel haben? Ich habe gerade die Fnchmäilner mit echt deutscher Unbefangenheit darüber sprechen hören. Gerade weil man sich ihnen nicht verschließt, wird man sie noch beizeiten beseitigen können. Die amerikanische» Benrteiler sprechen meistens mit zu viel Vor¬ eingenommenheit, als daß sie in Deutschlnud mit der Ruhe gehört würde», die man nötig hat, wen» man die eig»e» Fehler einsehen soll. Es sind anch meistens nicht Leute, denen man hierzulande Wege» ihrer wissenschaftlichen Autorität ein williges Ohr leihen möchte. Immerhin wird es gut sein, die von ihnen nicht zu überhören, die sachlich urteilen, und deren Ausstellungen manchmal mit denen der deutschen Kritiker genau zusammenfallen. Ich »kochte besonders drei Punkte nennen, in denen neuerdings die amerikanischen Ansichten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/612>, abgerufen am 16.06.2024.