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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Holland und Deutschland

doch sprachlich sind sie auf die Dauer uicht von höherm Wert als die Werke
Fritz Reuters, der niemals daran gedacht hat, dem Plattdeutschen eine selb¬
ständige Stellung neben dem Hochdeutschen zu verschaffen.

Der Niedergang des holländischen Lebens ist an allen Stellen erkennbar,
wo sein Pulsschlng fühlbar wird, doch vielleicht am "venigsten an dem Punkte,
der am meisten unter dem Auge der Öffentlichkeit liegt. Für den ersten Blick
ohne Zweifel auffällig, aber wer länger zusieht, der wird über den Grund der
Erscheinung bald ius klare kommen. Denn er wird einsehen, daß die Kraft,
die einstmals diesen Staat in die Reihe der Größesteu gehoben hat, Wohl
niedergedrückt, aber niemals hat unterdrückt werden können, Holland liegt an
einer der günstigsten Stellen der ganzen europäischen Küste, an dem Punkte
des Atlantischen Ozeans, wo Ost und West sich scheiden, und sich Nord und
Süd die Hemd reichen. Nicht als ob die Menschen, die hier wohnen, den
Reichtum, deu das Meer in seinen Tiefen birgt, mühelos entgegennehmen
könnten, als ob ihnen der Zins von den Gaben, die das Land erzeugt, und
die vou der Woge weiter getragen wird, ohne den Preis schwerer Arbeit in
den Schoß fiele. Nein aber das ist es gerade, daß an diesen Küsten von
jeher ein Geschlecht wohnt, das mit starken Sehnen und festen Herzen bewehrt
die Arbeit liebt und die Anstrengung aufsucht.

Der Atem des Meeres hat wie vordem "och immer seine Verjüngelide
Kraft, und im Kampf mit der rollenden Woge und dem Wüten des Sturms
feiert hier die Menschheit so frisch wie nur irgendwo anders die ewig wieder¬
kehrende Auferstehung. Die Fülle des Meeres an Fischen ist unerschöpflich,
und das; Handel und Verkehr an diesen Buchten der Nordsee jemals ins
Stocken geraten könnten, ist undenkbar. Durch Fischerei und Schiffahrt ist
für reichen Erwerb in den breiten Massen des Volks gesorgt, und heiße, wage¬
mutige Arbeit sichert das Hinaufsteigen des Reichtums in die Kreise, die sich
über den Tiefen wölben. Nirgends trifft den Reisenden, der das Land betritt,
der Eindruck, als ob es den Leuten, die er sieht, schlecht ginge. Denn nicht
der See allein hat der Holländer es zu verdanken, daß sein Land unter dem
Schimmer der Behäbigkeit ruht.

Während der Zeit ihrer politischen Versumpfung haben die Niederländer
die Muße und das Geld, das sie sonst für Flotte und Heer ausgegeben hätten,
mit Bienenemsigkcit duzn benutzt, die Schätze zu heben, die trotz der scheinbaren
Armut unter der Decke ihres Bodeus schlummerten. Die Niederlande waren
d"n jeher das Land der Kanäle, aber was früher mir für deu mehr oder
Weniger breiten Gürtel des Marschlandes an der Küste charakteristisch war,
das ist im Laufe der letzten Jahrzehnte bis an die deutsche Grenze ausgedehnt
morden. Wo sich ehedem unabsehbare Heide- und Moorflächen dehnten, da
^ mit Hilfe von großen und kleinen Wasserstraßen der Torf abgehoben
worden, und jetzt fahrt man tagelang zwischen fruchtbaren, grünen Weiden
durch, die von zahllosen Rinderherden belebt sind. Kein Wunder, daß Lcmd-
wittschaft und besonders Viehzucht eine Blüte zeigen, wie sie anderswo selten
^'reicht worden ist.


Holland und Deutschland

doch sprachlich sind sie auf die Dauer uicht von höherm Wert als die Werke
Fritz Reuters, der niemals daran gedacht hat, dem Plattdeutschen eine selb¬
ständige Stellung neben dem Hochdeutschen zu verschaffen.

Der Niedergang des holländischen Lebens ist an allen Stellen erkennbar,
wo sein Pulsschlng fühlbar wird, doch vielleicht am »venigsten an dem Punkte,
der am meisten unter dem Auge der Öffentlichkeit liegt. Für den ersten Blick
ohne Zweifel auffällig, aber wer länger zusieht, der wird über den Grund der
Erscheinung bald ius klare kommen. Denn er wird einsehen, daß die Kraft,
die einstmals diesen Staat in die Reihe der Größesteu gehoben hat, Wohl
niedergedrückt, aber niemals hat unterdrückt werden können, Holland liegt an
einer der günstigsten Stellen der ganzen europäischen Küste, an dem Punkte
des Atlantischen Ozeans, wo Ost und West sich scheiden, und sich Nord und
Süd die Hemd reichen. Nicht als ob die Menschen, die hier wohnen, den
Reichtum, deu das Meer in seinen Tiefen birgt, mühelos entgegennehmen
könnten, als ob ihnen der Zins von den Gaben, die das Land erzeugt, und
die vou der Woge weiter getragen wird, ohne den Preis schwerer Arbeit in
den Schoß fiele. Nein aber das ist es gerade, daß an diesen Küsten von
jeher ein Geschlecht wohnt, das mit starken Sehnen und festen Herzen bewehrt
die Arbeit liebt und die Anstrengung aufsucht.

Der Atem des Meeres hat wie vordem »och immer seine Verjüngelide
Kraft, und im Kampf mit der rollenden Woge und dem Wüten des Sturms
feiert hier die Menschheit so frisch wie nur irgendwo anders die ewig wieder¬
kehrende Auferstehung. Die Fülle des Meeres an Fischen ist unerschöpflich,
und das; Handel und Verkehr an diesen Buchten der Nordsee jemals ins
Stocken geraten könnten, ist undenkbar. Durch Fischerei und Schiffahrt ist
für reichen Erwerb in den breiten Massen des Volks gesorgt, und heiße, wage¬
mutige Arbeit sichert das Hinaufsteigen des Reichtums in die Kreise, die sich
über den Tiefen wölben. Nirgends trifft den Reisenden, der das Land betritt,
der Eindruck, als ob es den Leuten, die er sieht, schlecht ginge. Denn nicht
der See allein hat der Holländer es zu verdanken, daß sein Land unter dem
Schimmer der Behäbigkeit ruht.

Während der Zeit ihrer politischen Versumpfung haben die Niederländer
die Muße und das Geld, das sie sonst für Flotte und Heer ausgegeben hätten,
mit Bienenemsigkcit duzn benutzt, die Schätze zu heben, die trotz der scheinbaren
Armut unter der Decke ihres Bodeus schlummerten. Die Niederlande waren
d»n jeher das Land der Kanäle, aber was früher mir für deu mehr oder
Weniger breiten Gürtel des Marschlandes an der Küste charakteristisch war,
das ist im Laufe der letzten Jahrzehnte bis an die deutsche Grenze ausgedehnt
morden. Wo sich ehedem unabsehbare Heide- und Moorflächen dehnten, da
^ mit Hilfe von großen und kleinen Wasserstraßen der Torf abgehoben
worden, und jetzt fahrt man tagelang zwischen fruchtbaren, grünen Weiden
durch, die von zahllosen Rinderherden belebt sind. Kein Wunder, daß Lcmd-
wittschaft und besonders Viehzucht eine Blüte zeigen, wie sie anderswo selten
^'reicht worden ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/159>, abgerufen am 06.06.2024.