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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Die Satire" des Horaz im Lichte des modernen italienischen Lebens

Zeitgenossen des Augustus unendlich näher als wir modernen Deutschen den
Germanen Arnims; denn hier entscheidet die Kulturstufe viel mehr noch als
die Volksgenosseuschaft, die Abstammung, und die Renaissance hat hier die
zerschlissenen Fäden mit Bewußtsein wieder angeknüpft.

Diese innere Verwandtschaft tritt vielleicht nirgends so deutlich hervor,
als in der römischen Satire, dein originalsten Erzeugnis der lateinischen Poesie,
für uns also vor allem in den Satiren des Horaz, Denn unzweifelhaft kommt
die besondre Art des Dichters und des italischen Wesens in diesen zwanglosen
Plaudereien stärker und reiner zum Ausdruck, als in seinen den Griechen nach¬
gedichteten Oden und auch in den Briefen, in denen die Reflexion das Lebens¬
bild überwiegt.

Denn Lebensbilder, Bilder ans dem vollen alltäglichen Menschenleben
seiner Zeit, ganz realistische Bilder zeichnet Horaz in seinen Satiren, "die am
Boden hinschleichen" (sörmoriss rsxcmtös xsr liunrum,bald mit breitem
Pinselstrich, bald mit feiner Radiernadel, Heute würde er derartiges gar nicht
in Versen, sondern in Prosa, als geistreiche Feuilletons, schreiben, und er weiß
ja selbst auch recht gut, daß seine Satiren gnr keine Poesie sind. Diese locker
gebauten, mit zahllosen Elisionen behafteten Hexameter find ihn: ja selbst dem
Charakter nach ssrmo rnsrus, die reine Prosa, ^) und man thut thuen Unrecht,
wenn man sie in deutsche Hexameter übersetzt, die bei uns viel zu viel epische
Würde haben; dem innern Stil nach entsprechen ihnen etwa gereimte oder un¬
gereimte leichtgebaute Füuffüßlcr, wie sie C. Barde, der Direktor des Joachims-
thalschen Gymnasiums in Berlin, in seiner nachdichtenden Übersetzung (Berlin,
Weidmann, 1900, 2. Auflage) mit vielem Glück angewandt hat.

Doch sehen wir uns die Menschen des Horaz nach Charakter, Lebens¬
führung und Lebensideal etwas näher an. Horaz selbst ist ein Süditaliener
aus Vennsia, und das, was ihn zum guten Satiriker, besser zum Lebens-
schildercr macht, das ist ein echt italienischer Zug: die geistige Lebendigkeit
und Beweglichkeit. Sie zeigt sich zunächst in der außerordentlichen Schärfe
der Beobachtungsgabe, einem Erbteil des Vaters, dem er ein so liebevolles
und dankbares Andenken gewidmet hat. Wenn Vater Horatius seinen Buben
Quintus, jedenfalls einen sehr geweckten Jungen, vor Fehltritten bewahren
wollte, so hielt er ihm keine trockne Moralpredigt, sondern zeigte ihm an
praktischen Beispielen, die er in seiner Umgebung beobachtet hatte, wozu Ver¬
schwendung und Leichtsinn führen. ") Auch Lucilius, Horazens ebenso eifrig
nachgeahmter wie getadelter Vorgänger, hatte es ähnlich gemacht und die Er¬
fahrungen seines ganzen Lebens in seinen Satiren ausgebreitet, sodaß dieses
vor den Nachkommen lag wie ein aufgeschlagnes Buch, oder nach Horaz "wie
eine Votivtafel,"^) Und so machte er es denn auch selbst. Das Forum mit
seinen Säulenhallen, die Via sacra, das Marsfeld, die öffentlichen Bäder, die
Landstraße, das waren sein Arbeitszimmer: "Hab ich dann Zeit, dann werf



*) Die Belegstellen sind um Schluß dieses Heftes nbgedrnckt.
Die Satire» des Horaz im Lichte des modernen italienischen Lebens

Zeitgenossen des Augustus unendlich näher als wir modernen Deutschen den
Germanen Arnims; denn hier entscheidet die Kulturstufe viel mehr noch als
die Volksgenosseuschaft, die Abstammung, und die Renaissance hat hier die
zerschlissenen Fäden mit Bewußtsein wieder angeknüpft.

Diese innere Verwandtschaft tritt vielleicht nirgends so deutlich hervor,
als in der römischen Satire, dein originalsten Erzeugnis der lateinischen Poesie,
für uns also vor allem in den Satiren des Horaz, Denn unzweifelhaft kommt
die besondre Art des Dichters und des italischen Wesens in diesen zwanglosen
Plaudereien stärker und reiner zum Ausdruck, als in seinen den Griechen nach¬
gedichteten Oden und auch in den Briefen, in denen die Reflexion das Lebens¬
bild überwiegt.

Denn Lebensbilder, Bilder ans dem vollen alltäglichen Menschenleben
seiner Zeit, ganz realistische Bilder zeichnet Horaz in seinen Satiren, „die am
Boden hinschleichen" (sörmoriss rsxcmtös xsr liunrum,bald mit breitem
Pinselstrich, bald mit feiner Radiernadel, Heute würde er derartiges gar nicht
in Versen, sondern in Prosa, als geistreiche Feuilletons, schreiben, und er weiß
ja selbst auch recht gut, daß seine Satiren gnr keine Poesie sind. Diese locker
gebauten, mit zahllosen Elisionen behafteten Hexameter find ihn: ja selbst dem
Charakter nach ssrmo rnsrus, die reine Prosa, ^) und man thut thuen Unrecht,
wenn man sie in deutsche Hexameter übersetzt, die bei uns viel zu viel epische
Würde haben; dem innern Stil nach entsprechen ihnen etwa gereimte oder un¬
gereimte leichtgebaute Füuffüßlcr, wie sie C. Barde, der Direktor des Joachims-
thalschen Gymnasiums in Berlin, in seiner nachdichtenden Übersetzung (Berlin,
Weidmann, 1900, 2. Auflage) mit vielem Glück angewandt hat.

Doch sehen wir uns die Menschen des Horaz nach Charakter, Lebens¬
führung und Lebensideal etwas näher an. Horaz selbst ist ein Süditaliener
aus Vennsia, und das, was ihn zum guten Satiriker, besser zum Lebens-
schildercr macht, das ist ein echt italienischer Zug: die geistige Lebendigkeit
und Beweglichkeit. Sie zeigt sich zunächst in der außerordentlichen Schärfe
der Beobachtungsgabe, einem Erbteil des Vaters, dem er ein so liebevolles
und dankbares Andenken gewidmet hat. Wenn Vater Horatius seinen Buben
Quintus, jedenfalls einen sehr geweckten Jungen, vor Fehltritten bewahren
wollte, so hielt er ihm keine trockne Moralpredigt, sondern zeigte ihm an
praktischen Beispielen, die er in seiner Umgebung beobachtet hatte, wozu Ver¬
schwendung und Leichtsinn führen. ") Auch Lucilius, Horazens ebenso eifrig
nachgeahmter wie getadelter Vorgänger, hatte es ähnlich gemacht und die Er¬
fahrungen seines ganzen Lebens in seinen Satiren ausgebreitet, sodaß dieses
vor den Nachkommen lag wie ein aufgeschlagnes Buch, oder nach Horaz „wie
eine Votivtafel,"^) Und so machte er es denn auch selbst. Das Forum mit
seinen Säulenhallen, die Via sacra, das Marsfeld, die öffentlichen Bäder, die
Landstraße, das waren sein Arbeitszimmer: „Hab ich dann Zeit, dann werf



*) Die Belegstellen sind um Schluß dieses Heftes nbgedrnckt.
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[0412] Die Satire» des Horaz im Lichte des modernen italienischen Lebens Zeitgenossen des Augustus unendlich näher als wir modernen Deutschen den Germanen Arnims; denn hier entscheidet die Kulturstufe viel mehr noch als die Volksgenosseuschaft, die Abstammung, und die Renaissance hat hier die zerschlissenen Fäden mit Bewußtsein wieder angeknüpft. Diese innere Verwandtschaft tritt vielleicht nirgends so deutlich hervor, als in der römischen Satire, dein originalsten Erzeugnis der lateinischen Poesie, für uns also vor allem in den Satiren des Horaz, Denn unzweifelhaft kommt die besondre Art des Dichters und des italischen Wesens in diesen zwanglosen Plaudereien stärker und reiner zum Ausdruck, als in seinen den Griechen nach¬ gedichteten Oden und auch in den Briefen, in denen die Reflexion das Lebens¬ bild überwiegt. Denn Lebensbilder, Bilder ans dem vollen alltäglichen Menschenleben seiner Zeit, ganz realistische Bilder zeichnet Horaz in seinen Satiren, „die am Boden hinschleichen" (sörmoriss rsxcmtös xsr liunrum,bald mit breitem Pinselstrich, bald mit feiner Radiernadel, Heute würde er derartiges gar nicht in Versen, sondern in Prosa, als geistreiche Feuilletons, schreiben, und er weiß ja selbst auch recht gut, daß seine Satiren gnr keine Poesie sind. Diese locker gebauten, mit zahllosen Elisionen behafteten Hexameter find ihn: ja selbst dem Charakter nach ssrmo rnsrus, die reine Prosa, ^) und man thut thuen Unrecht, wenn man sie in deutsche Hexameter übersetzt, die bei uns viel zu viel epische Würde haben; dem innern Stil nach entsprechen ihnen etwa gereimte oder un¬ gereimte leichtgebaute Füuffüßlcr, wie sie C. Barde, der Direktor des Joachims- thalschen Gymnasiums in Berlin, in seiner nachdichtenden Übersetzung (Berlin, Weidmann, 1900, 2. Auflage) mit vielem Glück angewandt hat. Doch sehen wir uns die Menschen des Horaz nach Charakter, Lebens¬ führung und Lebensideal etwas näher an. Horaz selbst ist ein Süditaliener aus Vennsia, und das, was ihn zum guten Satiriker, besser zum Lebens- schildercr macht, das ist ein echt italienischer Zug: die geistige Lebendigkeit und Beweglichkeit. Sie zeigt sich zunächst in der außerordentlichen Schärfe der Beobachtungsgabe, einem Erbteil des Vaters, dem er ein so liebevolles und dankbares Andenken gewidmet hat. Wenn Vater Horatius seinen Buben Quintus, jedenfalls einen sehr geweckten Jungen, vor Fehltritten bewahren wollte, so hielt er ihm keine trockne Moralpredigt, sondern zeigte ihm an praktischen Beispielen, die er in seiner Umgebung beobachtet hatte, wozu Ver¬ schwendung und Leichtsinn führen. ") Auch Lucilius, Horazens ebenso eifrig nachgeahmter wie getadelter Vorgänger, hatte es ähnlich gemacht und die Er¬ fahrungen seines ganzen Lebens in seinen Satiren ausgebreitet, sodaß dieses vor den Nachkommen lag wie ein aufgeschlagnes Buch, oder nach Horaz „wie eine Votivtafel,"^) Und so machte er es denn auch selbst. Das Forum mit seinen Säulenhallen, die Via sacra, das Marsfeld, die öffentlichen Bäder, die Landstraße, das waren sein Arbeitszimmer: „Hab ich dann Zeit, dann werf *) Die Belegstellen sind um Schluß dieses Heftes nbgedrnckt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/412>, abgerufen am 17.06.2024.