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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Rußland und Japan

öffnete" Hilfen erscheint mindestens eine englische Zeitung; sie alle arbeiten
lediglich für englische Interessen nach dem Grundsatz: "Der Zweck heiligt das
Mittel/' Besonders gefährlich sind in dieser Beziehung die in Japan er¬
scheinenden Tagesblätter, deren Redakteure ein verdächtiges Doppelspiel als
Unterthanen Ihrer Majestät und angebliche Vertreter der japanischen Inter¬
essen spielen.

Mit dem Augenblick der Beilegung des japanisch-chinesischen Kriegs er¬
öffnete diese gesamte Presse wie auf ein gegebnes Signal einen Preßfeldzug
gegen Rußland und verfolgte vier Jahre lang standhaft das eine Ziel, die
öffentliche Meinung in Japan gegen Rußland zu Hetzen, Wieviel Verbrechen
wurden unserm armen Vaterlande angedichtet! Seine ganze Geschichte wurde
dargestellt als eine fortlaufende Kette unrechtmäßiger Beutezüge, die aller
göttlichen und menschlichen Satzung Hohn gesprochen, Barbarei ans die Stätte
fortgeschrittner Zivilisation verpflanzt und blühende Gegenden in Einöden ver
wandelt hätten. Wenn keine Thatsachen vorlagen, die effektvoll genug verdreht
werden konnten, wurden ganz ungeniert Schauermären ersonnen und aus angeblich
zuverlässigen Quellen geheime Pläne und Anschläge Rußlands mitgeteilt? es wurde
darauf hingewiesen, daß in Europa ganz allein England, die mächtige Ver¬
treterin der Zivilisation, die unersättlichen Begierden des nordischen Kolosses
im Zaume halte, daß in Asien aber dieselbe Mission Japan vom Schicksal
beschieden sei, Japan, das für seine Vertrauensseligkeit so schwer habe büßen
müssen. Sogar die damit England zngesprvchnen Verdienste schonte mau nicht,
um nu andrer Stelle Rußland als den Koloß auf thönernen Füßen zu be¬
zeichnen, der einen gehörigen Puff nicht aushalten würde; die russische Gut¬
mütigkeit wurde als nichts weiter als schlecht verhehlte Schwäche hingestellt.
Es ging so weit, daß der Hongkonger Korrespondent der MZassKi?rsss aus
Mangel an Stoff das alte liebe Märchen von den Unschlittkerzen aufwärmte
nud ausführlich beschrieb, wie er mit eignen Augen Matrosen von der "Rvssija"
und "Admiral Nachimvff" durch die Straßen habe schlendern und Talglichter
essen sehen, Unteroffiziere und Maate eine bessere, dünnere und weißere Sorte,
Das war denn doch der japanischen Presse zu viel, und eine Zeitung schrieb,
es scheine ihr wirklich leichter, Talgkerzen zu essen und zu verdauen, als der
artige Mitteilungen zu verarbeiten.

Es ist jedoch eine alte Wahrheit, daß von jeder noch so dummen Ver¬
leumdung immer etwas hängen bleibt. Japanische Hitzköpfe berauschten sich
an diesen- Blödsinn; die Märchen über Rußland fanden ihren Weg aus
den Spalten der nnglv-japanischen Zeitungen in die japanische Lokalpresse,
schließlich sogar in bessere Zeitungen, In Japan kann jedermann lesen, und
die Zeitungen haben einen großen Leserkreis,

Die jüngere Welt in Japan sah "den Vertrag von Schimvnoseki von der
Tatze des russischen Bären zerrissen" und wollte nicht warten, bis sie sich
schwer auf Japan legen würde. Im Jahre 1897 predigten patriotische Blätter
offen den Krieg gegen Rußland und bramarbasierten nnter Hinweis auf die


Rußland und Japan

öffnete» Hilfen erscheint mindestens eine englische Zeitung; sie alle arbeiten
lediglich für englische Interessen nach dem Grundsatz: „Der Zweck heiligt das
Mittel/' Besonders gefährlich sind in dieser Beziehung die in Japan er¬
scheinenden Tagesblätter, deren Redakteure ein verdächtiges Doppelspiel als
Unterthanen Ihrer Majestät und angebliche Vertreter der japanischen Inter¬
essen spielen.

Mit dem Augenblick der Beilegung des japanisch-chinesischen Kriegs er¬
öffnete diese gesamte Presse wie auf ein gegebnes Signal einen Preßfeldzug
gegen Rußland und verfolgte vier Jahre lang standhaft das eine Ziel, die
öffentliche Meinung in Japan gegen Rußland zu Hetzen, Wieviel Verbrechen
wurden unserm armen Vaterlande angedichtet! Seine ganze Geschichte wurde
dargestellt als eine fortlaufende Kette unrechtmäßiger Beutezüge, die aller
göttlichen und menschlichen Satzung Hohn gesprochen, Barbarei ans die Stätte
fortgeschrittner Zivilisation verpflanzt und blühende Gegenden in Einöden ver
wandelt hätten. Wenn keine Thatsachen vorlagen, die effektvoll genug verdreht
werden konnten, wurden ganz ungeniert Schauermären ersonnen und aus angeblich
zuverlässigen Quellen geheime Pläne und Anschläge Rußlands mitgeteilt? es wurde
darauf hingewiesen, daß in Europa ganz allein England, die mächtige Ver¬
treterin der Zivilisation, die unersättlichen Begierden des nordischen Kolosses
im Zaume halte, daß in Asien aber dieselbe Mission Japan vom Schicksal
beschieden sei, Japan, das für seine Vertrauensseligkeit so schwer habe büßen
müssen. Sogar die damit England zngesprvchnen Verdienste schonte mau nicht,
um nu andrer Stelle Rußland als den Koloß auf thönernen Füßen zu be¬
zeichnen, der einen gehörigen Puff nicht aushalten würde; die russische Gut¬
mütigkeit wurde als nichts weiter als schlecht verhehlte Schwäche hingestellt.
Es ging so weit, daß der Hongkonger Korrespondent der MZassKi?rsss aus
Mangel an Stoff das alte liebe Märchen von den Unschlittkerzen aufwärmte
nud ausführlich beschrieb, wie er mit eignen Augen Matrosen von der „Rvssija"
und „Admiral Nachimvff" durch die Straßen habe schlendern und Talglichter
essen sehen, Unteroffiziere und Maate eine bessere, dünnere und weißere Sorte,
Das war denn doch der japanischen Presse zu viel, und eine Zeitung schrieb,
es scheine ihr wirklich leichter, Talgkerzen zu essen und zu verdauen, als der
artige Mitteilungen zu verarbeiten.

Es ist jedoch eine alte Wahrheit, daß von jeder noch so dummen Ver¬
leumdung immer etwas hängen bleibt. Japanische Hitzköpfe berauschten sich
an diesen- Blödsinn; die Märchen über Rußland fanden ihren Weg aus
den Spalten der nnglv-japanischen Zeitungen in die japanische Lokalpresse,
schließlich sogar in bessere Zeitungen, In Japan kann jedermann lesen, und
die Zeitungen haben einen großen Leserkreis,

Die jüngere Welt in Japan sah „den Vertrag von Schimvnoseki von der
Tatze des russischen Bären zerrissen" und wollte nicht warten, bis sie sich
schwer auf Japan legen würde. Im Jahre 1897 predigten patriotische Blätter
offen den Krieg gegen Rußland und bramarbasierten nnter Hinweis auf die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/68>, abgerufen am 12.06.2024.