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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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zu der Erklärung beauftragt war, die Förderung des in Frankfurt gemachte,?
Versuchs liege nach der Überzeugung des Finnuzmiuisters im dringendsten
Interesse der Bewohner der kleinen Städte und des platten Landes.

Das dritte der oben genannten Hauptprobleme berührte die Stellung
des Griechischen im Lehrplan des Gymnasiums. Diese "griechische Frage" angeregt
und in Fluß gebracht zu haben, war das Werk des Professors von Wilamowitz-
Möllendorff. Die Grundzüge seines aufsehenerregenden geistvollen Neformvor-
schlags sind früher in diesen Heften dargelegt worden. Er kommt bekanntlich
zu dem Schluß, daß der griechische Unterricht bei Anwendung eines andern
Verfahrens, das den Betrieb der Grammatik wesentlich vereinfache und eine
bessere Auswahl der Lektüre treffe, in den vier Klassen vou Untersekunda auf¬
wärts mehr leisten werde als gegenwärtig, wo ihm sechs Jahre zur Verfügung
stünden. Bei dem überragenden Ansehen, das der Urheber dieses Gedankens
in der philologischen Welt genießt, konnte die Vermutung aufkommen, daß die
Unterrichtsverwaltung nicht abgeneigt sein werde, eiuer Hinaufschiebung des
Griechischen ans die Untersekunda beizustimmen; die oben erwähnte Braun¬
schweiger Versammlung stand jedenfalls noch am Vorabend der Berliner Konferenz
unter dem Druck der Sorge, daß das Griechische ernstlich bedroht sei. Aber
diese Befürchtung erwies sich als hinfällig, als bei der entscheidenden Frage,
ob der Anfangsunterricht anf eine höhere .Klasse verlegt werden solle, Wilamowitz
erklärte, er unterwerfe sich dein übereinstimmenden Urteile der preußischen Prv-
vinzialschnlkollegien und des Gymnasialvereins, die sich für die Beibehaltung
der bisherigen Einrichtung, also für den Anfang des griechischen Unterrichts in
Untertertia ausgesprochen hätten. Das große Verdienst, das er dadurch der
Sache der humanistischen Bildung erwies, krönte er durch eine begeisternde
Darlegung, wie der griechische Unterricht zu beleben sei, wenn er in uusern
Schulen seine durch nichts ersetzbare ewig junge Kraft bewähren solle. Un¬
verkennbar nnter dem Eindruck seiner Worte beschloß die Konferenz einstimmig,
die Hinanfschiebung des Griechischen auf eine höhere Klasse nicht gut zu heißen;
auch erklärte sie mit allen Stimmen gegen eine ein wahlfreies Englisch anstatt
des Griechischen für unzulässig, weil dadurch das Gymnasium zerstört würde.

Mit diesen Beschlüssen, die um so wirksamer waren, weil sie alle mit einer
an Einstimmigkeit grenzenden Mehrheit zustande kamen, hatte die Konferenz
ihre Hauptarbeit gethan, die Richtlinien der Reform waren abgesteckt. Ihre
weitern Verhandlungen richteten sich zum Teil auf die Frage, was in den ver-
schiednen Fächern abgesehen von der Stundenzahl zur Hebung des Unterrichts
geschehe" könne. Darauf einzugehn entspräche nicht dem Charakter dieser
Blätter; statt dessen seien noch einige andre Punkte von allgemeiner Bedeutung
erwähnt. Die Abschlußprüfung, das Schmerzenskind der Reform von 1892,
wurde, wie vorauszusehen war, einstimmig zum Tode verurteilt. Daß die Aus¬
führung dieses Beschlusses eine Revision der sonstigen Prüfungsordnungen er¬
wünscht machen werde, erkannte mau an, ohne jedoch auf diese Seite der Frage
näher einzugehn. Welche Wege aber die angedeutete Revision voraussichtlich


Grenzbote" II 1S01 77

zu der Erklärung beauftragt war, die Förderung des in Frankfurt gemachte,?
Versuchs liege nach der Überzeugung des Finnuzmiuisters im dringendsten
Interesse der Bewohner der kleinen Städte und des platten Landes.

Das dritte der oben genannten Hauptprobleme berührte die Stellung
des Griechischen im Lehrplan des Gymnasiums. Diese „griechische Frage" angeregt
und in Fluß gebracht zu haben, war das Werk des Professors von Wilamowitz-
Möllendorff. Die Grundzüge seines aufsehenerregenden geistvollen Neformvor-
schlags sind früher in diesen Heften dargelegt worden. Er kommt bekanntlich
zu dem Schluß, daß der griechische Unterricht bei Anwendung eines andern
Verfahrens, das den Betrieb der Grammatik wesentlich vereinfache und eine
bessere Auswahl der Lektüre treffe, in den vier Klassen vou Untersekunda auf¬
wärts mehr leisten werde als gegenwärtig, wo ihm sechs Jahre zur Verfügung
stünden. Bei dem überragenden Ansehen, das der Urheber dieses Gedankens
in der philologischen Welt genießt, konnte die Vermutung aufkommen, daß die
Unterrichtsverwaltung nicht abgeneigt sein werde, eiuer Hinaufschiebung des
Griechischen ans die Untersekunda beizustimmen; die oben erwähnte Braun¬
schweiger Versammlung stand jedenfalls noch am Vorabend der Berliner Konferenz
unter dem Druck der Sorge, daß das Griechische ernstlich bedroht sei. Aber
diese Befürchtung erwies sich als hinfällig, als bei der entscheidenden Frage,
ob der Anfangsunterricht anf eine höhere .Klasse verlegt werden solle, Wilamowitz
erklärte, er unterwerfe sich dein übereinstimmenden Urteile der preußischen Prv-
vinzialschnlkollegien und des Gymnasialvereins, die sich für die Beibehaltung
der bisherigen Einrichtung, also für den Anfang des griechischen Unterrichts in
Untertertia ausgesprochen hätten. Das große Verdienst, das er dadurch der
Sache der humanistischen Bildung erwies, krönte er durch eine begeisternde
Darlegung, wie der griechische Unterricht zu beleben sei, wenn er in uusern
Schulen seine durch nichts ersetzbare ewig junge Kraft bewähren solle. Un¬
verkennbar nnter dem Eindruck seiner Worte beschloß die Konferenz einstimmig,
die Hinanfschiebung des Griechischen auf eine höhere Klasse nicht gut zu heißen;
auch erklärte sie mit allen Stimmen gegen eine ein wahlfreies Englisch anstatt
des Griechischen für unzulässig, weil dadurch das Gymnasium zerstört würde.

Mit diesen Beschlüssen, die um so wirksamer waren, weil sie alle mit einer
an Einstimmigkeit grenzenden Mehrheit zustande kamen, hatte die Konferenz
ihre Hauptarbeit gethan, die Richtlinien der Reform waren abgesteckt. Ihre
weitern Verhandlungen richteten sich zum Teil auf die Frage, was in den ver-
schiednen Fächern abgesehen von der Stundenzahl zur Hebung des Unterrichts
geschehe» könne. Darauf einzugehn entspräche nicht dem Charakter dieser
Blätter; statt dessen seien noch einige andre Punkte von allgemeiner Bedeutung
erwähnt. Die Abschlußprüfung, das Schmerzenskind der Reform von 1892,
wurde, wie vorauszusehen war, einstimmig zum Tode verurteilt. Daß die Aus¬
führung dieses Beschlusses eine Revision der sonstigen Prüfungsordnungen er¬
wünscht machen werde, erkannte mau an, ohne jedoch auf diese Seite der Frage
näher einzugehn. Welche Wege aber die angedeutete Revision voraussichtlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/617>, abgerufen am 17.06.2024.