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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Kunst

Naturalismus seine Aufgabe war, nur von dessen Gegenteil zu handeln, von
der künstlerischen Bildung also, in einer Zeit, in der die Unbildung ein Privileg
des Künstlers geworden sei. Darum weist er uns darauf hin, wie unerschöpf¬
lich fruchtbar das Studium der alten Meister in einzelnen Zeiten gewesen ist,
wie die Bildhauer des pergamenischen Altars nicht mehr ans der Natur-
beobachtung neue Typen schaffen, sondern mit dem längst vorhandnen Typen-
vorrat die Ideen ihrer Zeit ausdrücken wollten, wie auch die Künstler des
Barocks und des Rokokos ihre Phantasie ganz allein mit der Kunst ihrer Vor¬
gänger zu nähren scheinen, und wie Rubens der Erbe des Wissens aller
frühern geworden ist, der letzte Riese der Renaissance, in dessen Weltbild nichts
fehlt von dem, was wir auf Erden kennen, Darum gilt ihm anch Klinger
soviel, dessen Entwicklung durch alle Stadien der Antike und der Renaissance
bis zu der Natur ihm beweist, daß es eine rein künstlerische Bildung giebt,
die nur aus den Werken der Kunst gewonnen werden kann durch die An¬
eignung ihres Ideengehalts und mit dem Griffel in der Hand. Er hebt
Klingers geistige Energie hervor, seine eindringlichen Zeichnungen, seine guten
Skulpturen, die monumentale Höhe seines "Christus im Olymp," übersieht
aber nicht den Mangel an Bewegung bei Klinger, wogegen er Rubens Fähig¬
keit, jegliches zu beleben, und seine tiefe Kenntnis aller Naturformen sehr
hübsch an der Dresdner Jagdskizze mit dein Wildschwein schildert. Besonders
lieb ist ihm Anselm Feuerbach um der Gründlichkeit willen, mit der er immer
wieder seine wenigen Hanptgegenstünde, die Medem und Iphigenien und die
italienischen Idyllen durcharbeitete, und Ludwig von Hoffmann wird mit
hohem Lobe bedacht wegen seiner Selbständigkeit den Naturanbetern gegenüber,
seiner freien Entwürfe mit ihrer durchgeistigten Wirklichkeit, allerdings nicht
ohne eine freundlich einschränkende Ermahnung für die Zukunft. Am Schlich
teilt uns der Verfasser noch seine verständigen und maßvollen Ansichten über
die Frauenbewegung mit, die in Deutschland unsicher den Geleisen der Fran¬
zosen, Skandinavier und Russen nachziehe, insbesondre anch seine geringe
Meinung von dem künstlerischen Schaffen der Frauen, höflich aber deutlich,
zärtlich teilnehmend in der Einkleidung eines Liebesbriefs,

Ernst Großes "Knnstwissenschaftlichc Stadien" (Tübingen, Mohr-Siebeck),
sechs ans Vorlesungen heraufgewachsene Aufsätze, gebe" die Prolegomena für
eine Reihe speziellerer Studien, die noch zu erwarten sind. Die ersten drei
(die Aufgabe der Kunstwissenschaft, das Wesen der Kunst, das Wesen des
Künstlers) enthalten bekannte, ohne Widerspruch hinzunehmende Sätze, deren
Wiederholung uns hier keinen rechten Zweck zu haben scheint. Der vierte (Kunst
und Rasse) faßt ein interessantes Problem an, dessen Grundlagen aber bis
jetzt so wenig gesichert sind, daß wir eigentlich nirgends über allgemeine Vor¬
besprechungen Hinaufkommen. Wieviel von der Kunstleistung einer der Rassen
ihrer Begabung, wieviel ihrer durch die Geschichte und die Berührung mit
andern Rassen gewordnen Kultur angehört, wer kann das herausbringen?
"Die geschichtliche Bewegung verwandelt nicht nur den Kulturzustand, sondern


Kunst

Naturalismus seine Aufgabe war, nur von dessen Gegenteil zu handeln, von
der künstlerischen Bildung also, in einer Zeit, in der die Unbildung ein Privileg
des Künstlers geworden sei. Darum weist er uns darauf hin, wie unerschöpf¬
lich fruchtbar das Studium der alten Meister in einzelnen Zeiten gewesen ist,
wie die Bildhauer des pergamenischen Altars nicht mehr ans der Natur-
beobachtung neue Typen schaffen, sondern mit dem längst vorhandnen Typen-
vorrat die Ideen ihrer Zeit ausdrücken wollten, wie auch die Künstler des
Barocks und des Rokokos ihre Phantasie ganz allein mit der Kunst ihrer Vor¬
gänger zu nähren scheinen, und wie Rubens der Erbe des Wissens aller
frühern geworden ist, der letzte Riese der Renaissance, in dessen Weltbild nichts
fehlt von dem, was wir auf Erden kennen, Darum gilt ihm anch Klinger
soviel, dessen Entwicklung durch alle Stadien der Antike und der Renaissance
bis zu der Natur ihm beweist, daß es eine rein künstlerische Bildung giebt,
die nur aus den Werken der Kunst gewonnen werden kann durch die An¬
eignung ihres Ideengehalts und mit dem Griffel in der Hand. Er hebt
Klingers geistige Energie hervor, seine eindringlichen Zeichnungen, seine guten
Skulpturen, die monumentale Höhe seines „Christus im Olymp," übersieht
aber nicht den Mangel an Bewegung bei Klinger, wogegen er Rubens Fähig¬
keit, jegliches zu beleben, und seine tiefe Kenntnis aller Naturformen sehr
hübsch an der Dresdner Jagdskizze mit dein Wildschwein schildert. Besonders
lieb ist ihm Anselm Feuerbach um der Gründlichkeit willen, mit der er immer
wieder seine wenigen Hanptgegenstünde, die Medem und Iphigenien und die
italienischen Idyllen durcharbeitete, und Ludwig von Hoffmann wird mit
hohem Lobe bedacht wegen seiner Selbständigkeit den Naturanbetern gegenüber,
seiner freien Entwürfe mit ihrer durchgeistigten Wirklichkeit, allerdings nicht
ohne eine freundlich einschränkende Ermahnung für die Zukunft. Am Schlich
teilt uns der Verfasser noch seine verständigen und maßvollen Ansichten über
die Frauenbewegung mit, die in Deutschland unsicher den Geleisen der Fran¬
zosen, Skandinavier und Russen nachziehe, insbesondre anch seine geringe
Meinung von dem künstlerischen Schaffen der Frauen, höflich aber deutlich,
zärtlich teilnehmend in der Einkleidung eines Liebesbriefs,

Ernst Großes „Knnstwissenschaftlichc Stadien" (Tübingen, Mohr-Siebeck),
sechs ans Vorlesungen heraufgewachsene Aufsätze, gebe» die Prolegomena für
eine Reihe speziellerer Studien, die noch zu erwarten sind. Die ersten drei
(die Aufgabe der Kunstwissenschaft, das Wesen der Kunst, das Wesen des
Künstlers) enthalten bekannte, ohne Widerspruch hinzunehmende Sätze, deren
Wiederholung uns hier keinen rechten Zweck zu haben scheint. Der vierte (Kunst
und Rasse) faßt ein interessantes Problem an, dessen Grundlagen aber bis
jetzt so wenig gesichert sind, daß wir eigentlich nirgends über allgemeine Vor¬
besprechungen Hinaufkommen. Wieviel von der Kunstleistung einer der Rassen
ihrer Begabung, wieviel ihrer durch die Geschichte und die Berührung mit
andern Rassen gewordnen Kultur angehört, wer kann das herausbringen?
„Die geschichtliche Bewegung verwandelt nicht nur den Kulturzustand, sondern


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[0140] Kunst Naturalismus seine Aufgabe war, nur von dessen Gegenteil zu handeln, von der künstlerischen Bildung also, in einer Zeit, in der die Unbildung ein Privileg des Künstlers geworden sei. Darum weist er uns darauf hin, wie unerschöpf¬ lich fruchtbar das Studium der alten Meister in einzelnen Zeiten gewesen ist, wie die Bildhauer des pergamenischen Altars nicht mehr ans der Natur- beobachtung neue Typen schaffen, sondern mit dem längst vorhandnen Typen- vorrat die Ideen ihrer Zeit ausdrücken wollten, wie auch die Künstler des Barocks und des Rokokos ihre Phantasie ganz allein mit der Kunst ihrer Vor¬ gänger zu nähren scheinen, und wie Rubens der Erbe des Wissens aller frühern geworden ist, der letzte Riese der Renaissance, in dessen Weltbild nichts fehlt von dem, was wir auf Erden kennen, Darum gilt ihm anch Klinger soviel, dessen Entwicklung durch alle Stadien der Antike und der Renaissance bis zu der Natur ihm beweist, daß es eine rein künstlerische Bildung giebt, die nur aus den Werken der Kunst gewonnen werden kann durch die An¬ eignung ihres Ideengehalts und mit dem Griffel in der Hand. Er hebt Klingers geistige Energie hervor, seine eindringlichen Zeichnungen, seine guten Skulpturen, die monumentale Höhe seines „Christus im Olymp," übersieht aber nicht den Mangel an Bewegung bei Klinger, wogegen er Rubens Fähig¬ keit, jegliches zu beleben, und seine tiefe Kenntnis aller Naturformen sehr hübsch an der Dresdner Jagdskizze mit dein Wildschwein schildert. Besonders lieb ist ihm Anselm Feuerbach um der Gründlichkeit willen, mit der er immer wieder seine wenigen Hanptgegenstünde, die Medem und Iphigenien und die italienischen Idyllen durcharbeitete, und Ludwig von Hoffmann wird mit hohem Lobe bedacht wegen seiner Selbständigkeit den Naturanbetern gegenüber, seiner freien Entwürfe mit ihrer durchgeistigten Wirklichkeit, allerdings nicht ohne eine freundlich einschränkende Ermahnung für die Zukunft. Am Schlich teilt uns der Verfasser noch seine verständigen und maßvollen Ansichten über die Frauenbewegung mit, die in Deutschland unsicher den Geleisen der Fran¬ zosen, Skandinavier und Russen nachziehe, insbesondre anch seine geringe Meinung von dem künstlerischen Schaffen der Frauen, höflich aber deutlich, zärtlich teilnehmend in der Einkleidung eines Liebesbriefs, Ernst Großes „Knnstwissenschaftlichc Stadien" (Tübingen, Mohr-Siebeck), sechs ans Vorlesungen heraufgewachsene Aufsätze, gebe» die Prolegomena für eine Reihe speziellerer Studien, die noch zu erwarten sind. Die ersten drei (die Aufgabe der Kunstwissenschaft, das Wesen der Kunst, das Wesen des Künstlers) enthalten bekannte, ohne Widerspruch hinzunehmende Sätze, deren Wiederholung uns hier keinen rechten Zweck zu haben scheint. Der vierte (Kunst und Rasse) faßt ein interessantes Problem an, dessen Grundlagen aber bis jetzt so wenig gesichert sind, daß wir eigentlich nirgends über allgemeine Vor¬ besprechungen Hinaufkommen. Wieviel von der Kunstleistung einer der Rassen ihrer Begabung, wieviel ihrer durch die Geschichte und die Berührung mit andern Rassen gewordnen Kultur angehört, wer kann das herausbringen? „Die geschichtliche Bewegung verwandelt nicht nur den Kulturzustand, sondern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/140>, abgerufen am 28.05.2024.