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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Ausdehnung der Schöffengerichte

andern Juristen zu thun hat, denn da versteht man sich, wie überall unter
Berufsgenossen, in vielen Dingen mit halben Worten, und man wiegt sich
leicht in dem Glauben ein, die schwere Kunst des Fragens zu beherrschen,
weil man sie virtuos übt. Genug, ich habe mich als Vorsitzender des Schöffen¬
gerichts mannigfaltig gefördert gefunden; ich habe es als gegenseitiges Gebe"
und Empfangen, als Austausch vou geistige"? Gütern im öffentlichen Interesse,
als echt soziale Institution erprobt. Und ich möchte glauben, daß diese Er¬
fahrungen keine rein persönlichen sind, sondern auch einen gewisse"? typischen
Wert haben. Es sind ja auch viele andre Juristen für die Verallgemeinerung
der Schöffengerichte.

Nur zweierlei habe ich als Mangel empfunden. Nach der Strafproze߬
ordnung nehmen die Schöffen nicht nur an der Nrteilssiillnng, sondern auch
an etwaigen Zwischenentscheidnngen teil, z. B. über Beweisanträge und in
Fragen der Sitznngsdisziplin. Dafür haben sie kein Verständnis, und es ist
ihnen auch keins beizubringen, denn die Umstände, worauf es bei der Er¬
wägung ankommt, sind zwar in den einzelne" Fällen höchst verschieden, die
Fälle selber also in besonder"! Maße individuell gefärbt, aber das Gesetz giebt
für die Entscheidung keine Regel, der Entscheidende muß sie sich selbst bilden,
aus allgemeinen rechtlichen Erwägungen und aus der Praxis, was deu Laie"
nicht möglich ist. Hier ist daS Feld frei für solche Verteidiger, die ihre"
Klienten und dem Publikum ihr ganzes "Können" und ihre Wichtigkeit vor¬
führen wollen: sie jagen eins aufs andremal de" Richter und die Schöffen
ins Beratnngszimmer. Eine Verleitung für deu Richter, "durchzufahren" und
dies auch sonst als Gewohnheit anzunehmen; eine Qual für den besonders
gewissenhaften, der sich nicht dazu entschließen kann. Und dabei sachlich ganz
zwecklos, ja zweckwidrig. Für diese Zwischenentscheidnngen ist nur das an¬
gebracht, was nach französische"? Vorgang die dislretionäre Gewalt des Vor¬
sitzenden genannt wird. Die Sache erklärt sich aus dein Wort von selbst als
des Vorsitzenden uicht willkürliches, aber freies Ermessen, ans eigne Verant¬
wortung zu beschließen; mit dein Recht, aber ohne die Pflicht, das Kollegium
beschließe!! zu lassen. Das zweite, worin die Schöffengerichte hinter reinen
Berufsgerichten zurückstehn, ist, daß ihre Anwendung des weiten Spielraums,
den unsre Gesetze für die Festsetzung der Strafe gewähren, uoch milder aus¬
fällt, weil die Schöffen noch "gutmütiger" sind als die Richter, denen Fürst
Bismarck dieses Prädikat beigelegt hat. Gutmütigkeit oder Gütigkeit ist an
Herren eine köstliche Eigenschaft, aber das Richteramt ist kein Herrenrecht,
sondern Dienstverwaltung des Gesetzes. Gnade steht nur dein Fürsten zu. Es
giebt Fülle, in denen auf das gesetzliche Strafmimmum zu erkennen im Sinne
des Gesetzes ist, aber dies zu einer Art von Regel zu machen und uns darauf
etwas zu gute zu thun, wie wir es lieben, und worin uns die Schöffen noch
überbieten, ist Pflichtwidrigkeit, und wenn man es analysiert, einesteils Willkür,
andernteils schwächliche Furcht vor Verantwortung. Es ist eine Zeitströmung;
feste Richter würden sich auch feste Schöffen heranbilden.


Ausdehnung der Schöffengerichte

andern Juristen zu thun hat, denn da versteht man sich, wie überall unter
Berufsgenossen, in vielen Dingen mit halben Worten, und man wiegt sich
leicht in dem Glauben ein, die schwere Kunst des Fragens zu beherrschen,
weil man sie virtuos übt. Genug, ich habe mich als Vorsitzender des Schöffen¬
gerichts mannigfaltig gefördert gefunden; ich habe es als gegenseitiges Gebe»
und Empfangen, als Austausch vou geistige»? Gütern im öffentlichen Interesse,
als echt soziale Institution erprobt. Und ich möchte glauben, daß diese Er¬
fahrungen keine rein persönlichen sind, sondern auch einen gewisse»? typischen
Wert haben. Es sind ja auch viele andre Juristen für die Verallgemeinerung
der Schöffengerichte.

Nur zweierlei habe ich als Mangel empfunden. Nach der Strafproze߬
ordnung nehmen die Schöffen nicht nur an der Nrteilssiillnng, sondern auch
an etwaigen Zwischenentscheidnngen teil, z. B. über Beweisanträge und in
Fragen der Sitznngsdisziplin. Dafür haben sie kein Verständnis, und es ist
ihnen auch keins beizubringen, denn die Umstände, worauf es bei der Er¬
wägung ankommt, sind zwar in den einzelne» Fällen höchst verschieden, die
Fälle selber also in besonder»! Maße individuell gefärbt, aber das Gesetz giebt
für die Entscheidung keine Regel, der Entscheidende muß sie sich selbst bilden,
aus allgemeinen rechtlichen Erwägungen und aus der Praxis, was deu Laie»
nicht möglich ist. Hier ist daS Feld frei für solche Verteidiger, die ihre»
Klienten und dem Publikum ihr ganzes „Können" und ihre Wichtigkeit vor¬
führen wollen: sie jagen eins aufs andremal de» Richter und die Schöffen
ins Beratnngszimmer. Eine Verleitung für deu Richter, „durchzufahren" und
dies auch sonst als Gewohnheit anzunehmen; eine Qual für den besonders
gewissenhaften, der sich nicht dazu entschließen kann. Und dabei sachlich ganz
zwecklos, ja zweckwidrig. Für diese Zwischenentscheidnngen ist nur das an¬
gebracht, was nach französische»? Vorgang die dislretionäre Gewalt des Vor¬
sitzenden genannt wird. Die Sache erklärt sich aus dein Wort von selbst als
des Vorsitzenden uicht willkürliches, aber freies Ermessen, ans eigne Verant¬
wortung zu beschließen; mit dein Recht, aber ohne die Pflicht, das Kollegium
beschließe!! zu lassen. Das zweite, worin die Schöffengerichte hinter reinen
Berufsgerichten zurückstehn, ist, daß ihre Anwendung des weiten Spielraums,
den unsre Gesetze für die Festsetzung der Strafe gewähren, uoch milder aus¬
fällt, weil die Schöffen noch „gutmütiger" sind als die Richter, denen Fürst
Bismarck dieses Prädikat beigelegt hat. Gutmütigkeit oder Gütigkeit ist an
Herren eine köstliche Eigenschaft, aber das Richteramt ist kein Herrenrecht,
sondern Dienstverwaltung des Gesetzes. Gnade steht nur dein Fürsten zu. Es
giebt Fülle, in denen auf das gesetzliche Strafmimmum zu erkennen im Sinne
des Gesetzes ist, aber dies zu einer Art von Regel zu machen und uns darauf
etwas zu gute zu thun, wie wir es lieben, und worin uns die Schöffen noch
überbieten, ist Pflichtwidrigkeit, und wenn man es analysiert, einesteils Willkür,
andernteils schwächliche Furcht vor Verantwortung. Es ist eine Zeitströmung;
feste Richter würden sich auch feste Schöffen heranbilden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/408>, abgerufen am 10.06.2024.