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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Verminderung und verblllizung der Prozesse

die ungleich größere Arbeitslast eines Termins und eines Urteils aufzuwenden
und hierdurch dem Kläger das zehnfache der Kosten zu verursache", die die
Abweisung durch bloße Verfügung verursacht.

Sehr merkwürdig ist hiernach der Unterschied der Behandlung un¬
begründeter Klagen beim ordentlichen Gericht und beim Verwaltungsgericht.
Das Verwaltungsgericht hat nämlich die "Einleitungsfähigkcit" der Klage zu
prüfen; reicht also der Bauer beim Verwaltungsgericht eine Klage ein, die
offenbar vor das ordentliche Gericht gehört, so erhält er sie kurzer Hand zurück
mit dem Bemerken, daß der Anspruch vor das ordentliche Gericht gehöre. Reicht
der Bauer dagegen dem ordentlichen Gericht eine Klage ein, die offenbar vor
das Verwaltungsgericht gehört, fo ist der Richter verpflichtet, einen Termin
anzuberaumen, also den Beklagten aus seiner Ruhe zu sprengen und beide"
Teilen im Termin klar zu machen, daß das ordentliche Gericht nicht zu¬
ständig sei.

Diese Erwägung regt zu einer allgemeinern Betrachtung über die Ver¬
schiedenheit des Verfahrens vor den ordentlichen Gerichten und den Verwal¬
tungsgerichten an. Dabei soll ein Fall zu Grunde gelegt werden, der in
dieser oder in ähnlicher Art jedem preußischen Praktiker öfters vorkommt! Zu
der im Dorf liegenden Kirche und Schule ist das benachbarte Rittergut ein-
gepfarrt und eingeschult; bei der vor fünfzig Jahren durch die zuständige Be¬
hörde erfolgten gutsherrlich-bäuerlichen Auseinandersetzung ist ein "Scparations-
rezeß" beurkundet, der die Verpflichtungen der Dorfgemeinde und des Ritter¬
guts auch hinsichtlich der Kirchenbaulast und der Schulbaulast regelt. Nun
entsteht bei einem Bau an der Schule oder an der Kirche die Streitfrage, ob
die Baukosten von der Dorfgemeinde oder vom Gutseigentümer zu tragen sind;
die Entscheidung hängt ab von der Auslegung einer Bestimmung des Sepci-
rationsrezesses und einer Vorschrift des preußischen Landrechts, die sowohl für
die Kirchenbaulast als auch für die Schulbanlast gilt. Nun sind in Preußen
für Streitigkeiten über die Schulbaulast die Verwaltungsgerichte zustündig, also
im ersten Rechtszuge der Kreisausschuß und weiter der Bezirksausschuß und
das Oberverwaltungsgericht, wogegen für Streitigkeiten über die Kirchenbnnlast
die ordentlichen Gerichte zuständig sind. Ist die Schulbaulast streitig, so reicht
die Dorfgemeinde die Klage dem Kreisausschuß ein; dieser teilt sie dem be¬
klagten Gutsbesitzer zur Gegenerklärung binnen zwei Wochen mit und berannt
nach Eingang dieser Erklärung einen Termin auf etwa vier Wochen hinaus
an. Hierbei fordert der Kreisausschuß zugleich sofort von der zuständigen
Behörde die Separationsakten, auf die die Parteien in ihren Prozeßschriften
Bezug genommen haben; und da die Auslegung dieser Urkunden und der
Borschrift des Landrechts selbständig dem Gericht obliegt und diesem alles,
was die Parteien hierüber zu sagen haben, aus den Prozeßschriften bekannt
ist, da ferner sämtliche zur Entscheidung in rechtlicher und thatsächlicher Be¬
ziehung dienenden Umstände einzelnen Mitgliedern dnrch die Akten, andern
durch den Bericht im Termin bekannt sind oder werden, so ergeht das Urteil


Verminderung und verblllizung der Prozesse

die ungleich größere Arbeitslast eines Termins und eines Urteils aufzuwenden
und hierdurch dem Kläger das zehnfache der Kosten zu verursache», die die
Abweisung durch bloße Verfügung verursacht.

Sehr merkwürdig ist hiernach der Unterschied der Behandlung un¬
begründeter Klagen beim ordentlichen Gericht und beim Verwaltungsgericht.
Das Verwaltungsgericht hat nämlich die „Einleitungsfähigkcit" der Klage zu
prüfen; reicht also der Bauer beim Verwaltungsgericht eine Klage ein, die
offenbar vor das ordentliche Gericht gehört, so erhält er sie kurzer Hand zurück
mit dem Bemerken, daß der Anspruch vor das ordentliche Gericht gehöre. Reicht
der Bauer dagegen dem ordentlichen Gericht eine Klage ein, die offenbar vor
das Verwaltungsgericht gehört, fo ist der Richter verpflichtet, einen Termin
anzuberaumen, also den Beklagten aus seiner Ruhe zu sprengen und beide»
Teilen im Termin klar zu machen, daß das ordentliche Gericht nicht zu¬
ständig sei.

Diese Erwägung regt zu einer allgemeinern Betrachtung über die Ver¬
schiedenheit des Verfahrens vor den ordentlichen Gerichten und den Verwal¬
tungsgerichten an. Dabei soll ein Fall zu Grunde gelegt werden, der in
dieser oder in ähnlicher Art jedem preußischen Praktiker öfters vorkommt! Zu
der im Dorf liegenden Kirche und Schule ist das benachbarte Rittergut ein-
gepfarrt und eingeschult; bei der vor fünfzig Jahren durch die zuständige Be¬
hörde erfolgten gutsherrlich-bäuerlichen Auseinandersetzung ist ein „Scparations-
rezeß" beurkundet, der die Verpflichtungen der Dorfgemeinde und des Ritter¬
guts auch hinsichtlich der Kirchenbaulast und der Schulbaulast regelt. Nun
entsteht bei einem Bau an der Schule oder an der Kirche die Streitfrage, ob
die Baukosten von der Dorfgemeinde oder vom Gutseigentümer zu tragen sind;
die Entscheidung hängt ab von der Auslegung einer Bestimmung des Sepci-
rationsrezesses und einer Vorschrift des preußischen Landrechts, die sowohl für
die Kirchenbaulast als auch für die Schulbanlast gilt. Nun sind in Preußen
für Streitigkeiten über die Schulbaulast die Verwaltungsgerichte zustündig, also
im ersten Rechtszuge der Kreisausschuß und weiter der Bezirksausschuß und
das Oberverwaltungsgericht, wogegen für Streitigkeiten über die Kirchenbnnlast
die ordentlichen Gerichte zuständig sind. Ist die Schulbaulast streitig, so reicht
die Dorfgemeinde die Klage dem Kreisausschuß ein; dieser teilt sie dem be¬
klagten Gutsbesitzer zur Gegenerklärung binnen zwei Wochen mit und berannt
nach Eingang dieser Erklärung einen Termin auf etwa vier Wochen hinaus
an. Hierbei fordert der Kreisausschuß zugleich sofort von der zuständigen
Behörde die Separationsakten, auf die die Parteien in ihren Prozeßschriften
Bezug genommen haben; und da die Auslegung dieser Urkunden und der
Borschrift des Landrechts selbständig dem Gericht obliegt und diesem alles,
was die Parteien hierüber zu sagen haben, aus den Prozeßschriften bekannt
ist, da ferner sämtliche zur Entscheidung in rechtlicher und thatsächlicher Be¬
ziehung dienenden Umstände einzelnen Mitgliedern dnrch die Akten, andern
durch den Bericht im Termin bekannt sind oder werden, so ergeht das Urteil


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/132>, abgerufen am 29.05.2024.