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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Rußland und Japan

thönernen Füße von einem Parademarsch ihrer Kaisergarde durch ganz Sibirien.
Als im Herbst desselben Jahres General Knvakami in das Ussurigebiet reiste,
jubelten dieselben Blätter laut und erinnerten daran, daß derselbe General vor
dem Kriege gegen China eine Reise in dieses Reich gemacht habe, folglich . , ,
jetzt Rußland um der Reihe sei, niedergeworfen zu werden. Indessen förderten
die von der Reise mitgebrachten Eindrücke des Generals denn doch die fried¬
lichen Tendenzen in den höhern Kreisen, die schon den Druck der öffentlichen
Meinung zu fühlen bekommen hatten.

Ihren Siedepunkt erreichte die kriegerische Begeisterung der Zeitungen im
Winter 1897/98, als nach der Besitznahme von Kiantschott durch Deutschland
unsre Verhandlungen über die Pachtung von Port Arthur bekannt wurden.
Die englischen Zeitungen proklamierten die Notwendigkeit eines Bündnisses
zwischen England und Japan, tönten wieder von der providentiellen Mission,
der glänzenden Zukunft der beiden Inselreiche an den äußersten Enden der
Alten Welt. Das kostete ihnen nichts, verpflichtete zu nichts und schirrte doch
die Volksleideuschnfteu, führte also zum gewünschten Ziele. Die einheimischen
kleinen Blätter appellierten um den Patriotismus und schrieben, daß das auf
den Feldern von Lao-dung nutzlos vergossene Blut japanischer Soldaten laut
um Rache schreie. Die ernsthaftem Zeitungen waren zwar über die thönernen
Füße inzwischen andrer Meinung geworden, hielten aber mit einem solchen
Bundesgenossen wie England jegliches Unternehmen für aussichtsvoll. Die
Ritschl-Ritschl, eine der verbreitetsten Zeitungen, druckte täglich Zeichnungen
englischer und zur Abwechslung auch japanischer .Kriegsschiffe nebst ausführlicher
Beschreibung ab und rechnete die Streitkräfte der zukünftigen Alliierten zusammen.
Die Ungko-Japaner jauchzten. Mzasg-Ici ?rö8S brachte eines Tags in gro߬
gedruckten Lettern die Phrase: "Japan ist kriegsbereit."

Da kam plötzlich die Nachricht, daß auf Verlangen Rußlands der eng¬
lische Admiral Befehl erhalten habe, seine Schiffe ans Port Arthur wegzu¬
führen und nicht wieder dahin zu schicken. Dieses Ereignis hat anscheinend
in Europa keinen besondern Eindruck hinterlassen; im Osten klang es, um ein
Bild zu gebrauchen, wie der erste Schuß eines Trauersalnts für das Prestige
Englands. Karikaturenzeichner übten ihren Witz daran; was früher ehrfürchtig als
bedeutungsvolle Flottendemonstration bezeichnet worden war, wurde jetzt Picknick
englischer Admiräle getauft. Aus den Spalten der Ritschl-Ritschl verschwanden
die Bilder und Beschreibungen englischer .Kriegsschiffe und machten dem Abdruck
einer Reihe öffentlicher Vorlesungen eines japanischen Gelehrten Platz, der zu
irgend einem .Kongreß in Moskau gewesen war. In diesen Vorlesungen, aus
denen übrigens im allgemeine" ein sehr richtiges Urteil über Rußland heraus-
llaug, wurde der Gedanke entwickelt, daß es sehr wohl möglich und durchaus
wünschenswert sei, mit dem alten Nachbarn wieder in Freundschaft zu leben.
Die Wnrstblättchen fielen in Molitor. Unsre Freunde hoben den Kopf hoch,
"ud in Tokio wurde eine Gesellschaft zum Studium Rußlands gegründet. Die
wüste Agitation der englischen Presse verlor immer mehr und mehr an Ansehen


Rußland und Japan

thönernen Füße von einem Parademarsch ihrer Kaisergarde durch ganz Sibirien.
Als im Herbst desselben Jahres General Knvakami in das Ussurigebiet reiste,
jubelten dieselben Blätter laut und erinnerten daran, daß derselbe General vor
dem Kriege gegen China eine Reise in dieses Reich gemacht habe, folglich . , ,
jetzt Rußland um der Reihe sei, niedergeworfen zu werden. Indessen förderten
die von der Reise mitgebrachten Eindrücke des Generals denn doch die fried¬
lichen Tendenzen in den höhern Kreisen, die schon den Druck der öffentlichen
Meinung zu fühlen bekommen hatten.

Ihren Siedepunkt erreichte die kriegerische Begeisterung der Zeitungen im
Winter 1897/98, als nach der Besitznahme von Kiantschott durch Deutschland
unsre Verhandlungen über die Pachtung von Port Arthur bekannt wurden.
Die englischen Zeitungen proklamierten die Notwendigkeit eines Bündnisses
zwischen England und Japan, tönten wieder von der providentiellen Mission,
der glänzenden Zukunft der beiden Inselreiche an den äußersten Enden der
Alten Welt. Das kostete ihnen nichts, verpflichtete zu nichts und schirrte doch
die Volksleideuschnfteu, führte also zum gewünschten Ziele. Die einheimischen
kleinen Blätter appellierten um den Patriotismus und schrieben, daß das auf
den Feldern von Lao-dung nutzlos vergossene Blut japanischer Soldaten laut
um Rache schreie. Die ernsthaftem Zeitungen waren zwar über die thönernen
Füße inzwischen andrer Meinung geworden, hielten aber mit einem solchen
Bundesgenossen wie England jegliches Unternehmen für aussichtsvoll. Die
Ritschl-Ritschl, eine der verbreitetsten Zeitungen, druckte täglich Zeichnungen
englischer und zur Abwechslung auch japanischer .Kriegsschiffe nebst ausführlicher
Beschreibung ab und rechnete die Streitkräfte der zukünftigen Alliierten zusammen.
Die Ungko-Japaner jauchzten. Mzasg-Ici ?rö8S brachte eines Tags in gro߬
gedruckten Lettern die Phrase: „Japan ist kriegsbereit."

Da kam plötzlich die Nachricht, daß auf Verlangen Rußlands der eng¬
lische Admiral Befehl erhalten habe, seine Schiffe ans Port Arthur wegzu¬
führen und nicht wieder dahin zu schicken. Dieses Ereignis hat anscheinend
in Europa keinen besondern Eindruck hinterlassen; im Osten klang es, um ein
Bild zu gebrauchen, wie der erste Schuß eines Trauersalnts für das Prestige
Englands. Karikaturenzeichner übten ihren Witz daran; was früher ehrfürchtig als
bedeutungsvolle Flottendemonstration bezeichnet worden war, wurde jetzt Picknick
englischer Admiräle getauft. Aus den Spalten der Ritschl-Ritschl verschwanden
die Bilder und Beschreibungen englischer .Kriegsschiffe und machten dem Abdruck
einer Reihe öffentlicher Vorlesungen eines japanischen Gelehrten Platz, der zu
irgend einem .Kongreß in Moskau gewesen war. In diesen Vorlesungen, aus
denen übrigens im allgemeine» ein sehr richtiges Urteil über Rußland heraus-
llaug, wurde der Gedanke entwickelt, daß es sehr wohl möglich und durchaus
wünschenswert sei, mit dem alten Nachbarn wieder in Freundschaft zu leben.
Die Wnrstblättchen fielen in Molitor. Unsre Freunde hoben den Kopf hoch,
»ud in Tokio wurde eine Gesellschaft zum Studium Rußlands gegründet. Die
wüste Agitation der englischen Presse verlor immer mehr und mehr an Ansehen


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[0069] Rußland und Japan thönernen Füße von einem Parademarsch ihrer Kaisergarde durch ganz Sibirien. Als im Herbst desselben Jahres General Knvakami in das Ussurigebiet reiste, jubelten dieselben Blätter laut und erinnerten daran, daß derselbe General vor dem Kriege gegen China eine Reise in dieses Reich gemacht habe, folglich . , , jetzt Rußland um der Reihe sei, niedergeworfen zu werden. Indessen förderten die von der Reise mitgebrachten Eindrücke des Generals denn doch die fried¬ lichen Tendenzen in den höhern Kreisen, die schon den Druck der öffentlichen Meinung zu fühlen bekommen hatten. Ihren Siedepunkt erreichte die kriegerische Begeisterung der Zeitungen im Winter 1897/98, als nach der Besitznahme von Kiantschott durch Deutschland unsre Verhandlungen über die Pachtung von Port Arthur bekannt wurden. Die englischen Zeitungen proklamierten die Notwendigkeit eines Bündnisses zwischen England und Japan, tönten wieder von der providentiellen Mission, der glänzenden Zukunft der beiden Inselreiche an den äußersten Enden der Alten Welt. Das kostete ihnen nichts, verpflichtete zu nichts und schirrte doch die Volksleideuschnfteu, führte also zum gewünschten Ziele. Die einheimischen kleinen Blätter appellierten um den Patriotismus und schrieben, daß das auf den Feldern von Lao-dung nutzlos vergossene Blut japanischer Soldaten laut um Rache schreie. Die ernsthaftem Zeitungen waren zwar über die thönernen Füße inzwischen andrer Meinung geworden, hielten aber mit einem solchen Bundesgenossen wie England jegliches Unternehmen für aussichtsvoll. Die Ritschl-Ritschl, eine der verbreitetsten Zeitungen, druckte täglich Zeichnungen englischer und zur Abwechslung auch japanischer .Kriegsschiffe nebst ausführlicher Beschreibung ab und rechnete die Streitkräfte der zukünftigen Alliierten zusammen. Die Ungko-Japaner jauchzten. Mzasg-Ici ?rö8S brachte eines Tags in gro߬ gedruckten Lettern die Phrase: „Japan ist kriegsbereit." Da kam plötzlich die Nachricht, daß auf Verlangen Rußlands der eng¬ lische Admiral Befehl erhalten habe, seine Schiffe ans Port Arthur wegzu¬ führen und nicht wieder dahin zu schicken. Dieses Ereignis hat anscheinend in Europa keinen besondern Eindruck hinterlassen; im Osten klang es, um ein Bild zu gebrauchen, wie der erste Schuß eines Trauersalnts für das Prestige Englands. Karikaturenzeichner übten ihren Witz daran; was früher ehrfürchtig als bedeutungsvolle Flottendemonstration bezeichnet worden war, wurde jetzt Picknick englischer Admiräle getauft. Aus den Spalten der Ritschl-Ritschl verschwanden die Bilder und Beschreibungen englischer .Kriegsschiffe und machten dem Abdruck einer Reihe öffentlicher Vorlesungen eines japanischen Gelehrten Platz, der zu irgend einem .Kongreß in Moskau gewesen war. In diesen Vorlesungen, aus denen übrigens im allgemeine» ein sehr richtiges Urteil über Rußland heraus- llaug, wurde der Gedanke entwickelt, daß es sehr wohl möglich und durchaus wünschenswert sei, mit dem alten Nachbarn wieder in Freundschaft zu leben. Die Wnrstblättchen fielen in Molitor. Unsre Freunde hoben den Kopf hoch, »ud in Tokio wurde eine Gesellschaft zum Studium Rußlands gegründet. Die wüste Agitation der englischen Presse verlor immer mehr und mehr an Ansehen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/69>, abgerufen am 05.06.2024.