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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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auf alle Gebiete des volkswirtschaftlichen Lebens in gleicher Weise erstreckte,
jenes Systems, dessen wirkliche Bedeutung von den ältern liberalen Ökonomen
gänzlich verkannt, und dem erst unter dein Einfluß von Schmoller die neuere
wirtschaftsgeschichtliche Forschung gerecht geworden ist." Mehr Leute, mehr
Reichtum dem Staat zu schaffen, an seine Machtstellung zu heben und zu
sichern, das war das große Ziel dieses hohenzollerschen Merkantilismus, und
die städtische, namentlich auch die Berliner Wohnungs- und Bodenpolitik ist
ein wohl berechnetes und berechtigtes und auch sehr wirksames Glied in dieser
Kette gewesen.

Von den beiden Säulen -- belehrt uns Voigt weiter --, auf dem das
brandenbnrgisch-preußische Heer finanziell ruhte, der ländlichen Kontribution
und der städtischen Accise, war die Accise die wichtigere, weil sie der bewegliche,
der steigerungsfähige und beständig rasch steigende Teil der Staatseinnahmen
war, während die Kontribution im großen und ganzen unverändert blieb. Die
Vergrößerung des Heeres, dieses Hauptziel der preußischem Politik, war also
zunächst von der Steigerung der Aeeiseeinnahmen abhängig. In einem Memorial,
das Grumbkow 1713 an Friedrich Wilhelm I. richtete,'heißt es ausdrücklich,
daß "der Städte Nahrung, Wohlstand, Handel und Wandel diejenigen Quellen
seynd, woraus die Accise und folglich die Konservcition Ew. Königl. Mayst.
Militär-Etats herfließet." In derselben Richtung, fährt der Verfasser fort,
habe die Sorge für die Unterkunft der Soldaten mit ihren Weibern und
Kindern gewirkt; auch sie habe die Vergrößerung der Städte, die Vermehrung
ihrer Häuser und Wohnungen verlangt. Dieser doppelte Zusammenhang mit
den Lebensinteresse" des Staats, nämlich mit seinen fiskalisch-militärischen
Interessen müsse scharf hervorgehoben werden, wenn man die damalige Städte-
Politik in ihrem geschichtlichen Zusammenhang wirklich verstehn wolle; aber
ebenso energisch müsse auf der andern Seite betont werden, daß es volkswirt¬
schaftlich und sozialpolitisch gesunde Maßregeln gewesen wären, durch die man
die erstrebte Erhöhung der Einnahmen herbeizuführen gesucht Hütte. Denn
nicht etwa durch maßlose Steigerung der Accisetarifsätze, sondern durch Hebung
des wirtschaftlichen Gedeihens der Städte, durch Vermehrung ihrer Einwohner¬
zahl, durch Steigerung ihrer Konsnmkraft, durch Schaffung einer blühenden
Industrie wie eines blühenden Handwerks suchte die landesherrliche Regierung
ihr Ziel zu erreichen. Einwandrer wurden ius Land gezogen, das durch deu
Dreißigjährigen Krieg entvölkert worden war; Fabriken und Manufakturen in
jeder Weise begünstigt; der Gewerbebetrieb nach Möglichkeit auf die Städte
beschränkt, für fehlende Handwerker neue angesetzt, und auf dem Lande um¬
gekehrt nur wenige Gewerbe geduldet. Der Erfolg war, daß die Bevölkerung
Berlins von 1654 bis 1685 von etwa 10000 auf 18000 stieg, von 1685
bis 1709 aus 55000, und daß ums Ende des achtzehnten Jahrhunderts die
brandenburgisch-preußische Hauptstadt mit ihren 170000 bis 180000 Einwohnern
schon zu den ersten Städte" Europas gehörte und i" Deutschland nur von
Wien übertrosfe" wurde. Die Berliner Acciseerträge betrugen 1684 etwa


Grenzboten II 1901 44

auf alle Gebiete des volkswirtschaftlichen Lebens in gleicher Weise erstreckte,
jenes Systems, dessen wirkliche Bedeutung von den ältern liberalen Ökonomen
gänzlich verkannt, und dem erst unter dein Einfluß von Schmoller die neuere
wirtschaftsgeschichtliche Forschung gerecht geworden ist." Mehr Leute, mehr
Reichtum dem Staat zu schaffen, an seine Machtstellung zu heben und zu
sichern, das war das große Ziel dieses hohenzollerschen Merkantilismus, und
die städtische, namentlich auch die Berliner Wohnungs- und Bodenpolitik ist
ein wohl berechnetes und berechtigtes und auch sehr wirksames Glied in dieser
Kette gewesen.

Von den beiden Säulen — belehrt uns Voigt weiter —, auf dem das
brandenbnrgisch-preußische Heer finanziell ruhte, der ländlichen Kontribution
und der städtischen Accise, war die Accise die wichtigere, weil sie der bewegliche,
der steigerungsfähige und beständig rasch steigende Teil der Staatseinnahmen
war, während die Kontribution im großen und ganzen unverändert blieb. Die
Vergrößerung des Heeres, dieses Hauptziel der preußischem Politik, war also
zunächst von der Steigerung der Aeeiseeinnahmen abhängig. In einem Memorial,
das Grumbkow 1713 an Friedrich Wilhelm I. richtete,'heißt es ausdrücklich,
daß „der Städte Nahrung, Wohlstand, Handel und Wandel diejenigen Quellen
seynd, woraus die Accise und folglich die Konservcition Ew. Königl. Mayst.
Militär-Etats herfließet." In derselben Richtung, fährt der Verfasser fort,
habe die Sorge für die Unterkunft der Soldaten mit ihren Weibern und
Kindern gewirkt; auch sie habe die Vergrößerung der Städte, die Vermehrung
ihrer Häuser und Wohnungen verlangt. Dieser doppelte Zusammenhang mit
den Lebensinteresse» des Staats, nämlich mit seinen fiskalisch-militärischen
Interessen müsse scharf hervorgehoben werden, wenn man die damalige Städte-
Politik in ihrem geschichtlichen Zusammenhang wirklich verstehn wolle; aber
ebenso energisch müsse auf der andern Seite betont werden, daß es volkswirt¬
schaftlich und sozialpolitisch gesunde Maßregeln gewesen wären, durch die man
die erstrebte Erhöhung der Einnahmen herbeizuführen gesucht Hütte. Denn
nicht etwa durch maßlose Steigerung der Accisetarifsätze, sondern durch Hebung
des wirtschaftlichen Gedeihens der Städte, durch Vermehrung ihrer Einwohner¬
zahl, durch Steigerung ihrer Konsnmkraft, durch Schaffung einer blühenden
Industrie wie eines blühenden Handwerks suchte die landesherrliche Regierung
ihr Ziel zu erreichen. Einwandrer wurden ius Land gezogen, das durch deu
Dreißigjährigen Krieg entvölkert worden war; Fabriken und Manufakturen in
jeder Weise begünstigt; der Gewerbebetrieb nach Möglichkeit auf die Städte
beschränkt, für fehlende Handwerker neue angesetzt, und auf dem Lande um¬
gekehrt nur wenige Gewerbe geduldet. Der Erfolg war, daß die Bevölkerung
Berlins von 1654 bis 1685 von etwa 10000 auf 18000 stieg, von 1685
bis 1709 aus 55000, und daß ums Ende des achtzehnten Jahrhunderts die
brandenburgisch-preußische Hauptstadt mit ihren 170000 bis 180000 Einwohnern
schon zu den ersten Städte» Europas gehörte und i» Deutschland nur von
Wien übertrosfe» wurde. Die Berliner Acciseerträge betrugen 1684 etwa


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[0353] auf alle Gebiete des volkswirtschaftlichen Lebens in gleicher Weise erstreckte, jenes Systems, dessen wirkliche Bedeutung von den ältern liberalen Ökonomen gänzlich verkannt, und dem erst unter dein Einfluß von Schmoller die neuere wirtschaftsgeschichtliche Forschung gerecht geworden ist." Mehr Leute, mehr Reichtum dem Staat zu schaffen, an seine Machtstellung zu heben und zu sichern, das war das große Ziel dieses hohenzollerschen Merkantilismus, und die städtische, namentlich auch die Berliner Wohnungs- und Bodenpolitik ist ein wohl berechnetes und berechtigtes und auch sehr wirksames Glied in dieser Kette gewesen. Von den beiden Säulen — belehrt uns Voigt weiter —, auf dem das brandenbnrgisch-preußische Heer finanziell ruhte, der ländlichen Kontribution und der städtischen Accise, war die Accise die wichtigere, weil sie der bewegliche, der steigerungsfähige und beständig rasch steigende Teil der Staatseinnahmen war, während die Kontribution im großen und ganzen unverändert blieb. Die Vergrößerung des Heeres, dieses Hauptziel der preußischem Politik, war also zunächst von der Steigerung der Aeeiseeinnahmen abhängig. In einem Memorial, das Grumbkow 1713 an Friedrich Wilhelm I. richtete,'heißt es ausdrücklich, daß „der Städte Nahrung, Wohlstand, Handel und Wandel diejenigen Quellen seynd, woraus die Accise und folglich die Konservcition Ew. Königl. Mayst. Militär-Etats herfließet." In derselben Richtung, fährt der Verfasser fort, habe die Sorge für die Unterkunft der Soldaten mit ihren Weibern und Kindern gewirkt; auch sie habe die Vergrößerung der Städte, die Vermehrung ihrer Häuser und Wohnungen verlangt. Dieser doppelte Zusammenhang mit den Lebensinteresse» des Staats, nämlich mit seinen fiskalisch-militärischen Interessen müsse scharf hervorgehoben werden, wenn man die damalige Städte- Politik in ihrem geschichtlichen Zusammenhang wirklich verstehn wolle; aber ebenso energisch müsse auf der andern Seite betont werden, daß es volkswirt¬ schaftlich und sozialpolitisch gesunde Maßregeln gewesen wären, durch die man die erstrebte Erhöhung der Einnahmen herbeizuführen gesucht Hütte. Denn nicht etwa durch maßlose Steigerung der Accisetarifsätze, sondern durch Hebung des wirtschaftlichen Gedeihens der Städte, durch Vermehrung ihrer Einwohner¬ zahl, durch Steigerung ihrer Konsnmkraft, durch Schaffung einer blühenden Industrie wie eines blühenden Handwerks suchte die landesherrliche Regierung ihr Ziel zu erreichen. Einwandrer wurden ius Land gezogen, das durch deu Dreißigjährigen Krieg entvölkert worden war; Fabriken und Manufakturen in jeder Weise begünstigt; der Gewerbebetrieb nach Möglichkeit auf die Städte beschränkt, für fehlende Handwerker neue angesetzt, und auf dem Lande um¬ gekehrt nur wenige Gewerbe geduldet. Der Erfolg war, daß die Bevölkerung Berlins von 1654 bis 1685 von etwa 10000 auf 18000 stieg, von 1685 bis 1709 aus 55000, und daß ums Ende des achtzehnten Jahrhunderts die brandenburgisch-preußische Hauptstadt mit ihren 170000 bis 180000 Einwohnern schon zu den ersten Städte» Europas gehörte und i» Deutschland nur von Wien übertrosfe» wurde. Die Berliner Acciseerträge betrugen 1684 etwa Grenzboten II 1901 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/353>, abgerufen am 17.06.2024.