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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Moderne Bücherausstattung

netzes aufgenommen hat. Aber um ein gutes Bild zu erreichen, bedarf es doch
keiner übertriebnen Thätigkeit des "Streichtechnikers," und eine spiegelnde
Glätte, die einem das Sehen erschwert und das Lesen verleidet, ist schon mehr
ein moderner Unfug. Da das nichtgestrichue Rohpapier, wenn es die Eigen¬
schaften des künstlich geglätteten haben soll (das sogenannte Naturkunstdruck-
Papier), für die meisten Unternehmungen zu teuer ist, so wird von der Art,
wie sich das Surrogat weiter entwickelt, recht viel abhängen. Es ist ein Übel,
aber kein so grosses, wie man gewöhnlich annimmt, wenn es nur verständig
behandelt wird.

Soviel von dem Bilde an sich. Was würde wohl Albrecht Dürer sagen,
wenn er plötzlich wiederkäme und seyen könnte, wie täuschend lebendig jetzt in
Schwarz oder in Bunt Tier und Menschenkind für jedermann und um ein
Spottgeld abgeschildert werden kann? Müßte er nicht seine Nachkommen für
wahre Zaubrer halten, zumal, wenn ihm keiner verraten hätte, wie groß der
Anteil der Naturkraft und der Maschine an ihrer photomechanischen Kunst ist?
Und nun treten unsre Kunstpropheten auf, wenden ihr Antlitz rückwärts und
verkünden, daß sich das Buch mit Bildern wieder auf den Standpunkt seiner
Zeit zurückzubegeben habe, das sei stilvoll; was dazwischen liege, sei Verirrung.
Wir mögen das in Bezug auf die mit der Hand angetuschten Kupfertafeln
der teuern Bücher aus der Zeit unsrer Großväter und auf unsre eignen Kinder¬
bücher mit ihren acht kolorierten Bildern bei Winkelmann und Söhne ohne
weiteres zugeben, und doch erschienen sie der damaligen Zeit als Fortschritte.
Die Frage wäre aber nun, ob sich die durch Farben und Photographien,
durch Plakate und alle Arten von Wirklichkeitsillnstration verwöhnten Augen
unsrer Kinder und unsers Volks zurückfinden werden in die stilgerechte Ein¬
heitlichkeit von Buchdruck und Buchschmuck in offner Strichzeichnung, ob nicht
diese vielmehr eine besondre Gattung von Büchern darstellen für Kenner und
feinere, historisch gebildete Liebhaber. Genüsse also, zu denen unsre Lichtwarks
erst die Anweisung schreiben müssen. Es scheint ja immer mit zum Wesen
des Archaismus zu gehören, daß er sich modern vorkommt.

Am wichtigsten wird es den meisten von uns sein, wie ihre Bücher ge¬
druckt sind. Wir haben mancherlei Antiqua und Fraktur, auch die Schwabacher¬
schrift ist uns noch geläufig, außerdem einen Vorrat alter und neuer Initialen,
wir haben Abwechslung in der Stärke des Schriftkegels und in der Schrift-
Höhe, ein Material also, durch das wir vielerlei Wirkungen ausdrücke,? und dem
Charakter der verschiedensten Bucharten gerecht werden können. Der Sinn für
die Schriftform und das Satzbild der Buchseiten ist lebendig geworden, und
Künstler, die dafür Begabung haben, möchten verbessern und neues schaffen.
In dem Klimsch-Jahrbuch werden uns Seite 162 einige moderne Schriftproben
in vollen Seiten vorgeführt, zunächst eine breite gotische Schrift von William
Morris, sehr deutlich, aber so protzig monumental, wenn der Ausdruck erlaubt
ist, daß sie eigentlich nur für einen ebenso monumentalen Gedankeninhalt ge¬
eignet erscheint; dann eine neudeutsche Schrift der Reichsdruckerei und eine


Moderne Bücherausstattung

netzes aufgenommen hat. Aber um ein gutes Bild zu erreichen, bedarf es doch
keiner übertriebnen Thätigkeit des „Streichtechnikers," und eine spiegelnde
Glätte, die einem das Sehen erschwert und das Lesen verleidet, ist schon mehr
ein moderner Unfug. Da das nichtgestrichue Rohpapier, wenn es die Eigen¬
schaften des künstlich geglätteten haben soll (das sogenannte Naturkunstdruck-
Papier), für die meisten Unternehmungen zu teuer ist, so wird von der Art,
wie sich das Surrogat weiter entwickelt, recht viel abhängen. Es ist ein Übel,
aber kein so grosses, wie man gewöhnlich annimmt, wenn es nur verständig
behandelt wird.

Soviel von dem Bilde an sich. Was würde wohl Albrecht Dürer sagen,
wenn er plötzlich wiederkäme und seyen könnte, wie täuschend lebendig jetzt in
Schwarz oder in Bunt Tier und Menschenkind für jedermann und um ein
Spottgeld abgeschildert werden kann? Müßte er nicht seine Nachkommen für
wahre Zaubrer halten, zumal, wenn ihm keiner verraten hätte, wie groß der
Anteil der Naturkraft und der Maschine an ihrer photomechanischen Kunst ist?
Und nun treten unsre Kunstpropheten auf, wenden ihr Antlitz rückwärts und
verkünden, daß sich das Buch mit Bildern wieder auf den Standpunkt seiner
Zeit zurückzubegeben habe, das sei stilvoll; was dazwischen liege, sei Verirrung.
Wir mögen das in Bezug auf die mit der Hand angetuschten Kupfertafeln
der teuern Bücher aus der Zeit unsrer Großväter und auf unsre eignen Kinder¬
bücher mit ihren acht kolorierten Bildern bei Winkelmann und Söhne ohne
weiteres zugeben, und doch erschienen sie der damaligen Zeit als Fortschritte.
Die Frage wäre aber nun, ob sich die durch Farben und Photographien,
durch Plakate und alle Arten von Wirklichkeitsillnstration verwöhnten Augen
unsrer Kinder und unsers Volks zurückfinden werden in die stilgerechte Ein¬
heitlichkeit von Buchdruck und Buchschmuck in offner Strichzeichnung, ob nicht
diese vielmehr eine besondre Gattung von Büchern darstellen für Kenner und
feinere, historisch gebildete Liebhaber. Genüsse also, zu denen unsre Lichtwarks
erst die Anweisung schreiben müssen. Es scheint ja immer mit zum Wesen
des Archaismus zu gehören, daß er sich modern vorkommt.

Am wichtigsten wird es den meisten von uns sein, wie ihre Bücher ge¬
druckt sind. Wir haben mancherlei Antiqua und Fraktur, auch die Schwabacher¬
schrift ist uns noch geläufig, außerdem einen Vorrat alter und neuer Initialen,
wir haben Abwechslung in der Stärke des Schriftkegels und in der Schrift-
Höhe, ein Material also, durch das wir vielerlei Wirkungen ausdrücke,? und dem
Charakter der verschiedensten Bucharten gerecht werden können. Der Sinn für
die Schriftform und das Satzbild der Buchseiten ist lebendig geworden, und
Künstler, die dafür Begabung haben, möchten verbessern und neues schaffen.
In dem Klimsch-Jahrbuch werden uns Seite 162 einige moderne Schriftproben
in vollen Seiten vorgeführt, zunächst eine breite gotische Schrift von William
Morris, sehr deutlich, aber so protzig monumental, wenn der Ausdruck erlaubt
ist, daß sie eigentlich nur für einen ebenso monumentalen Gedankeninhalt ge¬
eignet erscheint; dann eine neudeutsche Schrift der Reichsdruckerei und eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/39>, abgerufen am 10.06.2024.