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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Das britische Parlament

die alte, ohne das; über ein Eindämme" des Redestroms geklagt werden könnte.
Geredet wird immer noch genug, das Volk über die Thätigkeit seiner Erwählten
aufzuklären.

In den letzten Jahren ist es üblich geworden, große politische Reden
weniger vor dem Hause als vor einer Volksversammlung zu halten, ein Ge¬
brauch, der viel für sich hat. Abgesehen von der Entlastung, die dein Unter¬
hause zu teil wird, gewinnt der Redner den Vorteil, daß er im Mittelpunkte
des Ganzen steht, und seine Ausführungen nicht der Abschwächung durch eine
unmittelbar darauf folgende Entgegnung eines ebenbürtigen Gegners unter¬
liegen. Für solche taktischen Vorteile ist der Politiker nicht blind in einer
Zeit, wo alles darauf ankommt, den Wähler bei der Fahne zu halten. Es
ist jetzt ganz gewöhnlich, daß die Parteihäuptcr nicht bloß in der Wahl¬
bewegung -- das haben sie immer gethan --, sondern auch zu andern Zeiten
ihre Wähler ins Vertrauen ziehn und dabei Erklärungen abgeben, die früher
dem Parlament allein vorbehalten waren. Früher konnte man den Gang
der Politik aus den Parlamentberichten und den Blaubüchern allein verfolgen,
jetzt nicht mehr.

So einseitig die Reden und Beschlüsse dieser nur von einer Partei be-
rufnen und beschickten Versammlungen sein mögen, ihre politische Bedeutung
kann man nicht verkennen. Trotz des demokratischen Unterbaus, deu das
Unterhaus jetzt hat, ist die britische Parlamcntsregierung noch immer aristo¬
kratisch, und diese Versammlungen liefern einen trefflichen Beweis, wie geschickt
die Aristokratie es versteht, sich den veränderten Verhältnissen anzupassen und
sie auszunützen, um sich zu behaupten. An den öffentlichen Versammlungen,
die außerhalb der Wahlzeit gehalten werden, beteiligen sich Mitglieder des
Oberhauses ebenso eifrig wie die des Unterhauses. Es ist bei ihnen kein
Mangel an Talenten, die in der Gewandtheit, volkstümlich zu reden, den
Radikalen nicht nachstehn. Im allgemeinen weiß das Volk wenig vom Ober¬
hause, und was ihm von den radikalen Wortführern aufgetischt wird, pflegt
bloß das Ungünstige zu sein. Dem kann durch nichts besser entgegen gearbeitet
werden, als wenn die Häupter des Adels selbst in die Redeschlacht der Volks¬
versammlung ziehn. Es schmeichelt den Leuten, und ihnen ermöglicht es die
engere persönliche Fühlung mit der Masse, die so wichtig ist in der Ver¬
teidigung ihrer Stellung gegen den radikalen Ansturm. Mit dem Finger am
Pulse der öffentlichen Meinung wissen sie genau, wie weit sie in ihrem Wider¬
stande gegen eine feindliche Mehrheit im Unterhause gehn dürfen. Einen
eigentlichen Widerstand werden sie freilich nur einer liberal-radikalen Regierung
leisten, mit einer konservativen sind sie ans naheliegenden Gründen immer auf
gutem Fuße.

Den Radikalen gilt das Oberhaus nicht mit Unrecht als ein Hemmschuh,
der aus dem Wege geräumt werden muß. Aber die Herren, deren Namen im
goldnen Buche stehn, lassen sich des radikalen Geschreis wegen keine grauen
Haare wachsen. Für eine Umwälzung wie die Abschaffung des Oberhauses


Das britische Parlament

die alte, ohne das; über ein Eindämme» des Redestroms geklagt werden könnte.
Geredet wird immer noch genug, das Volk über die Thätigkeit seiner Erwählten
aufzuklären.

In den letzten Jahren ist es üblich geworden, große politische Reden
weniger vor dem Hause als vor einer Volksversammlung zu halten, ein Ge¬
brauch, der viel für sich hat. Abgesehen von der Entlastung, die dein Unter¬
hause zu teil wird, gewinnt der Redner den Vorteil, daß er im Mittelpunkte
des Ganzen steht, und seine Ausführungen nicht der Abschwächung durch eine
unmittelbar darauf folgende Entgegnung eines ebenbürtigen Gegners unter¬
liegen. Für solche taktischen Vorteile ist der Politiker nicht blind in einer
Zeit, wo alles darauf ankommt, den Wähler bei der Fahne zu halten. Es
ist jetzt ganz gewöhnlich, daß die Parteihäuptcr nicht bloß in der Wahl¬
bewegung — das haben sie immer gethan —, sondern auch zu andern Zeiten
ihre Wähler ins Vertrauen ziehn und dabei Erklärungen abgeben, die früher
dem Parlament allein vorbehalten waren. Früher konnte man den Gang
der Politik aus den Parlamentberichten und den Blaubüchern allein verfolgen,
jetzt nicht mehr.

So einseitig die Reden und Beschlüsse dieser nur von einer Partei be-
rufnen und beschickten Versammlungen sein mögen, ihre politische Bedeutung
kann man nicht verkennen. Trotz des demokratischen Unterbaus, deu das
Unterhaus jetzt hat, ist die britische Parlamcntsregierung noch immer aristo¬
kratisch, und diese Versammlungen liefern einen trefflichen Beweis, wie geschickt
die Aristokratie es versteht, sich den veränderten Verhältnissen anzupassen und
sie auszunützen, um sich zu behaupten. An den öffentlichen Versammlungen,
die außerhalb der Wahlzeit gehalten werden, beteiligen sich Mitglieder des
Oberhauses ebenso eifrig wie die des Unterhauses. Es ist bei ihnen kein
Mangel an Talenten, die in der Gewandtheit, volkstümlich zu reden, den
Radikalen nicht nachstehn. Im allgemeinen weiß das Volk wenig vom Ober¬
hause, und was ihm von den radikalen Wortführern aufgetischt wird, pflegt
bloß das Ungünstige zu sein. Dem kann durch nichts besser entgegen gearbeitet
werden, als wenn die Häupter des Adels selbst in die Redeschlacht der Volks¬
versammlung ziehn. Es schmeichelt den Leuten, und ihnen ermöglicht es die
engere persönliche Fühlung mit der Masse, die so wichtig ist in der Ver¬
teidigung ihrer Stellung gegen den radikalen Ansturm. Mit dem Finger am
Pulse der öffentlichen Meinung wissen sie genau, wie weit sie in ihrem Wider¬
stande gegen eine feindliche Mehrheit im Unterhause gehn dürfen. Einen
eigentlichen Widerstand werden sie freilich nur einer liberal-radikalen Regierung
leisten, mit einer konservativen sind sie ans naheliegenden Gründen immer auf
gutem Fuße.

Den Radikalen gilt das Oberhaus nicht mit Unrecht als ein Hemmschuh,
der aus dem Wege geräumt werden muß. Aber die Herren, deren Namen im
goldnen Buche stehn, lassen sich des radikalen Geschreis wegen keine grauen
Haare wachsen. Für eine Umwälzung wie die Abschaffung des Oberhauses


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[0172] Das britische Parlament die alte, ohne das; über ein Eindämme» des Redestroms geklagt werden könnte. Geredet wird immer noch genug, das Volk über die Thätigkeit seiner Erwählten aufzuklären. In den letzten Jahren ist es üblich geworden, große politische Reden weniger vor dem Hause als vor einer Volksversammlung zu halten, ein Ge¬ brauch, der viel für sich hat. Abgesehen von der Entlastung, die dein Unter¬ hause zu teil wird, gewinnt der Redner den Vorteil, daß er im Mittelpunkte des Ganzen steht, und seine Ausführungen nicht der Abschwächung durch eine unmittelbar darauf folgende Entgegnung eines ebenbürtigen Gegners unter¬ liegen. Für solche taktischen Vorteile ist der Politiker nicht blind in einer Zeit, wo alles darauf ankommt, den Wähler bei der Fahne zu halten. Es ist jetzt ganz gewöhnlich, daß die Parteihäuptcr nicht bloß in der Wahl¬ bewegung — das haben sie immer gethan —, sondern auch zu andern Zeiten ihre Wähler ins Vertrauen ziehn und dabei Erklärungen abgeben, die früher dem Parlament allein vorbehalten waren. Früher konnte man den Gang der Politik aus den Parlamentberichten und den Blaubüchern allein verfolgen, jetzt nicht mehr. So einseitig die Reden und Beschlüsse dieser nur von einer Partei be- rufnen und beschickten Versammlungen sein mögen, ihre politische Bedeutung kann man nicht verkennen. Trotz des demokratischen Unterbaus, deu das Unterhaus jetzt hat, ist die britische Parlamcntsregierung noch immer aristo¬ kratisch, und diese Versammlungen liefern einen trefflichen Beweis, wie geschickt die Aristokratie es versteht, sich den veränderten Verhältnissen anzupassen und sie auszunützen, um sich zu behaupten. An den öffentlichen Versammlungen, die außerhalb der Wahlzeit gehalten werden, beteiligen sich Mitglieder des Oberhauses ebenso eifrig wie die des Unterhauses. Es ist bei ihnen kein Mangel an Talenten, die in der Gewandtheit, volkstümlich zu reden, den Radikalen nicht nachstehn. Im allgemeinen weiß das Volk wenig vom Ober¬ hause, und was ihm von den radikalen Wortführern aufgetischt wird, pflegt bloß das Ungünstige zu sein. Dem kann durch nichts besser entgegen gearbeitet werden, als wenn die Häupter des Adels selbst in die Redeschlacht der Volks¬ versammlung ziehn. Es schmeichelt den Leuten, und ihnen ermöglicht es die engere persönliche Fühlung mit der Masse, die so wichtig ist in der Ver¬ teidigung ihrer Stellung gegen den radikalen Ansturm. Mit dem Finger am Pulse der öffentlichen Meinung wissen sie genau, wie weit sie in ihrem Wider¬ stande gegen eine feindliche Mehrheit im Unterhause gehn dürfen. Einen eigentlichen Widerstand werden sie freilich nur einer liberal-radikalen Regierung leisten, mit einer konservativen sind sie ans naheliegenden Gründen immer auf gutem Fuße. Den Radikalen gilt das Oberhaus nicht mit Unrecht als ein Hemmschuh, der aus dem Wege geräumt werden muß. Aber die Herren, deren Namen im goldnen Buche stehn, lassen sich des radikalen Geschreis wegen keine grauen Haare wachsen. Für eine Umwälzung wie die Abschaffung des Oberhauses

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/172>, abgerufen am 27.05.2024.