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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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was einem Äquivalent ähnlich sähe, Oder würde es dieses Äquivalent ent¬
weder mit der Aufopferung seiner politischen Gleichberechtigung oder mit der
Preisgabe seiner überseeischen Besitzungen zahlen wollen? In beiden Fällen
würde es dann vor dem Kriege aufgeben, was es sich mit dem Kriege zu er¬
halten wünscht. Das ist eben der Fluch dieses Zwitterzustands, nnter dessen
Schutz Holland sich ohne eigne Rüstung geborgen hat, daß seine Umhüllung
im Kriege gerade soviel nützt, wie ein Papiermantel im Gewittersturm, Und
Bertrüge?

Im Kriege fliegen die Paragraphen jedes Ncutralitätsvertrags wie
Papierfetzen in der Luft umher, und Holland konnte es in den, über kurz
oder lang ausbrechenden Kriege passieren, daß es, bevor noch seine Berufung
ans eine dieser leicht beschwingten Federflocken laut geworden wäre, schon so¬
wohl seine heimischen Provinzen wie seine fernen Kolonien von einer der
kriegführenden Mächte besetzt sähe. Denn diese haben während des tobenden
Kampfes Stützpunkte und Hilfsmittel nötig und beim Friedensschluß Fanst-
Pfänder, die sie als Trümpfe ausspielen. Auch hierüber haben die Nieder¬
lande nicht bloß in der Form des Leidens, sondern anch in der des Handelns
soviel Erfahrung gemacht, daß sie mehr als ausreichend ist, sich Belehrung
daraus zu holen.

Da wirklich denkende Köpfe ans der Welt immer noch in der Minderzahl
sind, so ist es nicht auffällig, daß im allgemeinen die Leute in Holland nicht
merken, was um sie herum vorgeht. Die Menschen sitzen an ihren Herdfenern,
und so lange das Wasser kocht und der Schornstein zieht, hats keine Not mit
dem bange machen. Wonach anders sollen nur die Zukunft bemessen als nach
dem, was wir persönlich erlebt haben? So weit unser Gedächtnis zurückreicht,
hats nicht gebrannt, warum sollte es denn jetzt plötzlich einschlagen? Spielen
wir doch nicht mit dem Feuer, das unsern friedlichen Wohnungen verderblich
sein soll; wer sollte seine sengende Glut denn herantragen, daß sie ihre Mauern
zerstöre mitsamt dein krönenden Dachstuhl? -- Nein, ihr spielt nicht mit dem
Feuer, und vor dem blinden Zufall des Blitzes braucht ihr euch auch nicht
zu fürchten, aber das Verhängnis ist es, das euch umlauert, mögt ihr es
nun auf euch herabgezogen haben oder nicht, und die Notwendigkeit, die euch
immer eiserner umklammert, mögt ihr nun selbst ihren Grund gelegt haben
oder andre.

Das ist die Wahrheit, an der nicht vorbei zu kommen ist, und wenn sich
much die Unwissenheit und die Harmlosigkeit gern trösten und sich Hinhalten
lassen mit dein, was sie den Tag über sehen, und wenn sich anch zu ihnen der
menschlich leicht erklärliche Trotz gesellt, der sich vor dem Unabwendbaren
aufbäumt, weil es ihn nach einer Seite drängen würde, die ihm verhaßt ist,
so giebt es doch viele kluge Leute in Holland, die zugleich ehrliche Menschen
sind, die dieser Wahrheit die Ehre geben und sich mit lautem Bekenntnis vor
ihr verbeugen, Biel, vielleicht das meiste hat dazu die Erfahrung beigetragen,
die sie an Deutschland gemacht haben. Nicht bloß die, daß das Deutsche Reich


was einem Äquivalent ähnlich sähe, Oder würde es dieses Äquivalent ent¬
weder mit der Aufopferung seiner politischen Gleichberechtigung oder mit der
Preisgabe seiner überseeischen Besitzungen zahlen wollen? In beiden Fällen
würde es dann vor dem Kriege aufgeben, was es sich mit dem Kriege zu er¬
halten wünscht. Das ist eben der Fluch dieses Zwitterzustands, nnter dessen
Schutz Holland sich ohne eigne Rüstung geborgen hat, daß seine Umhüllung
im Kriege gerade soviel nützt, wie ein Papiermantel im Gewittersturm, Und
Bertrüge?

Im Kriege fliegen die Paragraphen jedes Ncutralitätsvertrags wie
Papierfetzen in der Luft umher, und Holland konnte es in den, über kurz
oder lang ausbrechenden Kriege passieren, daß es, bevor noch seine Berufung
ans eine dieser leicht beschwingten Federflocken laut geworden wäre, schon so¬
wohl seine heimischen Provinzen wie seine fernen Kolonien von einer der
kriegführenden Mächte besetzt sähe. Denn diese haben während des tobenden
Kampfes Stützpunkte und Hilfsmittel nötig und beim Friedensschluß Fanst-
Pfänder, die sie als Trümpfe ausspielen. Auch hierüber haben die Nieder¬
lande nicht bloß in der Form des Leidens, sondern anch in der des Handelns
soviel Erfahrung gemacht, daß sie mehr als ausreichend ist, sich Belehrung
daraus zu holen.

Da wirklich denkende Köpfe ans der Welt immer noch in der Minderzahl
sind, so ist es nicht auffällig, daß im allgemeinen die Leute in Holland nicht
merken, was um sie herum vorgeht. Die Menschen sitzen an ihren Herdfenern,
und so lange das Wasser kocht und der Schornstein zieht, hats keine Not mit
dem bange machen. Wonach anders sollen nur die Zukunft bemessen als nach
dem, was wir persönlich erlebt haben? So weit unser Gedächtnis zurückreicht,
hats nicht gebrannt, warum sollte es denn jetzt plötzlich einschlagen? Spielen
wir doch nicht mit dem Feuer, das unsern friedlichen Wohnungen verderblich
sein soll; wer sollte seine sengende Glut denn herantragen, daß sie ihre Mauern
zerstöre mitsamt dein krönenden Dachstuhl? — Nein, ihr spielt nicht mit dem
Feuer, und vor dem blinden Zufall des Blitzes braucht ihr euch auch nicht
zu fürchten, aber das Verhängnis ist es, das euch umlauert, mögt ihr es
nun auf euch herabgezogen haben oder nicht, und die Notwendigkeit, die euch
immer eiserner umklammert, mögt ihr nun selbst ihren Grund gelegt haben
oder andre.

Das ist die Wahrheit, an der nicht vorbei zu kommen ist, und wenn sich
much die Unwissenheit und die Harmlosigkeit gern trösten und sich Hinhalten
lassen mit dein, was sie den Tag über sehen, und wenn sich anch zu ihnen der
menschlich leicht erklärliche Trotz gesellt, der sich vor dem Unabwendbaren
aufbäumt, weil es ihn nach einer Seite drängen würde, die ihm verhaßt ist,
so giebt es doch viele kluge Leute in Holland, die zugleich ehrliche Menschen
sind, die dieser Wahrheit die Ehre geben und sich mit lautem Bekenntnis vor
ihr verbeugen, Biel, vielleicht das meiste hat dazu die Erfahrung beigetragen,
die sie an Deutschland gemacht haben. Nicht bloß die, daß das Deutsche Reich


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[0163] was einem Äquivalent ähnlich sähe, Oder würde es dieses Äquivalent ent¬ weder mit der Aufopferung seiner politischen Gleichberechtigung oder mit der Preisgabe seiner überseeischen Besitzungen zahlen wollen? In beiden Fällen würde es dann vor dem Kriege aufgeben, was es sich mit dem Kriege zu er¬ halten wünscht. Das ist eben der Fluch dieses Zwitterzustands, nnter dessen Schutz Holland sich ohne eigne Rüstung geborgen hat, daß seine Umhüllung im Kriege gerade soviel nützt, wie ein Papiermantel im Gewittersturm, Und Bertrüge? Im Kriege fliegen die Paragraphen jedes Ncutralitätsvertrags wie Papierfetzen in der Luft umher, und Holland konnte es in den, über kurz oder lang ausbrechenden Kriege passieren, daß es, bevor noch seine Berufung ans eine dieser leicht beschwingten Federflocken laut geworden wäre, schon so¬ wohl seine heimischen Provinzen wie seine fernen Kolonien von einer der kriegführenden Mächte besetzt sähe. Denn diese haben während des tobenden Kampfes Stützpunkte und Hilfsmittel nötig und beim Friedensschluß Fanst- Pfänder, die sie als Trümpfe ausspielen. Auch hierüber haben die Nieder¬ lande nicht bloß in der Form des Leidens, sondern anch in der des Handelns soviel Erfahrung gemacht, daß sie mehr als ausreichend ist, sich Belehrung daraus zu holen. Da wirklich denkende Köpfe ans der Welt immer noch in der Minderzahl sind, so ist es nicht auffällig, daß im allgemeinen die Leute in Holland nicht merken, was um sie herum vorgeht. Die Menschen sitzen an ihren Herdfenern, und so lange das Wasser kocht und der Schornstein zieht, hats keine Not mit dem bange machen. Wonach anders sollen nur die Zukunft bemessen als nach dem, was wir persönlich erlebt haben? So weit unser Gedächtnis zurückreicht, hats nicht gebrannt, warum sollte es denn jetzt plötzlich einschlagen? Spielen wir doch nicht mit dem Feuer, das unsern friedlichen Wohnungen verderblich sein soll; wer sollte seine sengende Glut denn herantragen, daß sie ihre Mauern zerstöre mitsamt dein krönenden Dachstuhl? — Nein, ihr spielt nicht mit dem Feuer, und vor dem blinden Zufall des Blitzes braucht ihr euch auch nicht zu fürchten, aber das Verhängnis ist es, das euch umlauert, mögt ihr es nun auf euch herabgezogen haben oder nicht, und die Notwendigkeit, die euch immer eiserner umklammert, mögt ihr nun selbst ihren Grund gelegt haben oder andre. Das ist die Wahrheit, an der nicht vorbei zu kommen ist, und wenn sich much die Unwissenheit und die Harmlosigkeit gern trösten und sich Hinhalten lassen mit dein, was sie den Tag über sehen, und wenn sich anch zu ihnen der menschlich leicht erklärliche Trotz gesellt, der sich vor dem Unabwendbaren aufbäumt, weil es ihn nach einer Seite drängen würde, die ihm verhaßt ist, so giebt es doch viele kluge Leute in Holland, die zugleich ehrliche Menschen sind, die dieser Wahrheit die Ehre geben und sich mit lautem Bekenntnis vor ihr verbeugen, Biel, vielleicht das meiste hat dazu die Erfahrung beigetragen, die sie an Deutschland gemacht haben. Nicht bloß die, daß das Deutsche Reich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/163>, abgerufen am 06.06.2024.