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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Die unheimliche Rluft

und den Führenden, Befehlenden wie durch bösen Zauber entsteht, muß in den
meisten Fällen der moralischen Undichtigkeit der Gehorchenden, nicht der falschen
Verfahrungsweise der Befehlenden zur Last gelegt werden. Nur Ausnahme¬
naturen haben Spannkraft genug, in solchen Augenblicken dein allgemeinen Sich-
gehnlassen entgegenzutreten. Ja, das Mißtrauen zur Führung spielt bei solchem
aus dem Leime gehn recht eigentlich die Hauptrolle, Bei den Franzosen war jn
in den Jahren 1870 und 1871 das nous soinnws trallis geradezu grotesk,
aber ähnlich, nur weniger ungestüm und durch allerhand, das den Franzosen
fehlte, mehr in Schranken gehalten war auch nach Königgmtz auf der unter¬
legnen Seite die kleinlaute Verzagtheit, das barmende und murrende Mißtrauen
gegen die Führung.

Der Mensch ist nun einmal so geschaffen oder so geworden, daß er Ver-
tranenswechsel auf lange Sicht nicht zu bewilligen vermag: der Menge fehlt
der Genius dazu. Man läßt den Kopf und die Arme hängen; der Kapitän,
der General, der Fürst, heißt es, versteht sein Handwerk nicht. Du mein Gott,
sagt man, wohin wird es mit uns noch kommen, wenn das so fortgeht. Und
wer das schreckliche Mißgeschick, dem man schließlich in vollem Ernste entgegen-
zugehn glaubt, mit den grellsten Farben zu schildern versteht, führt an; seiner
Rede neigt sich willig jedes Ohr. Es ist, wie er sagt, unverantwortlich, wie
sie uns mitspielen, und er giebt nicht ungern zu verstehn, daß ers besser
machen würde. So entsteh" die Meutereien, so wird im Handumdrehn aus
einer brauchbaren kampfesfreudigen Truppe ein rebellischer, ungehorsamer, un¬
williger Haufe.

Was in solchen Fällen fehlt, ist ein greifbarer Erfolg, ein günstiger Wind,
ein Sonnenstrahl des Glücks. Kommt ein solcher, so ist dann die Menge mit
einemmal wie umgewandelt. Der Kapitän, der General, der vor wenig Stunden
nichts von seinem Handwerk verstand, ist plötzlich wieder ein ganzer Mann
geworden, und maßlos, wie man verdächtigte und tadelte, lobt man nun und
vergöttert.

Der Durchschnittsmensch ist kurzsichtig, leicht verzagt, zu Mißtrauen, Neid
und Schadenfreude geneigt, und doch ist er es, dem die öffentliche Meinung,
vor der man anbetend in den Staub sinken soll, ihre Entstehung verdankt,
und er ist es vor allen Dingen, der sie uns zum Gehör und Bewußtsein
bringt.

Liegt es nicht in der Natur der Sache, daß man in seinem Urteil gegen
ein auf so zweifelhaftem Boden gewonnenes Produkt die äußerste Vorsicht ge¬
brauchen muß?

Was der Staat braucht, sind Leute, die mutig und geduldig auf den Er¬
folg zu warten, und bis sich dieser einstellt, dem Führer Vertrauen zu schenken
vermögen. Leute, die von dem Grundsatze ausgehn, daß wenn sich zwischen
Kaiser und Volk wirklich eine Kluft aufgethan Hütte, es die verfluchte Pflicht
und Schuldigkeit eines jeden von uns wäre, sich lieber hundertmal als einmal
zu fragen, ob es, statt an dein Kaiser zu mäkeln, nicht an der Zeit wäre, an


Die unheimliche Rluft

und den Führenden, Befehlenden wie durch bösen Zauber entsteht, muß in den
meisten Fällen der moralischen Undichtigkeit der Gehorchenden, nicht der falschen
Verfahrungsweise der Befehlenden zur Last gelegt werden. Nur Ausnahme¬
naturen haben Spannkraft genug, in solchen Augenblicken dein allgemeinen Sich-
gehnlassen entgegenzutreten. Ja, das Mißtrauen zur Führung spielt bei solchem
aus dem Leime gehn recht eigentlich die Hauptrolle, Bei den Franzosen war jn
in den Jahren 1870 und 1871 das nous soinnws trallis geradezu grotesk,
aber ähnlich, nur weniger ungestüm und durch allerhand, das den Franzosen
fehlte, mehr in Schranken gehalten war auch nach Königgmtz auf der unter¬
legnen Seite die kleinlaute Verzagtheit, das barmende und murrende Mißtrauen
gegen die Führung.

Der Mensch ist nun einmal so geschaffen oder so geworden, daß er Ver-
tranenswechsel auf lange Sicht nicht zu bewilligen vermag: der Menge fehlt
der Genius dazu. Man läßt den Kopf und die Arme hängen; der Kapitän,
der General, der Fürst, heißt es, versteht sein Handwerk nicht. Du mein Gott,
sagt man, wohin wird es mit uns noch kommen, wenn das so fortgeht. Und
wer das schreckliche Mißgeschick, dem man schließlich in vollem Ernste entgegen-
zugehn glaubt, mit den grellsten Farben zu schildern versteht, führt an; seiner
Rede neigt sich willig jedes Ohr. Es ist, wie er sagt, unverantwortlich, wie
sie uns mitspielen, und er giebt nicht ungern zu verstehn, daß ers besser
machen würde. So entsteh« die Meutereien, so wird im Handumdrehn aus
einer brauchbaren kampfesfreudigen Truppe ein rebellischer, ungehorsamer, un¬
williger Haufe.

Was in solchen Fällen fehlt, ist ein greifbarer Erfolg, ein günstiger Wind,
ein Sonnenstrahl des Glücks. Kommt ein solcher, so ist dann die Menge mit
einemmal wie umgewandelt. Der Kapitän, der General, der vor wenig Stunden
nichts von seinem Handwerk verstand, ist plötzlich wieder ein ganzer Mann
geworden, und maßlos, wie man verdächtigte und tadelte, lobt man nun und
vergöttert.

Der Durchschnittsmensch ist kurzsichtig, leicht verzagt, zu Mißtrauen, Neid
und Schadenfreude geneigt, und doch ist er es, dem die öffentliche Meinung,
vor der man anbetend in den Staub sinken soll, ihre Entstehung verdankt,
und er ist es vor allen Dingen, der sie uns zum Gehör und Bewußtsein
bringt.

Liegt es nicht in der Natur der Sache, daß man in seinem Urteil gegen
ein auf so zweifelhaftem Boden gewonnenes Produkt die äußerste Vorsicht ge¬
brauchen muß?

Was der Staat braucht, sind Leute, die mutig und geduldig auf den Er¬
folg zu warten, und bis sich dieser einstellt, dem Führer Vertrauen zu schenken
vermögen. Leute, die von dem Grundsatze ausgehn, daß wenn sich zwischen
Kaiser und Volk wirklich eine Kluft aufgethan Hütte, es die verfluchte Pflicht
und Schuldigkeit eines jeden von uns wäre, sich lieber hundertmal als einmal
zu fragen, ob es, statt an dein Kaiser zu mäkeln, nicht an der Zeit wäre, an


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/254>, abgerufen am 25.05.2024.