Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Satiren des Horaz im Lichte des modernen italienischen Lebens

in der Volksart zunächst nur die von: Norden nach dem Süden zu wachsende
Lebendigkeit ans. In Mailand und Florenz sieht der Droschkenkutscher den
ihm sofort erkennbaren torestisrö, der an seinem Stande vorübergeht, nur er¬
wartungsvoll an; in Rom streckt er ihm die rechte Hand mit aufgerichtetem
Zeigefinger entgegen nud ruft ihm zu: Vuols? In Neapel schreit er ihn an,
zappelt am ganzen Leibe und führt ihm nach. In der That sind die land¬
schaftlichen und dialektischen Unterschiede in Italien außerordentlich groß; das
Piemontesische und Sizilianische ist auch für den, der das Italienische leidlich
beherrscht, sogar wenn er es gedruckt vor sich sieht, ganz unverständlich, und
der Lombarde kann sich mit dem Neapolitaner in seiner Mundart gerade so
wenig verständigen wie der Ostpreuße mit dem Schwaben. Aber diese tief¬
gehenden Verschiedenheiten in Volksart und Sprache beruhen nicht ans jenen
mittelalterlichen Zuwandrungen, sondern der Hauptsache nach auf der sehr
bunten Volks Mischung des Altertums.

Waren schon die Latiner von den ihnen doch nahe verwandten umbrisch-
sabellischen Stämmen sehr verschieden, so standen ihnen Kelten, Ligurer, Veneder
und Griechen, obwohl Arier wie sie, noch viel ferner, und die Etrusker wie
die Punier auf Sizilien gehörten ganz andern Rassen an. Nur langsam hat
die sprachliche Latinisiernng die Halbinsel überwältigt, Sizilien überhaupt nicht,
der ethnologische Untergrund selbst ist niemals zerstört, sondern nur mit ladi-
nischen Elementen durchsetzt worden. Indem nun allmählich -- sicher erst seit
der letzte" Zeit der Republik -- die von Rom politisch mühsam geeinten
Stämme Italiens zu einer Kultur- und Spracheinheit und erst dadurch zu
eiuer Nation verschmolzen, die sich mit Stolz als Weltbeherrscherin fühlte,
drangen auch in die römische Litteratur stammfremde, unlatinischc Elemente
ein und bestimmten ganz wesentlich ihren Charakter. Eine ganze Reihe ihrer
bedeutendsten Vertreter waren weder Latiner noch vollends Römer. Livius
Andronicus war ein Grieche, Ennius wenigstens ein Halbgrieche, Terenz sogar
ein Afrikaner, Plnutus stammte aus Umbricn, wie später Properz, M. Cicero
aus dem Volskcrlcmde, Virgil war unzweifelhaft keltischer Abkunft wie der
feine Lyriker Catull und der Historiker Livius, und Horaz war ein Apulier von
der lntanischen Grenze. So sehr sie sich alle politisch als Römer fühlten, und
obwohl sie alle lateinisch schrieben, ihrer eingebornen Bolksart entäußerten sie
sich deshalb doch nicht und konnten es auch gar nicht. Deshalb wurde denn
much die Litteratur und vor allem die Dichtung nichts spezifisch Römisches oder
auch nur Latinisches, sondern sie wurde italisch schlechtweg, und die Menschen,
die sie vorführt, sind keineswegs immer Römer, Männer von gemessener Würde
und ruhigem Selbstbewußtsein, die an nichts andres denken als an Staats-
gchhäftc, wie wir sie uns nach gewissen rhetorisch aufgeputzten Idealbildern
Ma vorstellen, sondern ganz andre Menschen, Menschen, die der altrömischen
Grandezza eines M. Porcius Cato und eiues Q. Fabricius viel weniger ent¬
sprechen, als modernen Italienern. Die zwei Jahrtausende, die dazwischen liegen,
thun hier wenig zur Sache; unzweifelhaft stehn die heutigen Italiener den


Die Satiren des Horaz im Lichte des modernen italienischen Lebens

in der Volksart zunächst nur die von: Norden nach dem Süden zu wachsende
Lebendigkeit ans. In Mailand und Florenz sieht der Droschkenkutscher den
ihm sofort erkennbaren torestisrö, der an seinem Stande vorübergeht, nur er¬
wartungsvoll an; in Rom streckt er ihm die rechte Hand mit aufgerichtetem
Zeigefinger entgegen nud ruft ihm zu: Vuols? In Neapel schreit er ihn an,
zappelt am ganzen Leibe und führt ihm nach. In der That sind die land¬
schaftlichen und dialektischen Unterschiede in Italien außerordentlich groß; das
Piemontesische und Sizilianische ist auch für den, der das Italienische leidlich
beherrscht, sogar wenn er es gedruckt vor sich sieht, ganz unverständlich, und
der Lombarde kann sich mit dem Neapolitaner in seiner Mundart gerade so
wenig verständigen wie der Ostpreuße mit dem Schwaben. Aber diese tief¬
gehenden Verschiedenheiten in Volksart und Sprache beruhen nicht ans jenen
mittelalterlichen Zuwandrungen, sondern der Hauptsache nach auf der sehr
bunten Volks Mischung des Altertums.

Waren schon die Latiner von den ihnen doch nahe verwandten umbrisch-
sabellischen Stämmen sehr verschieden, so standen ihnen Kelten, Ligurer, Veneder
und Griechen, obwohl Arier wie sie, noch viel ferner, und die Etrusker wie
die Punier auf Sizilien gehörten ganz andern Rassen an. Nur langsam hat
die sprachliche Latinisiernng die Halbinsel überwältigt, Sizilien überhaupt nicht,
der ethnologische Untergrund selbst ist niemals zerstört, sondern nur mit ladi-
nischen Elementen durchsetzt worden. Indem nun allmählich — sicher erst seit
der letzte» Zeit der Republik — die von Rom politisch mühsam geeinten
Stämme Italiens zu einer Kultur- und Spracheinheit und erst dadurch zu
eiuer Nation verschmolzen, die sich mit Stolz als Weltbeherrscherin fühlte,
drangen auch in die römische Litteratur stammfremde, unlatinischc Elemente
ein und bestimmten ganz wesentlich ihren Charakter. Eine ganze Reihe ihrer
bedeutendsten Vertreter waren weder Latiner noch vollends Römer. Livius
Andronicus war ein Grieche, Ennius wenigstens ein Halbgrieche, Terenz sogar
ein Afrikaner, Plnutus stammte aus Umbricn, wie später Properz, M. Cicero
aus dem Volskcrlcmde, Virgil war unzweifelhaft keltischer Abkunft wie der
feine Lyriker Catull und der Historiker Livius, und Horaz war ein Apulier von
der lntanischen Grenze. So sehr sie sich alle politisch als Römer fühlten, und
obwohl sie alle lateinisch schrieben, ihrer eingebornen Bolksart entäußerten sie
sich deshalb doch nicht und konnten es auch gar nicht. Deshalb wurde denn
much die Litteratur und vor allem die Dichtung nichts spezifisch Römisches oder
auch nur Latinisches, sondern sie wurde italisch schlechtweg, und die Menschen,
die sie vorführt, sind keineswegs immer Römer, Männer von gemessener Würde
und ruhigem Selbstbewußtsein, die an nichts andres denken als an Staats-
gchhäftc, wie wir sie uns nach gewissen rhetorisch aufgeputzten Idealbildern
Ma vorstellen, sondern ganz andre Menschen, Menschen, die der altrömischen
Grandezza eines M. Porcius Cato und eiues Q. Fabricius viel weniger ent¬
sprechen, als modernen Italienern. Die zwei Jahrtausende, die dazwischen liegen,
thun hier wenig zur Sache; unzweifelhaft stehn die heutigen Italiener den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0411" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234941"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Satiren des Horaz im Lichte des modernen italienischen Lebens</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1203" prev="#ID_1202"> in der Volksart zunächst nur die von: Norden nach dem Süden zu wachsende<lb/>
Lebendigkeit ans. In Mailand und Florenz sieht der Droschkenkutscher den<lb/>
ihm sofort erkennbaren torestisrö, der an seinem Stande vorübergeht, nur er¬<lb/>
wartungsvoll an; in Rom streckt er ihm die rechte Hand mit aufgerichtetem<lb/>
Zeigefinger entgegen nud ruft ihm zu: Vuols? In Neapel schreit er ihn an,<lb/>
zappelt am ganzen Leibe und führt ihm nach. In der That sind die land¬<lb/>
schaftlichen und dialektischen Unterschiede in Italien außerordentlich groß; das<lb/>
Piemontesische und Sizilianische ist auch für den, der das Italienische leidlich<lb/>
beherrscht, sogar wenn er es gedruckt vor sich sieht, ganz unverständlich, und<lb/>
der Lombarde kann sich mit dem Neapolitaner in seiner Mundart gerade so<lb/>
wenig verständigen wie der Ostpreuße mit dem Schwaben. Aber diese tief¬<lb/>
gehenden Verschiedenheiten in Volksart und Sprache beruhen nicht ans jenen<lb/>
mittelalterlichen Zuwandrungen, sondern der Hauptsache nach auf der sehr<lb/>
bunten Volks Mischung des Altertums.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1204" next="#ID_1205"> Waren schon die Latiner von den ihnen doch nahe verwandten umbrisch-<lb/>
sabellischen Stämmen sehr verschieden, so standen ihnen Kelten, Ligurer, Veneder<lb/>
und Griechen, obwohl Arier wie sie, noch viel ferner, und die Etrusker wie<lb/>
die Punier auf Sizilien gehörten ganz andern Rassen an. Nur langsam hat<lb/>
die sprachliche Latinisiernng die Halbinsel überwältigt, Sizilien überhaupt nicht,<lb/>
der ethnologische Untergrund selbst ist niemals zerstört, sondern nur mit ladi-<lb/>
nischen Elementen durchsetzt worden. Indem nun allmählich &#x2014; sicher erst seit<lb/>
der letzte» Zeit der Republik &#x2014; die von Rom politisch mühsam geeinten<lb/>
Stämme Italiens zu einer Kultur- und Spracheinheit und erst dadurch zu<lb/>
eiuer Nation verschmolzen, die sich mit Stolz als Weltbeherrscherin fühlte,<lb/>
drangen auch in die römische Litteratur stammfremde, unlatinischc Elemente<lb/>
ein und bestimmten ganz wesentlich ihren Charakter. Eine ganze Reihe ihrer<lb/>
bedeutendsten Vertreter waren weder Latiner noch vollends Römer. Livius<lb/>
Andronicus war ein Grieche, Ennius wenigstens ein Halbgrieche, Terenz sogar<lb/>
ein Afrikaner, Plnutus stammte aus Umbricn, wie später Properz, M. Cicero<lb/>
aus dem Volskcrlcmde, Virgil war unzweifelhaft keltischer Abkunft wie der<lb/>
feine Lyriker Catull und der Historiker Livius, und Horaz war ein Apulier von<lb/>
der lntanischen Grenze. So sehr sie sich alle politisch als Römer fühlten, und<lb/>
obwohl sie alle lateinisch schrieben, ihrer eingebornen Bolksart entäußerten sie<lb/>
sich deshalb doch nicht und konnten es auch gar nicht. Deshalb wurde denn<lb/>
much die Litteratur und vor allem die Dichtung nichts spezifisch Römisches oder<lb/>
auch nur Latinisches, sondern sie wurde italisch schlechtweg, und die Menschen,<lb/>
die sie vorführt, sind keineswegs immer Römer, Männer von gemessener Würde<lb/>
und ruhigem Selbstbewußtsein, die an nichts andres denken als an Staats-<lb/>
gchhäftc, wie wir sie uns nach gewissen rhetorisch aufgeputzten Idealbildern<lb/>
Ma vorstellen, sondern ganz andre Menschen, Menschen, die der altrömischen<lb/>
Grandezza eines M. Porcius Cato und eiues Q. Fabricius viel weniger ent¬<lb/>
sprechen, als modernen Italienern. Die zwei Jahrtausende, die dazwischen liegen,<lb/>
thun hier wenig zur Sache; unzweifelhaft stehn die heutigen Italiener den</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0411] Die Satiren des Horaz im Lichte des modernen italienischen Lebens in der Volksart zunächst nur die von: Norden nach dem Süden zu wachsende Lebendigkeit ans. In Mailand und Florenz sieht der Droschkenkutscher den ihm sofort erkennbaren torestisrö, der an seinem Stande vorübergeht, nur er¬ wartungsvoll an; in Rom streckt er ihm die rechte Hand mit aufgerichtetem Zeigefinger entgegen nud ruft ihm zu: Vuols? In Neapel schreit er ihn an, zappelt am ganzen Leibe und führt ihm nach. In der That sind die land¬ schaftlichen und dialektischen Unterschiede in Italien außerordentlich groß; das Piemontesische und Sizilianische ist auch für den, der das Italienische leidlich beherrscht, sogar wenn er es gedruckt vor sich sieht, ganz unverständlich, und der Lombarde kann sich mit dem Neapolitaner in seiner Mundart gerade so wenig verständigen wie der Ostpreuße mit dem Schwaben. Aber diese tief¬ gehenden Verschiedenheiten in Volksart und Sprache beruhen nicht ans jenen mittelalterlichen Zuwandrungen, sondern der Hauptsache nach auf der sehr bunten Volks Mischung des Altertums. Waren schon die Latiner von den ihnen doch nahe verwandten umbrisch- sabellischen Stämmen sehr verschieden, so standen ihnen Kelten, Ligurer, Veneder und Griechen, obwohl Arier wie sie, noch viel ferner, und die Etrusker wie die Punier auf Sizilien gehörten ganz andern Rassen an. Nur langsam hat die sprachliche Latinisiernng die Halbinsel überwältigt, Sizilien überhaupt nicht, der ethnologische Untergrund selbst ist niemals zerstört, sondern nur mit ladi- nischen Elementen durchsetzt worden. Indem nun allmählich — sicher erst seit der letzte» Zeit der Republik — die von Rom politisch mühsam geeinten Stämme Italiens zu einer Kultur- und Spracheinheit und erst dadurch zu eiuer Nation verschmolzen, die sich mit Stolz als Weltbeherrscherin fühlte, drangen auch in die römische Litteratur stammfremde, unlatinischc Elemente ein und bestimmten ganz wesentlich ihren Charakter. Eine ganze Reihe ihrer bedeutendsten Vertreter waren weder Latiner noch vollends Römer. Livius Andronicus war ein Grieche, Ennius wenigstens ein Halbgrieche, Terenz sogar ein Afrikaner, Plnutus stammte aus Umbricn, wie später Properz, M. Cicero aus dem Volskcrlcmde, Virgil war unzweifelhaft keltischer Abkunft wie der feine Lyriker Catull und der Historiker Livius, und Horaz war ein Apulier von der lntanischen Grenze. So sehr sie sich alle politisch als Römer fühlten, und obwohl sie alle lateinisch schrieben, ihrer eingebornen Bolksart entäußerten sie sich deshalb doch nicht und konnten es auch gar nicht. Deshalb wurde denn much die Litteratur und vor allem die Dichtung nichts spezifisch Römisches oder auch nur Latinisches, sondern sie wurde italisch schlechtweg, und die Menschen, die sie vorführt, sind keineswegs immer Römer, Männer von gemessener Würde und ruhigem Selbstbewußtsein, die an nichts andres denken als an Staats- gchhäftc, wie wir sie uns nach gewissen rhetorisch aufgeputzten Idealbildern Ma vorstellen, sondern ganz andre Menschen, Menschen, die der altrömischen Grandezza eines M. Porcius Cato und eiues Q. Fabricius viel weniger ent¬ sprechen, als modernen Italienern. Die zwei Jahrtausende, die dazwischen liegen, thun hier wenig zur Sache; unzweifelhaft stehn die heutigen Italiener den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/411
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/411>, abgerufen am 25.05.2024.