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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Kunst

Elements in Frankreich, Dentschland und England schon so groß "ut zugleich so
unkontrollierbar geivvrden, daß man in seltsame Irrtümer verfallen würde, wenn
man z. B, die moderne deutsche Poesie arglos für eine Offenbarung germa¬
nischer Begabung hinnehmen wollte. Wir gehören nicht zu den Arglosen "ut
notieren als Beleg unsrer Aufmerksamkeit einen zufällig gerade hente, da wir
dies niederschreiben, in unsrer Berliner Zeitung stehenden Satz "von zwei
kleinen Völkern, dem jüdischen und den: griechischen, deren Keine die Welt¬
geschichte lenkte und uns hente noch beherrscht." Deutlicher kann mans gewiß
nicht sagen.

In dein fünften Aufsatz lWirknngen der Bildnerei) hat uns zunächst die
Bemerkung gefreut, daß es in der Kunst immer gar sehr auf den Gegenstand
ankomme, und daß in allen aufsteigenden Perioden den Künstlern um den Inhalt
ihrer Darstellungen, nicht um diese oder jene Frage der Technik, zu thun ge¬
wesen sei. Sodnnn heißt es zutreffend, daß die peinlich naturalistische Dar¬
stellung oft mir ein Zeichen der erschlaffenden Phantasie sei, das sich am stärksten
bei alternden Kulturvölkern finde. Ferner hören wir, daß uns das Gefühl
für den Monnmentalstil verloren gegangen sei, warum unsre öffentlichen Denk¬
mäler uns nicht vertraut werden könnten, welchen Wert ferner die Pvrträt-
knnst für den Zusammenhang der Geschlechter und die Pflege unsrer Ver¬
gangenheit habe, und weswegen die Denkmaltatzcn und Genien von Reinhold
Begas trotz ihrer Kostbarkeit diesem Bedürfnis nicht genügen könnten. Eine
andre Gedankenreihe geht davon ans, daß der Japaner die Bewegung, der
Europäer die Körperformen besser darstelle, und erörtert, was das Ursächliche
sei, die Art zu sehen oder die Art der Darstellung, ob also die Rasse den
Künstler oder dieser sein Volk bestimme, was der Verfasser selbst noch nicht
entscheiden will. Uns scheint er seiner Fragestellung dadurch den Boden entzogen
zu habe", daß er die japanische Malerei als eine Art Kalligraphie ansieht, denn
wenn der Ausdruck der gesteigerten Bewegung auf Kosten der Natur durch
Übertreibung, durch andeutendes skizzieren, durch Beschneidung der organischen
Grundlage des Körperlichen erreicht wird, so handelt es sich dabei nicht mehr
um eine Art des Sehens, sondern um die Kvnvcnicnz einer Zeichensprache,
und die beiden Produkte, das europäische und das japanische, werden inkom¬
mensurabel. Der letzte Aufsatz (Wissenschaft und Kunst) richtet sich, kurz gesagt,
gegen den von der wissenschaftlichen Erkenntnis ausgehenden Naturalismus
als letztes Ziel der Kunst und gegen den Glauben an die Macht einer
"Technik." Er enthält sehr viel Wahres und vielerlei gerade für unsre
Gegenwart nützliche Anregung, unsrer Meinung nach ist es der wertvollste
Teil des Buchs, den wir allen nachdenkenden Lesern angelegentlichst empfehlen
möchten. Im einzelnen würde es uns reizen, dem Verfasser unsre Wider¬
sprüche entgegenzusetzen, die sich zum Teil mit dein berühren, was wir über
Kunowskis Buch gesagt haben. Wir müssen uns das hier versagen und denken
uns, daß der Verfasser selbst noch einmal mit Kunowski über den "wissen¬
schaftlichen Künstler" abrechnen wird.


Kunst

Elements in Frankreich, Dentschland und England schon so groß »ut zugleich so
unkontrollierbar geivvrden, daß man in seltsame Irrtümer verfallen würde, wenn
man z. B, die moderne deutsche Poesie arglos für eine Offenbarung germa¬
nischer Begabung hinnehmen wollte. Wir gehören nicht zu den Arglosen »ut
notieren als Beleg unsrer Aufmerksamkeit einen zufällig gerade hente, da wir
dies niederschreiben, in unsrer Berliner Zeitung stehenden Satz „von zwei
kleinen Völkern, dem jüdischen und den: griechischen, deren Keine die Welt¬
geschichte lenkte und uns hente noch beherrscht." Deutlicher kann mans gewiß
nicht sagen.

In dein fünften Aufsatz lWirknngen der Bildnerei) hat uns zunächst die
Bemerkung gefreut, daß es in der Kunst immer gar sehr auf den Gegenstand
ankomme, und daß in allen aufsteigenden Perioden den Künstlern um den Inhalt
ihrer Darstellungen, nicht um diese oder jene Frage der Technik, zu thun ge¬
wesen sei. Sodnnn heißt es zutreffend, daß die peinlich naturalistische Dar¬
stellung oft mir ein Zeichen der erschlaffenden Phantasie sei, das sich am stärksten
bei alternden Kulturvölkern finde. Ferner hören wir, daß uns das Gefühl
für den Monnmentalstil verloren gegangen sei, warum unsre öffentlichen Denk¬
mäler uns nicht vertraut werden könnten, welchen Wert ferner die Pvrträt-
knnst für den Zusammenhang der Geschlechter und die Pflege unsrer Ver¬
gangenheit habe, und weswegen die Denkmaltatzcn und Genien von Reinhold
Begas trotz ihrer Kostbarkeit diesem Bedürfnis nicht genügen könnten. Eine
andre Gedankenreihe geht davon ans, daß der Japaner die Bewegung, der
Europäer die Körperformen besser darstelle, und erörtert, was das Ursächliche
sei, die Art zu sehen oder die Art der Darstellung, ob also die Rasse den
Künstler oder dieser sein Volk bestimme, was der Verfasser selbst noch nicht
entscheiden will. Uns scheint er seiner Fragestellung dadurch den Boden entzogen
zu habe«, daß er die japanische Malerei als eine Art Kalligraphie ansieht, denn
wenn der Ausdruck der gesteigerten Bewegung auf Kosten der Natur durch
Übertreibung, durch andeutendes skizzieren, durch Beschneidung der organischen
Grundlage des Körperlichen erreicht wird, so handelt es sich dabei nicht mehr
um eine Art des Sehens, sondern um die Kvnvcnicnz einer Zeichensprache,
und die beiden Produkte, das europäische und das japanische, werden inkom¬
mensurabel. Der letzte Aufsatz (Wissenschaft und Kunst) richtet sich, kurz gesagt,
gegen den von der wissenschaftlichen Erkenntnis ausgehenden Naturalismus
als letztes Ziel der Kunst und gegen den Glauben an die Macht einer
„Technik." Er enthält sehr viel Wahres und vielerlei gerade für unsre
Gegenwart nützliche Anregung, unsrer Meinung nach ist es der wertvollste
Teil des Buchs, den wir allen nachdenkenden Lesern angelegentlichst empfehlen
möchten. Im einzelnen würde es uns reizen, dem Verfasser unsre Wider¬
sprüche entgegenzusetzen, die sich zum Teil mit dein berühren, was wir über
Kunowskis Buch gesagt haben. Wir müssen uns das hier versagen und denken
uns, daß der Verfasser selbst noch einmal mit Kunowski über den „wissen¬
schaftlichen Künstler" abrechnen wird.


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[0142] Kunst Elements in Frankreich, Dentschland und England schon so groß »ut zugleich so unkontrollierbar geivvrden, daß man in seltsame Irrtümer verfallen würde, wenn man z. B, die moderne deutsche Poesie arglos für eine Offenbarung germa¬ nischer Begabung hinnehmen wollte. Wir gehören nicht zu den Arglosen »ut notieren als Beleg unsrer Aufmerksamkeit einen zufällig gerade hente, da wir dies niederschreiben, in unsrer Berliner Zeitung stehenden Satz „von zwei kleinen Völkern, dem jüdischen und den: griechischen, deren Keine die Welt¬ geschichte lenkte und uns hente noch beherrscht." Deutlicher kann mans gewiß nicht sagen. In dein fünften Aufsatz lWirknngen der Bildnerei) hat uns zunächst die Bemerkung gefreut, daß es in der Kunst immer gar sehr auf den Gegenstand ankomme, und daß in allen aufsteigenden Perioden den Künstlern um den Inhalt ihrer Darstellungen, nicht um diese oder jene Frage der Technik, zu thun ge¬ wesen sei. Sodnnn heißt es zutreffend, daß die peinlich naturalistische Dar¬ stellung oft mir ein Zeichen der erschlaffenden Phantasie sei, das sich am stärksten bei alternden Kulturvölkern finde. Ferner hören wir, daß uns das Gefühl für den Monnmentalstil verloren gegangen sei, warum unsre öffentlichen Denk¬ mäler uns nicht vertraut werden könnten, welchen Wert ferner die Pvrträt- knnst für den Zusammenhang der Geschlechter und die Pflege unsrer Ver¬ gangenheit habe, und weswegen die Denkmaltatzcn und Genien von Reinhold Begas trotz ihrer Kostbarkeit diesem Bedürfnis nicht genügen könnten. Eine andre Gedankenreihe geht davon ans, daß der Japaner die Bewegung, der Europäer die Körperformen besser darstelle, und erörtert, was das Ursächliche sei, die Art zu sehen oder die Art der Darstellung, ob also die Rasse den Künstler oder dieser sein Volk bestimme, was der Verfasser selbst noch nicht entscheiden will. Uns scheint er seiner Fragestellung dadurch den Boden entzogen zu habe«, daß er die japanische Malerei als eine Art Kalligraphie ansieht, denn wenn der Ausdruck der gesteigerten Bewegung auf Kosten der Natur durch Übertreibung, durch andeutendes skizzieren, durch Beschneidung der organischen Grundlage des Körperlichen erreicht wird, so handelt es sich dabei nicht mehr um eine Art des Sehens, sondern um die Kvnvcnicnz einer Zeichensprache, und die beiden Produkte, das europäische und das japanische, werden inkom¬ mensurabel. Der letzte Aufsatz (Wissenschaft und Kunst) richtet sich, kurz gesagt, gegen den von der wissenschaftlichen Erkenntnis ausgehenden Naturalismus als letztes Ziel der Kunst und gegen den Glauben an die Macht einer „Technik." Er enthält sehr viel Wahres und vielerlei gerade für unsre Gegenwart nützliche Anregung, unsrer Meinung nach ist es der wertvollste Teil des Buchs, den wir allen nachdenkenden Lesern angelegentlichst empfehlen möchten. Im einzelnen würde es uns reizen, dem Verfasser unsre Wider¬ sprüche entgegenzusetzen, die sich zum Teil mit dein berühren, was wir über Kunowskis Buch gesagt haben. Wir müssen uns das hier versagen und denken uns, daß der Verfasser selbst noch einmal mit Kunowski über den „wissen¬ schaftlichen Künstler" abrechnen wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/142>, abgerufen am 28.05.2024.