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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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l/^Ilmid und Veulschlxud

Wie nur je ein Staatengcbilde, das sich in einer schönen Erregung seiner
seelischen Triebe und in der mannhaften Zusammenfassung seiner materiellen
Kräfte auf die eignen Beine gestellt hat. Die Gründling von Kolonien, die
von Holland ausgegangen ist, ist nicht etwa als ein bloßes Abstoßen über¬
schüssiger Massen, sondern als eine Vermehrung der Volkskraft ans fremdem
Boden zu denken. Da die natürliche nationale Basis nicht erweitert werden
konnte, so sollten die Ansiedlungen den Ersatz für diesen Mangel geben. Aber
diese ans dem nationalen Drange hervorgegangnen Außenposten gingen im
Sturm der Zeiten verloren, und anstatt eine Stärkung des Mutterstaats zu
werden, trug der Verlust der Kolonien nur dazu bei, dessen Widerstandskraft
noch weiter zu schwächen.

So verkümmerte Holland zuerst politisch, und bald begann sich der Nieder¬
gang auch auf andern Gebieten zu zeigen. Es ist eine natürliche Erscheinung,
daß sich mit der wirtschaftliche,, und der politischen Erhebung eines Volks
mich alle andern Lebenstriebe steigern und in Hervorbringung von Thaten
hinter den führende" Kräften nicht zurückbleiben wollen. Niederländische
Malerei und niederländische Baukunst gaben einmal der Welt die Gesetze, und
in Sachen der philologischen und der juristischen, der historische" und der
theologischen Wissenschaft standen die Leistungen der holländischen Universitäten
hinter keiner Hochschule des Kontinents zurück. In der Dichtung zwar haben
die Niederländer niemals dieselbe Hohe erklommen, aber die Gemälde eines
van Dyk, eines Rembrandt, eines Rubens und Ruysdael entfalten so viel
epische und lyrische, aber vor allem dramatische Poesie, daß damit ein voller
Ersatz für den Mangel im Wort gegeben scheint.

Aller dieser Glanz ist rin dem Verfall der politischen Selbständigkeit
Hollands nnter dem zermalmenden Gang der großen europäischen Kriege ver¬
blichen. So bestätigt sich anch hier die Erfahrung, die überall in der Ge¬
schichte gemacht wird, daß mit der politischen Gestaltungskraft eines Volks die
Möglichkeit seiner geistigen Entfaltung durchaus zusammenhängt. Das staat¬
liche Bestehn Hollands beruht seit den Tagen der französischen Revolution
und Napoleons, der ihr größter Sohn war, nnr "och ans dem arten Willen
oder besser gesagt ans der Eifersucht der Großmächte, die ans dein Wiener
Kongreß den Staat neu gründeten und ihm infolge der Ereignisse des Jahres
1830 abermals eine andre Form gaben. Nicht als ob sie um die verkleinerten
Niederlande, wie um das davon losgerissene Belgien, den Mantel der von
alle" anerkannten Neutralität geworfen hätten, aber thatsächlich ist die Lage
Hollands doch kaum anders als die seines neugeschaffnem Nachbarstaats.

Belgien ist für neutral erklärt worden, das heißt, die Belgier sollen in
allen Händeln, in die die großen Mächte geraten können, unbeteiligt sein.
Wie vortrefflich sich nun auch diese Unbeteiligtheit auf dem Papiere macht, so
hat sie doch nicht bloß die Seite, daß der durch sie geschützte Staat im Wider¬
streit der geltenden Kräfte vor den Übergriffeil des Mächtigern gesichert sein,
wlk andern Worten in ihrem Gegeneinander nicht leiden soll, sondern sie hat


l/^Ilmid und Veulschlxud

Wie nur je ein Staatengcbilde, das sich in einer schönen Erregung seiner
seelischen Triebe und in der mannhaften Zusammenfassung seiner materiellen
Kräfte auf die eignen Beine gestellt hat. Die Gründling von Kolonien, die
von Holland ausgegangen ist, ist nicht etwa als ein bloßes Abstoßen über¬
schüssiger Massen, sondern als eine Vermehrung der Volkskraft ans fremdem
Boden zu denken. Da die natürliche nationale Basis nicht erweitert werden
konnte, so sollten die Ansiedlungen den Ersatz für diesen Mangel geben. Aber
diese ans dem nationalen Drange hervorgegangnen Außenposten gingen im
Sturm der Zeiten verloren, und anstatt eine Stärkung des Mutterstaats zu
werden, trug der Verlust der Kolonien nur dazu bei, dessen Widerstandskraft
noch weiter zu schwächen.

So verkümmerte Holland zuerst politisch, und bald begann sich der Nieder¬
gang auch auf andern Gebieten zu zeigen. Es ist eine natürliche Erscheinung,
daß sich mit der wirtschaftliche,, und der politischen Erhebung eines Volks
mich alle andern Lebenstriebe steigern und in Hervorbringung von Thaten
hinter den führende» Kräften nicht zurückbleiben wollen. Niederländische
Malerei und niederländische Baukunst gaben einmal der Welt die Gesetze, und
in Sachen der philologischen und der juristischen, der historische» und der
theologischen Wissenschaft standen die Leistungen der holländischen Universitäten
hinter keiner Hochschule des Kontinents zurück. In der Dichtung zwar haben
die Niederländer niemals dieselbe Hohe erklommen, aber die Gemälde eines
van Dyk, eines Rembrandt, eines Rubens und Ruysdael entfalten so viel
epische und lyrische, aber vor allem dramatische Poesie, daß damit ein voller
Ersatz für den Mangel im Wort gegeben scheint.

Aller dieser Glanz ist rin dem Verfall der politischen Selbständigkeit
Hollands nnter dem zermalmenden Gang der großen europäischen Kriege ver¬
blichen. So bestätigt sich anch hier die Erfahrung, die überall in der Ge¬
schichte gemacht wird, daß mit der politischen Gestaltungskraft eines Volks die
Möglichkeit seiner geistigen Entfaltung durchaus zusammenhängt. Das staat¬
liche Bestehn Hollands beruht seit den Tagen der französischen Revolution
und Napoleons, der ihr größter Sohn war, nnr »och ans dem arten Willen
oder besser gesagt ans der Eifersucht der Großmächte, die ans dein Wiener
Kongreß den Staat neu gründeten und ihm infolge der Ereignisse des Jahres
1830 abermals eine andre Form gaben. Nicht als ob sie um die verkleinerten
Niederlande, wie um das davon losgerissene Belgien, den Mantel der von
alle» anerkannten Neutralität geworfen hätten, aber thatsächlich ist die Lage
Hollands doch kaum anders als die seines neugeschaffnem Nachbarstaats.

Belgien ist für neutral erklärt worden, das heißt, die Belgier sollen in
allen Händeln, in die die großen Mächte geraten können, unbeteiligt sein.
Wie vortrefflich sich nun auch diese Unbeteiligtheit auf dem Papiere macht, so
hat sie doch nicht bloß die Seite, daß der durch sie geschützte Staat im Wider¬
streit der geltenden Kräfte vor den Übergriffeil des Mächtigern gesichert sein,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/157>, abgerufen am 06.06.2024.