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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Das britische Parlament

Acker Landes besitzen, eine lebenslängliche Peerswürde zu verleihen, wie es
schon mit den Lords des obersten Gerichtshofes geschieht. Anklang haben
solche Vorschläge nicht gefunden. Bei jeder Gelegenheit schimpft John Bull
ans sein Oberhaus, mit Recht und mit Unrecht, Doch solange sich die Lords
so vorsichtig benehmen wie bisher, hat es mit einer Verbesserung gute Weile,
Sie sind keine dem Unterhause gleichwertige Macht, wie ein vollkommnes
Oberhaus es sein sollte, aber sie beiseite zu schieben, ist das Unterhaus zu
schwach. Als Körperschaft ist ihr rechtlicher Einfluß stark beschnitten, aber
ihrem gesellschaftlichen Einflüsse können die Gemeinen nichts entgegensetzen.

In den Zeiten vor der großen Reform bot das Unterhaus in seiner Zu¬
sammensetzung ein dein Oberhause ähnliches Bild. Der Unterschied zwischen
Whigs und Tories war nicht sehr groß, wenn wir sie mit den Parteien unsrer
Tage vergleichen, und gesellschaftlich gehörten beide Häuser derselben Schicht
an. Beide Häuser haben eine Wandlung durchgemacht, seitdem die alten Par¬
teien durch Liberale und Konservative abgelöst worden sind. Das Unterhaus
ist jetzt durchsetzt mit Angehörigen einer Klasse, die nicht mit dem Boden ver¬
wachsen ist, wie die Hauptmasse der alten Parteien; es ist nicht mehr so
gleichartig, seine Mitglieder haben nicht mehr wie früher alle dieselbe auf dem
Studium der Alten beruhende Erziehung genossen, die sich gern in Anführungen
aus Horaz und Cieero kundgab, sie wurzeln nicht mehr in denselben An¬
schauungen, Im Oberhause ist noch die alte Gemeinsamkeit der Anschauungen,
und neue Mitglieder fügen sich sehr bald ein. Die liberalen Lords von
Gladstones Gnaden haben die konservativen Reihen nur noch verstärkt, Whigs
und Tories sind hier in der neuen konservativen Partei aufgegangen, oder
gehören doch den liberalen Unionisten an. Auf jeden liberalen Lord kommen
mindestens zehn Konservative. Der Herzog von Devonshire, das Haupt der
alten Whigfamilie Cavendish, sitzt auf derselben Seite, in derselben Regierung,
wie der Erztorh Salisbury, und der Liberalismus Roseberhs ist zu mild, als
daß er vor den Augen der Radikalen Gnade finden könnte. Als die beiden
großen Parteien im Oberhause noch weniger ungleich waren, war es möglich,
durch Schaffung neuer Titel eine Mehrheit für eine Partei zu erzeugen. Jetzt
verbietet sich dergleichen durch die Übermacht der Konservativen, die nur durch
einen Pcersschnb von fünfhundert Liberalen gebrochen werden könnte.

Nun braucht mau sich nur zu erinnern, daß noch vor siebzig Jahren das
Unterhaus zur Hülste aus Geschöpfen einiger weniger Adelsgeschlechter bestand,
und auch ein großer Teil des Nestes und dem Adel eng verbunden war. Bei
der Langsamkeit, mit der sich alle Verändrungen in Großbritannien vollzieh",
wäre es wunderbar, wenn in diesen paar Menschenaltern der maßgebende Ein¬
fluß des Adels verschwunden sein sollte. Ein Blick auf die Mitglieder des
Unterhauses lehrt, daß der Adel dort noch immer eine Macht ist. Das un-
reformierte Unterhaus, das zur Mitgliedschaft den Nachweis eines bestimmten
Einkommens verlangte, konnte nur aus den obern Klassen gebildet werden;
das neue gehört, ungeachtet seiner Durchsetzung mit Leuten aus andern Klassen,


Das britische Parlament

Acker Landes besitzen, eine lebenslängliche Peerswürde zu verleihen, wie es
schon mit den Lords des obersten Gerichtshofes geschieht. Anklang haben
solche Vorschläge nicht gefunden. Bei jeder Gelegenheit schimpft John Bull
ans sein Oberhaus, mit Recht und mit Unrecht, Doch solange sich die Lords
so vorsichtig benehmen wie bisher, hat es mit einer Verbesserung gute Weile,
Sie sind keine dem Unterhause gleichwertige Macht, wie ein vollkommnes
Oberhaus es sein sollte, aber sie beiseite zu schieben, ist das Unterhaus zu
schwach. Als Körperschaft ist ihr rechtlicher Einfluß stark beschnitten, aber
ihrem gesellschaftlichen Einflüsse können die Gemeinen nichts entgegensetzen.

In den Zeiten vor der großen Reform bot das Unterhaus in seiner Zu¬
sammensetzung ein dein Oberhause ähnliches Bild. Der Unterschied zwischen
Whigs und Tories war nicht sehr groß, wenn wir sie mit den Parteien unsrer
Tage vergleichen, und gesellschaftlich gehörten beide Häuser derselben Schicht
an. Beide Häuser haben eine Wandlung durchgemacht, seitdem die alten Par¬
teien durch Liberale und Konservative abgelöst worden sind. Das Unterhaus
ist jetzt durchsetzt mit Angehörigen einer Klasse, die nicht mit dem Boden ver¬
wachsen ist, wie die Hauptmasse der alten Parteien; es ist nicht mehr so
gleichartig, seine Mitglieder haben nicht mehr wie früher alle dieselbe auf dem
Studium der Alten beruhende Erziehung genossen, die sich gern in Anführungen
aus Horaz und Cieero kundgab, sie wurzeln nicht mehr in denselben An¬
schauungen, Im Oberhause ist noch die alte Gemeinsamkeit der Anschauungen,
und neue Mitglieder fügen sich sehr bald ein. Die liberalen Lords von
Gladstones Gnaden haben die konservativen Reihen nur noch verstärkt, Whigs
und Tories sind hier in der neuen konservativen Partei aufgegangen, oder
gehören doch den liberalen Unionisten an. Auf jeden liberalen Lord kommen
mindestens zehn Konservative. Der Herzog von Devonshire, das Haupt der
alten Whigfamilie Cavendish, sitzt auf derselben Seite, in derselben Regierung,
wie der Erztorh Salisbury, und der Liberalismus Roseberhs ist zu mild, als
daß er vor den Augen der Radikalen Gnade finden könnte. Als die beiden
großen Parteien im Oberhause noch weniger ungleich waren, war es möglich,
durch Schaffung neuer Titel eine Mehrheit für eine Partei zu erzeugen. Jetzt
verbietet sich dergleichen durch die Übermacht der Konservativen, die nur durch
einen Pcersschnb von fünfhundert Liberalen gebrochen werden könnte.

Nun braucht mau sich nur zu erinnern, daß noch vor siebzig Jahren das
Unterhaus zur Hülste aus Geschöpfen einiger weniger Adelsgeschlechter bestand,
und auch ein großer Teil des Nestes und dem Adel eng verbunden war. Bei
der Langsamkeit, mit der sich alle Verändrungen in Großbritannien vollzieh»,
wäre es wunderbar, wenn in diesen paar Menschenaltern der maßgebende Ein¬
fluß des Adels verschwunden sein sollte. Ein Blick auf die Mitglieder des
Unterhauses lehrt, daß der Adel dort noch immer eine Macht ist. Das un-
reformierte Unterhaus, das zur Mitgliedschaft den Nachweis eines bestimmten
Einkommens verlangte, konnte nur aus den obern Klassen gebildet werden;
das neue gehört, ungeachtet seiner Durchsetzung mit Leuten aus andern Klassen,


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[0174] Das britische Parlament Acker Landes besitzen, eine lebenslängliche Peerswürde zu verleihen, wie es schon mit den Lords des obersten Gerichtshofes geschieht. Anklang haben solche Vorschläge nicht gefunden. Bei jeder Gelegenheit schimpft John Bull ans sein Oberhaus, mit Recht und mit Unrecht, Doch solange sich die Lords so vorsichtig benehmen wie bisher, hat es mit einer Verbesserung gute Weile, Sie sind keine dem Unterhause gleichwertige Macht, wie ein vollkommnes Oberhaus es sein sollte, aber sie beiseite zu schieben, ist das Unterhaus zu schwach. Als Körperschaft ist ihr rechtlicher Einfluß stark beschnitten, aber ihrem gesellschaftlichen Einflüsse können die Gemeinen nichts entgegensetzen. In den Zeiten vor der großen Reform bot das Unterhaus in seiner Zu¬ sammensetzung ein dein Oberhause ähnliches Bild. Der Unterschied zwischen Whigs und Tories war nicht sehr groß, wenn wir sie mit den Parteien unsrer Tage vergleichen, und gesellschaftlich gehörten beide Häuser derselben Schicht an. Beide Häuser haben eine Wandlung durchgemacht, seitdem die alten Par¬ teien durch Liberale und Konservative abgelöst worden sind. Das Unterhaus ist jetzt durchsetzt mit Angehörigen einer Klasse, die nicht mit dem Boden ver¬ wachsen ist, wie die Hauptmasse der alten Parteien; es ist nicht mehr so gleichartig, seine Mitglieder haben nicht mehr wie früher alle dieselbe auf dem Studium der Alten beruhende Erziehung genossen, die sich gern in Anführungen aus Horaz und Cieero kundgab, sie wurzeln nicht mehr in denselben An¬ schauungen, Im Oberhause ist noch die alte Gemeinsamkeit der Anschauungen, und neue Mitglieder fügen sich sehr bald ein. Die liberalen Lords von Gladstones Gnaden haben die konservativen Reihen nur noch verstärkt, Whigs und Tories sind hier in der neuen konservativen Partei aufgegangen, oder gehören doch den liberalen Unionisten an. Auf jeden liberalen Lord kommen mindestens zehn Konservative. Der Herzog von Devonshire, das Haupt der alten Whigfamilie Cavendish, sitzt auf derselben Seite, in derselben Regierung, wie der Erztorh Salisbury, und der Liberalismus Roseberhs ist zu mild, als daß er vor den Augen der Radikalen Gnade finden könnte. Als die beiden großen Parteien im Oberhause noch weniger ungleich waren, war es möglich, durch Schaffung neuer Titel eine Mehrheit für eine Partei zu erzeugen. Jetzt verbietet sich dergleichen durch die Übermacht der Konservativen, die nur durch einen Pcersschnb von fünfhundert Liberalen gebrochen werden könnte. Nun braucht mau sich nur zu erinnern, daß noch vor siebzig Jahren das Unterhaus zur Hülste aus Geschöpfen einiger weniger Adelsgeschlechter bestand, und auch ein großer Teil des Nestes und dem Adel eng verbunden war. Bei der Langsamkeit, mit der sich alle Verändrungen in Großbritannien vollzieh», wäre es wunderbar, wenn in diesen paar Menschenaltern der maßgebende Ein¬ fluß des Adels verschwunden sein sollte. Ein Blick auf die Mitglieder des Unterhauses lehrt, daß der Adel dort noch immer eine Macht ist. Das un- reformierte Unterhaus, das zur Mitgliedschaft den Nachweis eines bestimmten Einkommens verlangte, konnte nur aus den obern Klassen gebildet werden; das neue gehört, ungeachtet seiner Durchsetzung mit Leuten aus andern Klassen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/174>, abgerufen am 06.06.2024.