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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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die Entschuldigung, die Truppen zugebilligt wird, wem, ihnen der rechte
General fehlt. Man leistet nichts, weil man nicht recht weiß, wo man hin
soll; man gehorcht schlecht, weil schlecht befohlen wird.

Eine solche Entschuldigung - und hierin liegt unsrer Meinung nach der
eigentliche Kern der Stellung Kaiser Wilhelms II, im Staate --, eine solche
Entschuldigung haben wir nicht. Wir mögen in Bezug ans die zu verfolgenden
Zwecke und auf die zu wählenden Mittel andrer Meinung sein als er; die
Presse mag sich über solche Meinungsverschiedenheit noch so unumwunden,
wenn auch freilich immer sachlich aussprechen das eine bleibt doch fest und
unumstößlich: Nur haben einen Steuermann, einen General, einen Führer, der
weiß, was er Null, und das ist in der gegenwärtigen Weltlage ein großer
Segen. Vor der Glanzperiode unsrer Geschichte, in der Kaiser Wilhelm I. und
Bismarck Hand in Hand gingen, hat dieser Segen unsrer Nation nur zu oft
gefehlt.

Und diese Glanzperiode unsrer Geschichte, die der Natur der Sache nach
nur eine vorübergehende sein konnte, da die Bäume bekanntlich nicht in den
Himmel wachsen, ist es denn auch, die im Gegensatz zu der gegenwärtigen ge¬
drückten Windstille dem Kaiser und der kaiserlichen Regierung zum Vorwurf
gemacht wird. Mau sagt: Ja, schöne Worte machen könnt ihr, uns sind
Thaten lieber; wir wollen große Erfolge sehen. Rasch ein zweites sedem,
Milliarden und dergleichen mehr. Und die Leute, die so sprechen, denken noch,
sie haben wunder was männliches und schneidiges gesagt, während ihr ganzes
Gerede im Grunde doch nichts andres ist als Maugel an Männlichkeit, Mangel
an Schneide, weibische Ungeduld, kindische Wünsche, daß Pflänzchen, die man
hente in die Erde grübe, morgen blühn und Früchte tragen.

Die ersten Unzufrieduen, wenn es im Feld, auf der See oder in der
Wildnis nicht klappt, sind immer die Schwächlinge, moralisch und körperlich.
Die Ausdauernden, den Strapazen Gewachsenen haben auch die Eigenschaft,
die dem wahren Mute jederzeit eigen ist: ihr Vertrauen welkt nicht wie ein
wurzelloses Pflänzchen im ersten Ansturm eines widerwärtigen Schicksals
dahin. Dieses mutige Vertrauen zum Führer, das nicht Zeichen und Wunder
zu sehen begehrt, ist es, was brauchbare Seeleute, gute Soldaten und verlä߬
liche Staatsbürger zeitigt.

Der Haufen, die Stimme des Haufens imponiert uns nicht. Horaz mochte
etwas ähnliches erfahren und empfunden haben, als er sein absprechendes: väl
protimnin, vnlAii8 se Mvoo schrieb. Es gehören ganz besondre Umstände, mora¬
lische Vorbedingungen der seltensten Art dazu, daß der Mensch als Herde nicht
kleingläubig, mißtrauisch, ohne Murr und Schneide ist.

Wer zur See ähnliche Katastrophen wie die von Goethe bei seiner Rückkehr
von Sizilien überstandue erlebt, wer im Feld ans der falschen, wir meinen auf
der nicht sieggekrönten Seite gestanden hat, der wird es uns bestätigen, wie sehr
auf den Sand fahren, widrige Winde und Niederlagen das Gemüt der Massen
verändern: man erkennt sie kaum wieder, und die Kluft, die zwischen ihnen


die Entschuldigung, die Truppen zugebilligt wird, wem, ihnen der rechte
General fehlt. Man leistet nichts, weil man nicht recht weiß, wo man hin
soll; man gehorcht schlecht, weil schlecht befohlen wird.

Eine solche Entschuldigung - und hierin liegt unsrer Meinung nach der
eigentliche Kern der Stellung Kaiser Wilhelms II, im Staate —, eine solche
Entschuldigung haben wir nicht. Wir mögen in Bezug ans die zu verfolgenden
Zwecke und auf die zu wählenden Mittel andrer Meinung sein als er; die
Presse mag sich über solche Meinungsverschiedenheit noch so unumwunden,
wenn auch freilich immer sachlich aussprechen das eine bleibt doch fest und
unumstößlich: Nur haben einen Steuermann, einen General, einen Führer, der
weiß, was er Null, und das ist in der gegenwärtigen Weltlage ein großer
Segen. Vor der Glanzperiode unsrer Geschichte, in der Kaiser Wilhelm I. und
Bismarck Hand in Hand gingen, hat dieser Segen unsrer Nation nur zu oft
gefehlt.

Und diese Glanzperiode unsrer Geschichte, die der Natur der Sache nach
nur eine vorübergehende sein konnte, da die Bäume bekanntlich nicht in den
Himmel wachsen, ist es denn auch, die im Gegensatz zu der gegenwärtigen ge¬
drückten Windstille dem Kaiser und der kaiserlichen Regierung zum Vorwurf
gemacht wird. Mau sagt: Ja, schöne Worte machen könnt ihr, uns sind
Thaten lieber; wir wollen große Erfolge sehen. Rasch ein zweites sedem,
Milliarden und dergleichen mehr. Und die Leute, die so sprechen, denken noch,
sie haben wunder was männliches und schneidiges gesagt, während ihr ganzes
Gerede im Grunde doch nichts andres ist als Maugel an Männlichkeit, Mangel
an Schneide, weibische Ungeduld, kindische Wünsche, daß Pflänzchen, die man
hente in die Erde grübe, morgen blühn und Früchte tragen.

Die ersten Unzufrieduen, wenn es im Feld, auf der See oder in der
Wildnis nicht klappt, sind immer die Schwächlinge, moralisch und körperlich.
Die Ausdauernden, den Strapazen Gewachsenen haben auch die Eigenschaft,
die dem wahren Mute jederzeit eigen ist: ihr Vertrauen welkt nicht wie ein
wurzelloses Pflänzchen im ersten Ansturm eines widerwärtigen Schicksals
dahin. Dieses mutige Vertrauen zum Führer, das nicht Zeichen und Wunder
zu sehen begehrt, ist es, was brauchbare Seeleute, gute Soldaten und verlä߬
liche Staatsbürger zeitigt.

Der Haufen, die Stimme des Haufens imponiert uns nicht. Horaz mochte
etwas ähnliches erfahren und empfunden haben, als er sein absprechendes: väl
protimnin, vnlAii8 se Mvoo schrieb. Es gehören ganz besondre Umstände, mora¬
lische Vorbedingungen der seltensten Art dazu, daß der Mensch als Herde nicht
kleingläubig, mißtrauisch, ohne Murr und Schneide ist.

Wer zur See ähnliche Katastrophen wie die von Goethe bei seiner Rückkehr
von Sizilien überstandue erlebt, wer im Feld ans der falschen, wir meinen auf
der nicht sieggekrönten Seite gestanden hat, der wird es uns bestätigen, wie sehr
auf den Sand fahren, widrige Winde und Niederlagen das Gemüt der Massen
verändern: man erkennt sie kaum wieder, und die Kluft, die zwischen ihnen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/253>, abgerufen am 17.06.2024.