Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Nenkolcmisati?" Südamerikas

hin darf man den Wert der Italiener für eine bodenständige Kolonisation nicht
allzu hoch einschätzen. Mögen anch 90 Prozent der Sohne Italiens, die sich
dort niederlassen, fleißige Leute sein, die sich ihre Groschen in harter Arbeit
znsammensparen, so spricht doch bis jetzt nicht viel dafür, daß sie zur Be¬
gründung wahrhaft moderner politischer Gebilde -- und diese müssen das End¬
ziel jeder wahren Kolonisation sein -- die Befähigung oder überhaupt die Lust
haben. Auch hat mau im letzten Jahrzehnt die Beobachtung gemacht, daß sich
wie von den Angehörigen andrer Völker so von den Italienern nur ganz
wenig Auswandrer zu dauernder Ansiedlung im Lande ankaufen, wogegen sich
immer mehr eine Sachsengängerei im großen Stil von den Mittelmeerländern,
vor allem Italien, nach drüben entwickelt hat. Auf dem Papier hat schon
mancher italienische Principe die Laplataländer mit den genialsten Kolonisatious-
Plänen beglückt, aber zum Kolonisieren im großen Maßstab gehören Geld und
noch mehr zähe Arbeitskraft sowie eine gewisse Jugendfrische der kolonisierenden
Rasse, durch die sie sich zu akklimatisieren und auch bald im fremden Boden
wieder anzuwurzeln vermag. Wir möchten diese für alles Kolonisieren wichtige
Eigenschaft Wurzclfühigkeit nennen. Vielleicht am meisten findet man sie zur Zeit
bei den Deutschen, die Proben von dieser Fähigkeit in beiden Amerika, Australien,
Südafrika und andern Ländern genugsam abgelegt haben. Im allgemeinen
wird man sagen können, die Romanisierung Argentiniens schreitet immer mehr
in der Weise fort, daß die eigentlichen Kreolen gegenüber den eingewanderten
romanischen Elementen, besonders den Italienern, zurücktreten, sowohl infolge
des europäischen Einwandrernachschubs als des größern Geburteureichtums der
neuen Ankömmlinge. Ans eine wesentliche Besserung der politischen Verhältnisse,
Hebung der Rechtspflege und der Redlichkeit in Handel und Wandel wird man
aber auch bei einer Verschiebung der Machtverhältnisse zu Gunsten des ein¬
gewanderten italienischen Bevölkeruugszulvachses nicht hoffen können.

Widerstandsfähiger zeigt sich im allgemeinen in Brasilien das Kreolentum,
das freilich noch weniger als in den ehemaligen spanischen Kolonialländern hier
auf Reinheit der Rasse Anspruch erheben darf. Der Grund ist einmal darin
zu suchen, daß die Bundeshauptstadt Rio Janeiro im Handel und Verkehr nicht
mit dem kosmopolitischen Nationalitätcnbabel am Laplata rivalisieren kann,
da sich in Brasilien der Handel auf eine Reihe wichtiger Küstenplätze verteilt.
Darum verteilte sich auch der Einwandrerstrom auf ein größeres Gebiet und
vermochte auf den Grundstock der aus portugiesischen und spanischen Kreolen,
Negern, Indianern gemischten ältern Bevölkerung vielfach weniger abzufärben,
der zur Zeit, als die Einwandrung lebhafter einsetzte, schon stärker als in der
Nachbnrrepnblik Argentinien war. Immerhin haben in einzelnen Staaten be¬
sonders Italiener und Deutsche numerisch und wirtschaftlich eine große Be¬
deutung erlangt und geschlossene Siedlnngsgebiete in Besitz genommen. Auch
hier ist die Zunahme der romanischen Einwandrung im Verhältnis zur ger¬
manischen unverkennbar. I" den Jahren 1818/94 sind in Brasilien ein¬
gewandert 87814 Deutsche. Auf den Zeitraum von 1881/94 entfalte" 28488.


Die Nenkolcmisati?» Südamerikas

hin darf man den Wert der Italiener für eine bodenständige Kolonisation nicht
allzu hoch einschätzen. Mögen anch 90 Prozent der Sohne Italiens, die sich
dort niederlassen, fleißige Leute sein, die sich ihre Groschen in harter Arbeit
znsammensparen, so spricht doch bis jetzt nicht viel dafür, daß sie zur Be¬
gründung wahrhaft moderner politischer Gebilde — und diese müssen das End¬
ziel jeder wahren Kolonisation sein — die Befähigung oder überhaupt die Lust
haben. Auch hat mau im letzten Jahrzehnt die Beobachtung gemacht, daß sich
wie von den Angehörigen andrer Völker so von den Italienern nur ganz
wenig Auswandrer zu dauernder Ansiedlung im Lande ankaufen, wogegen sich
immer mehr eine Sachsengängerei im großen Stil von den Mittelmeerländern,
vor allem Italien, nach drüben entwickelt hat. Auf dem Papier hat schon
mancher italienische Principe die Laplataländer mit den genialsten Kolonisatious-
Plänen beglückt, aber zum Kolonisieren im großen Maßstab gehören Geld und
noch mehr zähe Arbeitskraft sowie eine gewisse Jugendfrische der kolonisierenden
Rasse, durch die sie sich zu akklimatisieren und auch bald im fremden Boden
wieder anzuwurzeln vermag. Wir möchten diese für alles Kolonisieren wichtige
Eigenschaft Wurzclfühigkeit nennen. Vielleicht am meisten findet man sie zur Zeit
bei den Deutschen, die Proben von dieser Fähigkeit in beiden Amerika, Australien,
Südafrika und andern Ländern genugsam abgelegt haben. Im allgemeinen
wird man sagen können, die Romanisierung Argentiniens schreitet immer mehr
in der Weise fort, daß die eigentlichen Kreolen gegenüber den eingewanderten
romanischen Elementen, besonders den Italienern, zurücktreten, sowohl infolge
des europäischen Einwandrernachschubs als des größern Geburteureichtums der
neuen Ankömmlinge. Ans eine wesentliche Besserung der politischen Verhältnisse,
Hebung der Rechtspflege und der Redlichkeit in Handel und Wandel wird man
aber auch bei einer Verschiebung der Machtverhältnisse zu Gunsten des ein¬
gewanderten italienischen Bevölkeruugszulvachses nicht hoffen können.

Widerstandsfähiger zeigt sich im allgemeinen in Brasilien das Kreolentum,
das freilich noch weniger als in den ehemaligen spanischen Kolonialländern hier
auf Reinheit der Rasse Anspruch erheben darf. Der Grund ist einmal darin
zu suchen, daß die Bundeshauptstadt Rio Janeiro im Handel und Verkehr nicht
mit dem kosmopolitischen Nationalitätcnbabel am Laplata rivalisieren kann,
da sich in Brasilien der Handel auf eine Reihe wichtiger Küstenplätze verteilt.
Darum verteilte sich auch der Einwandrerstrom auf ein größeres Gebiet und
vermochte auf den Grundstock der aus portugiesischen und spanischen Kreolen,
Negern, Indianern gemischten ältern Bevölkerung vielfach weniger abzufärben,
der zur Zeit, als die Einwandrung lebhafter einsetzte, schon stärker als in der
Nachbnrrepnblik Argentinien war. Immerhin haben in einzelnen Staaten be¬
sonders Italiener und Deutsche numerisch und wirtschaftlich eine große Be¬
deutung erlangt und geschlossene Siedlnngsgebiete in Besitz genommen. Auch
hier ist die Zunahme der romanischen Einwandrung im Verhältnis zur ger¬
manischen unverkennbar. I» den Jahren 1818/94 sind in Brasilien ein¬
gewandert 87814 Deutsche. Auf den Zeitraum von 1881/94 entfalte» 28488.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0110" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/235282"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Nenkolcmisati?» Südamerikas</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_473" prev="#ID_472"> hin darf man den Wert der Italiener für eine bodenständige Kolonisation nicht<lb/>
allzu hoch einschätzen. Mögen anch 90 Prozent der Sohne Italiens, die sich<lb/>
dort niederlassen, fleißige Leute sein, die sich ihre Groschen in harter Arbeit<lb/>
znsammensparen, so spricht doch bis jetzt nicht viel dafür, daß sie zur Be¬<lb/>
gründung wahrhaft moderner politischer Gebilde &#x2014; und diese müssen das End¬<lb/>
ziel jeder wahren Kolonisation sein &#x2014; die Befähigung oder überhaupt die Lust<lb/>
haben. Auch hat mau im letzten Jahrzehnt die Beobachtung gemacht, daß sich<lb/>
wie von den Angehörigen andrer Völker so von den Italienern nur ganz<lb/>
wenig Auswandrer zu dauernder Ansiedlung im Lande ankaufen, wogegen sich<lb/>
immer mehr eine Sachsengängerei im großen Stil von den Mittelmeerländern,<lb/>
vor allem Italien, nach drüben entwickelt hat. Auf dem Papier hat schon<lb/>
mancher italienische Principe die Laplataländer mit den genialsten Kolonisatious-<lb/>
Plänen beglückt, aber zum Kolonisieren im großen Maßstab gehören Geld und<lb/>
noch mehr zähe Arbeitskraft sowie eine gewisse Jugendfrische der kolonisierenden<lb/>
Rasse, durch die sie sich zu akklimatisieren und auch bald im fremden Boden<lb/>
wieder anzuwurzeln vermag. Wir möchten diese für alles Kolonisieren wichtige<lb/>
Eigenschaft Wurzclfühigkeit nennen. Vielleicht am meisten findet man sie zur Zeit<lb/>
bei den Deutschen, die Proben von dieser Fähigkeit in beiden Amerika, Australien,<lb/>
Südafrika und andern Ländern genugsam abgelegt haben. Im allgemeinen<lb/>
wird man sagen können, die Romanisierung Argentiniens schreitet immer mehr<lb/>
in der Weise fort, daß die eigentlichen Kreolen gegenüber den eingewanderten<lb/>
romanischen Elementen, besonders den Italienern, zurücktreten, sowohl infolge<lb/>
des europäischen Einwandrernachschubs als des größern Geburteureichtums der<lb/>
neuen Ankömmlinge. Ans eine wesentliche Besserung der politischen Verhältnisse,<lb/>
Hebung der Rechtspflege und der Redlichkeit in Handel und Wandel wird man<lb/>
aber auch bei einer Verschiebung der Machtverhältnisse zu Gunsten des ein¬<lb/>
gewanderten italienischen Bevölkeruugszulvachses nicht hoffen können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_474" next="#ID_475"> Widerstandsfähiger zeigt sich im allgemeinen in Brasilien das Kreolentum,<lb/>
das freilich noch weniger als in den ehemaligen spanischen Kolonialländern hier<lb/>
auf Reinheit der Rasse Anspruch erheben darf. Der Grund ist einmal darin<lb/>
zu suchen, daß die Bundeshauptstadt Rio Janeiro im Handel und Verkehr nicht<lb/>
mit dem kosmopolitischen Nationalitätcnbabel am Laplata rivalisieren kann,<lb/>
da sich in Brasilien der Handel auf eine Reihe wichtiger Küstenplätze verteilt.<lb/>
Darum verteilte sich auch der Einwandrerstrom auf ein größeres Gebiet und<lb/>
vermochte auf den Grundstock der aus portugiesischen und spanischen Kreolen,<lb/>
Negern, Indianern gemischten ältern Bevölkerung vielfach weniger abzufärben,<lb/>
der zur Zeit, als die Einwandrung lebhafter einsetzte, schon stärker als in der<lb/>
Nachbnrrepnblik Argentinien war. Immerhin haben in einzelnen Staaten be¬<lb/>
sonders Italiener und Deutsche numerisch und wirtschaftlich eine große Be¬<lb/>
deutung erlangt und geschlossene Siedlnngsgebiete in Besitz genommen. Auch<lb/>
hier ist die Zunahme der romanischen Einwandrung im Verhältnis zur ger¬<lb/>
manischen unverkennbar. I» den Jahren 1818/94 sind in Brasilien ein¬<lb/>
gewandert 87814 Deutsche. Auf den Zeitraum von 1881/94 entfalte» 28488.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0110] Die Nenkolcmisati?» Südamerikas hin darf man den Wert der Italiener für eine bodenständige Kolonisation nicht allzu hoch einschätzen. Mögen anch 90 Prozent der Sohne Italiens, die sich dort niederlassen, fleißige Leute sein, die sich ihre Groschen in harter Arbeit znsammensparen, so spricht doch bis jetzt nicht viel dafür, daß sie zur Be¬ gründung wahrhaft moderner politischer Gebilde — und diese müssen das End¬ ziel jeder wahren Kolonisation sein — die Befähigung oder überhaupt die Lust haben. Auch hat mau im letzten Jahrzehnt die Beobachtung gemacht, daß sich wie von den Angehörigen andrer Völker so von den Italienern nur ganz wenig Auswandrer zu dauernder Ansiedlung im Lande ankaufen, wogegen sich immer mehr eine Sachsengängerei im großen Stil von den Mittelmeerländern, vor allem Italien, nach drüben entwickelt hat. Auf dem Papier hat schon mancher italienische Principe die Laplataländer mit den genialsten Kolonisatious- Plänen beglückt, aber zum Kolonisieren im großen Maßstab gehören Geld und noch mehr zähe Arbeitskraft sowie eine gewisse Jugendfrische der kolonisierenden Rasse, durch die sie sich zu akklimatisieren und auch bald im fremden Boden wieder anzuwurzeln vermag. Wir möchten diese für alles Kolonisieren wichtige Eigenschaft Wurzclfühigkeit nennen. Vielleicht am meisten findet man sie zur Zeit bei den Deutschen, die Proben von dieser Fähigkeit in beiden Amerika, Australien, Südafrika und andern Ländern genugsam abgelegt haben. Im allgemeinen wird man sagen können, die Romanisierung Argentiniens schreitet immer mehr in der Weise fort, daß die eigentlichen Kreolen gegenüber den eingewanderten romanischen Elementen, besonders den Italienern, zurücktreten, sowohl infolge des europäischen Einwandrernachschubs als des größern Geburteureichtums der neuen Ankömmlinge. Ans eine wesentliche Besserung der politischen Verhältnisse, Hebung der Rechtspflege und der Redlichkeit in Handel und Wandel wird man aber auch bei einer Verschiebung der Machtverhältnisse zu Gunsten des ein¬ gewanderten italienischen Bevölkeruugszulvachses nicht hoffen können. Widerstandsfähiger zeigt sich im allgemeinen in Brasilien das Kreolentum, das freilich noch weniger als in den ehemaligen spanischen Kolonialländern hier auf Reinheit der Rasse Anspruch erheben darf. Der Grund ist einmal darin zu suchen, daß die Bundeshauptstadt Rio Janeiro im Handel und Verkehr nicht mit dem kosmopolitischen Nationalitätcnbabel am Laplata rivalisieren kann, da sich in Brasilien der Handel auf eine Reihe wichtiger Küstenplätze verteilt. Darum verteilte sich auch der Einwandrerstrom auf ein größeres Gebiet und vermochte auf den Grundstock der aus portugiesischen und spanischen Kreolen, Negern, Indianern gemischten ältern Bevölkerung vielfach weniger abzufärben, der zur Zeit, als die Einwandrung lebhafter einsetzte, schon stärker als in der Nachbnrrepnblik Argentinien war. Immerhin haben in einzelnen Staaten be¬ sonders Italiener und Deutsche numerisch und wirtschaftlich eine große Be¬ deutung erlangt und geschlossene Siedlnngsgebiete in Besitz genommen. Auch hier ist die Zunahme der romanischen Einwandrung im Verhältnis zur ger¬ manischen unverkennbar. I» den Jahren 1818/94 sind in Brasilien ein¬ gewandert 87814 Deutsche. Auf den Zeitraum von 1881/94 entfalte» 28488.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/110
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/110>, abgerufen am 23.05.2024.