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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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das wahre Sein der Dinge ans Tageslicht gebracht. Das; nicht die politische
Gestaltung des Menschenlebens das erste ist, worum es Sorge trägt, sondern
die Frage, wie es sich wirtschaftlich dnrch die Zeit bringe, das ist eine Wahr¬
heit, die jeder denkende Mensch ohne weiteres zugiebt, der er sich aber lange
nicht überall und nicht immer mit wünschenswerter Klarheit bewußt bleibt.

Woher anders die so häufig in der Geschichte wiederkehrende Erscheinung,
daß allein politischen Einrichtungen zuliebe, als ob sie in erster Reihe für das
Glück entscheidend waren, den Menschen in ihrem wirtschaftlichen Dasein Zwang
angethan wird? Es gab eine Zeit, wo sich die Niederländer, während sie
wirtschaftlich schon lange selbständig waren, politisch an das spanische System
gefesselt fanden. Das hätte lange so bleiben können, und wer weiß, ob sich
die nördlichen Provinzen nicht ebenso gut auf die Dauer in die Unterdrückung
ihrer "Gedankenfreiheit" gefunden hätten wie die südlichen, wenn sich nicht die
despotische spanische Voreingenommenheit anch in die wirtschaftliche Freiheit
ihrer niederländischen Unterthanen gemischt hätte. So aber besannen sich diese
auf ihre Lage und fanden, daß es sich zur Rettung ihrer Unabhängigkeit in
Handel und Wandel, in Verkehr und Gewerbe wohl des Kampfes um die
politische Freiheit lohne.

Daß die vereinigten Niederlande diesen Kampf trotz der feindlichen Über¬
macht siegreich durchführen konnten, hatten sie der Gunst einer Zeit zu ver¬
danken, wo die um sie hernmgelagcrten Staatengebilde an wirtschaftlicher
Konzentration ihrer Kräfte weit hinter ihnen zurückstanden. In Spanien selbst,
als dem mächtigsten in sich geschlossenen Nationalstaate, war man von einer
Planmäßigen Einteilung und Anspannung der Steuerkräfte, wie überhaupt vou
einer geordneten Finanzverwaltung vielleicht am weitesten entfernt, in England
und Frankreich begannen die Regierungen erst, sich auf diese Entfaltung der
in Laud und Volk ruhenden Kräfte zu besinnen, und in? Deutschen Reiche
kamen die sich hier lind da zeigenden Anläufe, ans der Natural- zur Geld-
Wirtschaft zu gelangen, bei der staatlichen Verwirrung kaum in Betracht.
Kurzum, es gab damals in ganz Europa kein wirtschaftlich zusammengehöriges
Ganze, das den Prinzipien der modernen Staats- und Volkswirtschaft näher
kam als die spanischen Niederlande.

Die Folge davon war, daß diese reichen Provinzen, die das Geld nicht
bloß zu gewinnen wußten, sondern es anch im Aufgeben zur Erreichung ihrer
Zwecke auf die richtigen Pnnkte zu leiten verstanden, den aufgezwungnen Kampf
nicht bloß mit Erfolg aufnehmen, sondern auch siegreich zu Ende führen konnten.
Indes auch das ist es uicht allein, was unsre Bewundrung erregt, sondern
fast noch staunenswerter ist es, daß dieses kleine und dazu noch in sich geteilte
Staatswesen die gewonnene Selbständigkeit über hundert Jahre als Großmacht
hat behaupten können. Der Freiheitsknmpf, den die Holländer hinter sich hatten,
war glorreich, aber Spanien war trotz der Fülle seiner äußern Machtmittel
innerlich schwach und unbeholfen gewesen, viel drohender sah es mit ihrer Zu-
ülnft aus, wenn sie sich den mächtig aufstrebenden Großstaaten Frankreich und


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das wahre Sein der Dinge ans Tageslicht gebracht. Das; nicht die politische
Gestaltung des Menschenlebens das erste ist, worum es Sorge trägt, sondern
die Frage, wie es sich wirtschaftlich dnrch die Zeit bringe, das ist eine Wahr¬
heit, die jeder denkende Mensch ohne weiteres zugiebt, der er sich aber lange
nicht überall und nicht immer mit wünschenswerter Klarheit bewußt bleibt.

Woher anders die so häufig in der Geschichte wiederkehrende Erscheinung,
daß allein politischen Einrichtungen zuliebe, als ob sie in erster Reihe für das
Glück entscheidend waren, den Menschen in ihrem wirtschaftlichen Dasein Zwang
angethan wird? Es gab eine Zeit, wo sich die Niederländer, während sie
wirtschaftlich schon lange selbständig waren, politisch an das spanische System
gefesselt fanden. Das hätte lange so bleiben können, und wer weiß, ob sich
die nördlichen Provinzen nicht ebenso gut auf die Dauer in die Unterdrückung
ihrer „Gedankenfreiheit" gefunden hätten wie die südlichen, wenn sich nicht die
despotische spanische Voreingenommenheit anch in die wirtschaftliche Freiheit
ihrer niederländischen Unterthanen gemischt hätte. So aber besannen sich diese
auf ihre Lage und fanden, daß es sich zur Rettung ihrer Unabhängigkeit in
Handel und Wandel, in Verkehr und Gewerbe wohl des Kampfes um die
politische Freiheit lohne.

Daß die vereinigten Niederlande diesen Kampf trotz der feindlichen Über¬
macht siegreich durchführen konnten, hatten sie der Gunst einer Zeit zu ver¬
danken, wo die um sie hernmgelagcrten Staatengebilde an wirtschaftlicher
Konzentration ihrer Kräfte weit hinter ihnen zurückstanden. In Spanien selbst,
als dem mächtigsten in sich geschlossenen Nationalstaate, war man von einer
Planmäßigen Einteilung und Anspannung der Steuerkräfte, wie überhaupt vou
einer geordneten Finanzverwaltung vielleicht am weitesten entfernt, in England
und Frankreich begannen die Regierungen erst, sich auf diese Entfaltung der
in Laud und Volk ruhenden Kräfte zu besinnen, und in? Deutschen Reiche
kamen die sich hier lind da zeigenden Anläufe, ans der Natural- zur Geld-
Wirtschaft zu gelangen, bei der staatlichen Verwirrung kaum in Betracht.
Kurzum, es gab damals in ganz Europa kein wirtschaftlich zusammengehöriges
Ganze, das den Prinzipien der modernen Staats- und Volkswirtschaft näher
kam als die spanischen Niederlande.

Die Folge davon war, daß diese reichen Provinzen, die das Geld nicht
bloß zu gewinnen wußten, sondern es anch im Aufgeben zur Erreichung ihrer
Zwecke auf die richtigen Pnnkte zu leiten verstanden, den aufgezwungnen Kampf
nicht bloß mit Erfolg aufnehmen, sondern auch siegreich zu Ende führen konnten.
Indes auch das ist es uicht allein, was unsre Bewundrung erregt, sondern
fast noch staunenswerter ist es, daß dieses kleine und dazu noch in sich geteilte
Staatswesen die gewonnene Selbständigkeit über hundert Jahre als Großmacht
hat behaupten können. Der Freiheitsknmpf, den die Holländer hinter sich hatten,
war glorreich, aber Spanien war trotz der Fülle seiner äußern Machtmittel
innerlich schwach und unbeholfen gewesen, viel drohender sah es mit ihrer Zu-
ülnft aus, wenn sie sich den mächtig aufstrebenden Großstaaten Frankreich und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/155>, abgerufen am 06.06.2024.