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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Ausdehnung der Schöffengerichte

Damit die zugezognen Schöffen den rechten Einfluß haben, müssen sie
die Mehrheit haben. Sonst rechnet der Jurist mit ihnen nicht. In einem
Fünfmännergericht, das aus drei Juristen und zwei Laien besteht, sind diese
mundtot oder Krakeeler, Das ist schroff ausgedrückt, aber zweifellos richtig.
In deu jetzigen Schöffengerichten besteht das Zahlenverhältnis von zwei zu
eins; in denen, die an die Stelle der Strafkammern und der Geschwornen¬
gerichte treten sollten, mögen die Grundzahlen wechseln, und sie werden es,
ihrer größern Bedeutung entsprechend, wohl auch müssen, aber in allen muß
die Mehrheit den Schöffen bleiben, die große Mehrheit sogar. Meinesteils
würde ich vor einem Zahlenverhältnis von vier Laien und einem Juristen nicht
erschrecken, wahrscheinlicher ist, daß eine andre Kombination gewählt werden
würde. Etwa fünf zu zwei. Oder vou neun zu drei, was jedoch den vor-
handnen Bestand von geeigneten Schöffen überschreiten oder überspannen hieße.
Die mehreren Juristen nun sollten im Borsitz und in der damit verbundnen
Leitung der Verhandlung abwechseln, und zwar nicht sitzungsweise, sondern
innerhalb jeder Sitzung von Fall zu Fall, nach einer festen, ständigen Ordnung.
Die Befriedigung des Ehrgeizes, die der Wechsel im Vorsitz gewährt, würde
sehr wohlthätig wirken und insbesondre zur Folge haben, daß ältere und er¬
fahrnere Mitglieder der Landgerichte gern Strafrichter wären, wie sie jetzt gern
Schwnrgerichtspräsidenten, aber in der Regel sehr ungern Beisitzer der Straf¬
kammern sind. Untereinander wurden sich diese alternierenden Vorsitzenden
kontrollieren, ohne Kleinlichkeit, und doch wirksam, in der Ausübung der dis-
kretivnären Gewalt zum Beispiel. Bei der Beratung des Endurteils würde
ihre Gleichstellung so hervortreten, daß zur Aufklärung der Laienmchrheit
mehrere sachverständige Auffassungen zu Worte kämen. Und gegen ebenso
wunderbare wie gefährliche Velleitäten dieser Laienmchrheit, wie sie zuweilen
vorkommen, wird die Juristemninderheit fest zusnmmenstehn.

In dieser Anwendung ist der Gedanke, den Vorsitz abwechseln zu lassen,
soviel ich weiß, neu, in andrer hat er sich durch die Erfahrung schon erprobt.
So geschah es in einem unsrer kleinern Staaten vor dem Inkrafttreten der
Reichsprozeßgesetze hänfig, daß der ständige Vorsitzende des Strafgerichts dem
Referenten den Vorsitz einräumte; sich selbst behielt er nur die Verteilung und
die bedeutendsten Sachen vor. In clnbiis libört-iL: wenn nur meine Lösung
dieser Einzelfrage als die richtigere erscheint, so mögen andre anders denken,
und es wird auch nicht vom Übel sein. Aber in nlzo688grus uniws. Das,
worin meines Ernchtens Einigkeit not thut, ist die Einsicht, daß unsre Straf-
gerichtsverfassnng größere Einheitlichkeit erfordert, und daß diese politisch nur
mit umfassenderer Laienbeteiligung, zweckmäßig nur in der Form des Schöffen¬
x gerichts erreichbar ist.




Grenzboten II 1901ÜI
Ausdehnung der Schöffengerichte

Damit die zugezognen Schöffen den rechten Einfluß haben, müssen sie
die Mehrheit haben. Sonst rechnet der Jurist mit ihnen nicht. In einem
Fünfmännergericht, das aus drei Juristen und zwei Laien besteht, sind diese
mundtot oder Krakeeler, Das ist schroff ausgedrückt, aber zweifellos richtig.
In deu jetzigen Schöffengerichten besteht das Zahlenverhältnis von zwei zu
eins; in denen, die an die Stelle der Strafkammern und der Geschwornen¬
gerichte treten sollten, mögen die Grundzahlen wechseln, und sie werden es,
ihrer größern Bedeutung entsprechend, wohl auch müssen, aber in allen muß
die Mehrheit den Schöffen bleiben, die große Mehrheit sogar. Meinesteils
würde ich vor einem Zahlenverhältnis von vier Laien und einem Juristen nicht
erschrecken, wahrscheinlicher ist, daß eine andre Kombination gewählt werden
würde. Etwa fünf zu zwei. Oder vou neun zu drei, was jedoch den vor-
handnen Bestand von geeigneten Schöffen überschreiten oder überspannen hieße.
Die mehreren Juristen nun sollten im Borsitz und in der damit verbundnen
Leitung der Verhandlung abwechseln, und zwar nicht sitzungsweise, sondern
innerhalb jeder Sitzung von Fall zu Fall, nach einer festen, ständigen Ordnung.
Die Befriedigung des Ehrgeizes, die der Wechsel im Vorsitz gewährt, würde
sehr wohlthätig wirken und insbesondre zur Folge haben, daß ältere und er¬
fahrnere Mitglieder der Landgerichte gern Strafrichter wären, wie sie jetzt gern
Schwnrgerichtspräsidenten, aber in der Regel sehr ungern Beisitzer der Straf¬
kammern sind. Untereinander wurden sich diese alternierenden Vorsitzenden
kontrollieren, ohne Kleinlichkeit, und doch wirksam, in der Ausübung der dis-
kretivnären Gewalt zum Beispiel. Bei der Beratung des Endurteils würde
ihre Gleichstellung so hervortreten, daß zur Aufklärung der Laienmchrheit
mehrere sachverständige Auffassungen zu Worte kämen. Und gegen ebenso
wunderbare wie gefährliche Velleitäten dieser Laienmchrheit, wie sie zuweilen
vorkommen, wird die Juristemninderheit fest zusnmmenstehn.

In dieser Anwendung ist der Gedanke, den Vorsitz abwechseln zu lassen,
soviel ich weiß, neu, in andrer hat er sich durch die Erfahrung schon erprobt.
So geschah es in einem unsrer kleinern Staaten vor dem Inkrafttreten der
Reichsprozeßgesetze hänfig, daß der ständige Vorsitzende des Strafgerichts dem
Referenten den Vorsitz einräumte; sich selbst behielt er nur die Verteilung und
die bedeutendsten Sachen vor. In clnbiis libört-iL: wenn nur meine Lösung
dieser Einzelfrage als die richtigere erscheint, so mögen andre anders denken,
und es wird auch nicht vom Übel sein. Aber in nlzo688grus uniws. Das,
worin meines Ernchtens Einigkeit not thut, ist die Einsicht, daß unsre Straf-
gerichtsverfassnng größere Einheitlichkeit erfordert, und daß diese politisch nur
mit umfassenderer Laienbeteiligung, zweckmäßig nur in der Form des Schöffen¬
x gerichts erreichbar ist.




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[0409] Ausdehnung der Schöffengerichte Damit die zugezognen Schöffen den rechten Einfluß haben, müssen sie die Mehrheit haben. Sonst rechnet der Jurist mit ihnen nicht. In einem Fünfmännergericht, das aus drei Juristen und zwei Laien besteht, sind diese mundtot oder Krakeeler, Das ist schroff ausgedrückt, aber zweifellos richtig. In deu jetzigen Schöffengerichten besteht das Zahlenverhältnis von zwei zu eins; in denen, die an die Stelle der Strafkammern und der Geschwornen¬ gerichte treten sollten, mögen die Grundzahlen wechseln, und sie werden es, ihrer größern Bedeutung entsprechend, wohl auch müssen, aber in allen muß die Mehrheit den Schöffen bleiben, die große Mehrheit sogar. Meinesteils würde ich vor einem Zahlenverhältnis von vier Laien und einem Juristen nicht erschrecken, wahrscheinlicher ist, daß eine andre Kombination gewählt werden würde. Etwa fünf zu zwei. Oder vou neun zu drei, was jedoch den vor- handnen Bestand von geeigneten Schöffen überschreiten oder überspannen hieße. Die mehreren Juristen nun sollten im Borsitz und in der damit verbundnen Leitung der Verhandlung abwechseln, und zwar nicht sitzungsweise, sondern innerhalb jeder Sitzung von Fall zu Fall, nach einer festen, ständigen Ordnung. Die Befriedigung des Ehrgeizes, die der Wechsel im Vorsitz gewährt, würde sehr wohlthätig wirken und insbesondre zur Folge haben, daß ältere und er¬ fahrnere Mitglieder der Landgerichte gern Strafrichter wären, wie sie jetzt gern Schwnrgerichtspräsidenten, aber in der Regel sehr ungern Beisitzer der Straf¬ kammern sind. Untereinander wurden sich diese alternierenden Vorsitzenden kontrollieren, ohne Kleinlichkeit, und doch wirksam, in der Ausübung der dis- kretivnären Gewalt zum Beispiel. Bei der Beratung des Endurteils würde ihre Gleichstellung so hervortreten, daß zur Aufklärung der Laienmchrheit mehrere sachverständige Auffassungen zu Worte kämen. Und gegen ebenso wunderbare wie gefährliche Velleitäten dieser Laienmchrheit, wie sie zuweilen vorkommen, wird die Juristemninderheit fest zusnmmenstehn. In dieser Anwendung ist der Gedanke, den Vorsitz abwechseln zu lassen, soviel ich weiß, neu, in andrer hat er sich durch die Erfahrung schon erprobt. So geschah es in einem unsrer kleinern Staaten vor dem Inkrafttreten der Reichsprozeßgesetze hänfig, daß der ständige Vorsitzende des Strafgerichts dem Referenten den Vorsitz einräumte; sich selbst behielt er nur die Verteilung und die bedeutendsten Sachen vor. In clnbiis libört-iL: wenn nur meine Lösung dieser Einzelfrage als die richtigere erscheint, so mögen andre anders denken, und es wird auch nicht vom Übel sein. Aber in nlzo688grus uniws. Das, worin meines Ernchtens Einigkeit not thut, ist die Einsicht, daß unsre Straf- gerichtsverfassnng größere Einheitlichkeit erfordert, und daß diese politisch nur mit umfassenderer Laienbeteiligung, zweckmäßig nur in der Form des Schöffen¬ x gerichts erreichbar ist. Grenzboten II 1901ÜI

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/409>, abgerufen am 18.05.2024.