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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Die Neukolonisation Südamerikas

Von den 635740 Italienern, die 1871/94 in Brasilien einwanderten, kamen
volle 560 740 in den vierzehn Jahren 1881/94 dorthin, von 116922 Spaniern
108922, von 49552 Russen und Polen 39552, von 23663 Österreichern
14632 und von den 98187 sonstiger Nationalität 26713, Dabei kommt aller¬
dings dein germanischen Element sein großer Gelmrtenreichtum und bei dem
größern Rasseabstand gegeniiber den romanischen Einwandrern seine geringere
Aufsaugung durch die lusobrasilische Bevölkerung zu statten. Auch können
große Massen der romanischen Einwandrer nur als Arbeitskräfte (brayos ^
Arme), als bessere Kukis für Kaffeefazenden und dergl, gelten.

Eine eigentliche Masseneinwandrung gleich der nordamerikanischen hat
übrigens Brasilien nie gehabt, und bei der gegenwärtigen Übeln wirtschaft¬
lichen Lage kann davon vollends nicht die Rede sein. Bedenkt man die Größe
dieses Reichs -- Brasilien ist bekanntlich nicht viel kleiner als Europa --,
so will die gegenwärtige Bevölkerungszahl von rund 16 Millionen Seelen
gegenüber der bei gesunden politischen Verhältnissen möglichen Bevölkerungs-
zahl blutwenig bedeuten. All der Spitze der Fremden marschieren der Kopf¬
zahl nach auch hier die Italiener, die sich vor allen in den Kaffeestaateu und
im ackerbautreibenden Süden angesiedelt habe". Für den Staat S. Paulo
werden allem etwa 400 000 Italiener berechnet, von denen 140000 auf die
Städte und 260000 auf die Kaffecfnzendeu kommen. Dabei wanderten nach
den offiziellen Berichten vom Jahre 1827 bis 1896 zusammen 675174 Seelen
in diesen Staat ein. Im Staat Rio Grande do Sui schätzt man die Italiener
auf mehr als 100000 Seelen bei einer Gesnmtbevölkernng von 900000 (nach
dem voni englischen I'oreiZn ot'livo im Februar 1899 herausgegebnen Konsular-
bericht) oder nach andern 1200000 Seelen. Aber auch das Deutschtum ist
stattlich vertrete". Die Gesamtzahl für Brasilien beträgt über 400000, von
denen die angeführte amtliche Aufstellung für Südbrasilien allein 347000
Seelen angiebt (Parnuä: 280000 Einwohner, darunter 47000 Deutsche,
S. Catharina: 300000 Einwohner, darunter 100000 Deutsche, Rio Grande
do Sui: 200000 Deutsche). Diese Zahle" dürfte" freilich, soweit sie sich auf
das Deutschtum beziehn, sämtlich, vielleicht in tendenziöser Weise, zu hoch ge¬
griffen sein. Außerdem lebe" in S. Paulo ungefähr 25000 bis 30000 Deutsche,
die Kaffeebcilier" deutschen Ursprungs in Espirito Santo schätzt man ans 15000
bis 20000. Dazu komme" die deutsche" Kolonisten an ander" Plätzen, so
besonders am Mnenrp, ferner die Kaufleute und Handwerker in den große"
Städte".

Wem, nun auch 400000 oder selbst 450000 Deutsche bei eiuer Bevölke¬
rung von rund 16 Millionen in ihrer Zahl nicht allzuviel besagen wollen, so ist
diese Bevölkerungsgruppc dagegen von großer Wichtigkeit für die Kolonisation
des Landes durch ihre Arbeit als Ackerbauer und Handwerker, ihre ziemlich
geschlossene Siedlung in fruchtbaren, klimatisch hvchbegünstigten Gebieten und
ihre wirtschaftliche Stärke. Es ist keine Frage, daß die tüchtige deutsche Kolo-
uistenbevölkermig der drei Südstaaten einen gediegnen Grundstock für eine auf


Die Neukolonisation Südamerikas

Von den 635740 Italienern, die 1871/94 in Brasilien einwanderten, kamen
volle 560 740 in den vierzehn Jahren 1881/94 dorthin, von 116922 Spaniern
108922, von 49552 Russen und Polen 39552, von 23663 Österreichern
14632 und von den 98187 sonstiger Nationalität 26713, Dabei kommt aller¬
dings dein germanischen Element sein großer Gelmrtenreichtum und bei dem
größern Rasseabstand gegeniiber den romanischen Einwandrern seine geringere
Aufsaugung durch die lusobrasilische Bevölkerung zu statten. Auch können
große Massen der romanischen Einwandrer nur als Arbeitskräfte (brayos ^
Arme), als bessere Kukis für Kaffeefazenden und dergl, gelten.

Eine eigentliche Masseneinwandrung gleich der nordamerikanischen hat
übrigens Brasilien nie gehabt, und bei der gegenwärtigen Übeln wirtschaft¬
lichen Lage kann davon vollends nicht die Rede sein. Bedenkt man die Größe
dieses Reichs — Brasilien ist bekanntlich nicht viel kleiner als Europa —,
so will die gegenwärtige Bevölkerungszahl von rund 16 Millionen Seelen
gegenüber der bei gesunden politischen Verhältnissen möglichen Bevölkerungs-
zahl blutwenig bedeuten. All der Spitze der Fremden marschieren der Kopf¬
zahl nach auch hier die Italiener, die sich vor allen in den Kaffeestaateu und
im ackerbautreibenden Süden angesiedelt habe». Für den Staat S. Paulo
werden allem etwa 400 000 Italiener berechnet, von denen 140000 auf die
Städte und 260000 auf die Kaffecfnzendeu kommen. Dabei wanderten nach
den offiziellen Berichten vom Jahre 1827 bis 1896 zusammen 675174 Seelen
in diesen Staat ein. Im Staat Rio Grande do Sui schätzt man die Italiener
auf mehr als 100000 Seelen bei einer Gesnmtbevölkernng von 900000 (nach
dem voni englischen I'oreiZn ot'livo im Februar 1899 herausgegebnen Konsular-
bericht) oder nach andern 1200000 Seelen. Aber auch das Deutschtum ist
stattlich vertrete». Die Gesamtzahl für Brasilien beträgt über 400000, von
denen die angeführte amtliche Aufstellung für Südbrasilien allein 347000
Seelen angiebt (Parnuä: 280000 Einwohner, darunter 47000 Deutsche,
S. Catharina: 300000 Einwohner, darunter 100000 Deutsche, Rio Grande
do Sui: 200000 Deutsche). Diese Zahle» dürfte» freilich, soweit sie sich auf
das Deutschtum beziehn, sämtlich, vielleicht in tendenziöser Weise, zu hoch ge¬
griffen sein. Außerdem lebe» in S. Paulo ungefähr 25000 bis 30000 Deutsche,
die Kaffeebcilier» deutschen Ursprungs in Espirito Santo schätzt man ans 15000
bis 20000. Dazu komme» die deutsche» Kolonisten an ander» Plätzen, so
besonders am Mnenrp, ferner die Kaufleute und Handwerker in den große»
Städte».

Wem, nun auch 400000 oder selbst 450000 Deutsche bei eiuer Bevölke¬
rung von rund 16 Millionen in ihrer Zahl nicht allzuviel besagen wollen, so ist
diese Bevölkerungsgruppc dagegen von großer Wichtigkeit für die Kolonisation
des Landes durch ihre Arbeit als Ackerbauer und Handwerker, ihre ziemlich
geschlossene Siedlung in fruchtbaren, klimatisch hvchbegünstigten Gebieten und
ihre wirtschaftliche Stärke. Es ist keine Frage, daß die tüchtige deutsche Kolo-
uistenbevölkermig der drei Südstaaten einen gediegnen Grundstock für eine auf


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[0111] Die Neukolonisation Südamerikas Von den 635740 Italienern, die 1871/94 in Brasilien einwanderten, kamen volle 560 740 in den vierzehn Jahren 1881/94 dorthin, von 116922 Spaniern 108922, von 49552 Russen und Polen 39552, von 23663 Österreichern 14632 und von den 98187 sonstiger Nationalität 26713, Dabei kommt aller¬ dings dein germanischen Element sein großer Gelmrtenreichtum und bei dem größern Rasseabstand gegeniiber den romanischen Einwandrern seine geringere Aufsaugung durch die lusobrasilische Bevölkerung zu statten. Auch können große Massen der romanischen Einwandrer nur als Arbeitskräfte (brayos ^ Arme), als bessere Kukis für Kaffeefazenden und dergl, gelten. Eine eigentliche Masseneinwandrung gleich der nordamerikanischen hat übrigens Brasilien nie gehabt, und bei der gegenwärtigen Übeln wirtschaft¬ lichen Lage kann davon vollends nicht die Rede sein. Bedenkt man die Größe dieses Reichs — Brasilien ist bekanntlich nicht viel kleiner als Europa —, so will die gegenwärtige Bevölkerungszahl von rund 16 Millionen Seelen gegenüber der bei gesunden politischen Verhältnissen möglichen Bevölkerungs- zahl blutwenig bedeuten. All der Spitze der Fremden marschieren der Kopf¬ zahl nach auch hier die Italiener, die sich vor allen in den Kaffeestaateu und im ackerbautreibenden Süden angesiedelt habe». Für den Staat S. Paulo werden allem etwa 400 000 Italiener berechnet, von denen 140000 auf die Städte und 260000 auf die Kaffecfnzendeu kommen. Dabei wanderten nach den offiziellen Berichten vom Jahre 1827 bis 1896 zusammen 675174 Seelen in diesen Staat ein. Im Staat Rio Grande do Sui schätzt man die Italiener auf mehr als 100000 Seelen bei einer Gesnmtbevölkernng von 900000 (nach dem voni englischen I'oreiZn ot'livo im Februar 1899 herausgegebnen Konsular- bericht) oder nach andern 1200000 Seelen. Aber auch das Deutschtum ist stattlich vertrete». Die Gesamtzahl für Brasilien beträgt über 400000, von denen die angeführte amtliche Aufstellung für Südbrasilien allein 347000 Seelen angiebt (Parnuä: 280000 Einwohner, darunter 47000 Deutsche, S. Catharina: 300000 Einwohner, darunter 100000 Deutsche, Rio Grande do Sui: 200000 Deutsche). Diese Zahle» dürfte» freilich, soweit sie sich auf das Deutschtum beziehn, sämtlich, vielleicht in tendenziöser Weise, zu hoch ge¬ griffen sein. Außerdem lebe» in S. Paulo ungefähr 25000 bis 30000 Deutsche, die Kaffeebcilier» deutschen Ursprungs in Espirito Santo schätzt man ans 15000 bis 20000. Dazu komme» die deutsche» Kolonisten an ander» Plätzen, so besonders am Mnenrp, ferner die Kaufleute und Handwerker in den große» Städte». Wem, nun auch 400000 oder selbst 450000 Deutsche bei eiuer Bevölke¬ rung von rund 16 Millionen in ihrer Zahl nicht allzuviel besagen wollen, so ist diese Bevölkerungsgruppc dagegen von großer Wichtigkeit für die Kolonisation des Landes durch ihre Arbeit als Ackerbauer und Handwerker, ihre ziemlich geschlossene Siedlung in fruchtbaren, klimatisch hvchbegünstigten Gebieten und ihre wirtschaftliche Stärke. Es ist keine Frage, daß die tüchtige deutsche Kolo- uistenbevölkermig der drei Südstaaten einen gediegnen Grundstock für eine auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/111>, abgerufen am 13.05.2024.