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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Das britische Parlament

Nur auf eine ganz kurze Zeit hat einmal der Adel das Heft aus der Hand
verloren, das war, als das Rumpfparlament schaltete und waltete, und als
Oliver Cromwell unter dem Namen eines Protektors den Thron einnahm.
Das Rumpfparlament ist kein Glanzpunkt in der britischen Geschichte, Crom¬
well hat gezeigt, was die Herrschaft eines Einzelnen much in Großbritannien
leisten kaun. Ein König im germanischen Sinne konnte Cromwell nicht sei".
Seine Stellung war am meisten verwandt mit der ältern griechischen Tyrannis,
die sich durchaus nicht deckt mit dem, was wir jetzt Tyrannei nennen. Will
man ihn mit dein erste" Dionysius von Syrakus vergleichen, so kann man
auch ohne große Mühe die alte Geschichte zur Vergleichung mit der Adels¬
herrschaft Großbritanniens heranziehn. Die römischen Patrizier böten Anhalt¬
punkte genng.

Ewig währt nichts, und so wenig wie das britische Parlament durch die
Jahrhunderte ohne Veränderung gegangen ist, so wenig ist seine Entwicklung
als abgeschlossen anzusehen. Von den Forderungen der Chartisten sind bis
jetzt erst zwei erfüllt, die geheime Abstimmung und die Abschaffung des Ein-
kommennachwcises der Parlamentsmitglieder, Jährliche Parlamente verlangt
niemand mehr; eine so häufige Wiederholung der Wahlaufreguug würde un¬
erträglich sein, Besoldung der Abgeordneten lind gleiche Wahlkreise, sowie
die neuere Forderung der Aufhebung des mehrfachen Stimmrechts gehören
noch zu den frommen Wünschen, Nur das allgemeine Stimmrecht ist der Er¬
füllung ziemlich nahe gekommen. Von 5 Prozent vor 1832 sind die Wähler
erst auf 16 Prozent und allmählich auf 84 Prozent der erwachsenen männ¬
lichen Bevölkerung gestiegen. Auch die übrigen 16 Prozent werden über
kurz oder lang das Stimmrecht erhalten. Aber ein Ende der Adelsherrschaft
wird das nicht herbeiführen. Der weise Wähler hat noch immer ans den
Köder angebissen, den die Großen ihm angeboten haben, und an Köder
werden diese es auch in Zukunft nicht fehlen lassen. Der Brite läßt sich viel
gefallen.

Wenn die Adels Herrschaft fällt, so wird es weniger durch die Stärke ihrer
Gegner sein , als durch ihre Fehler, Ein starkes Königtum hatte ihr längst
ein Ende gemacht. Doch das giebts in Großbritannien nicht -- oder wenigstens
noch nicht.




Das britische Parlament

Nur auf eine ganz kurze Zeit hat einmal der Adel das Heft aus der Hand
verloren, das war, als das Rumpfparlament schaltete und waltete, und als
Oliver Cromwell unter dem Namen eines Protektors den Thron einnahm.
Das Rumpfparlament ist kein Glanzpunkt in der britischen Geschichte, Crom¬
well hat gezeigt, was die Herrschaft eines Einzelnen much in Großbritannien
leisten kaun. Ein König im germanischen Sinne konnte Cromwell nicht sei».
Seine Stellung war am meisten verwandt mit der ältern griechischen Tyrannis,
die sich durchaus nicht deckt mit dem, was wir jetzt Tyrannei nennen. Will
man ihn mit dein erste» Dionysius von Syrakus vergleichen, so kann man
auch ohne große Mühe die alte Geschichte zur Vergleichung mit der Adels¬
herrschaft Großbritanniens heranziehn. Die römischen Patrizier böten Anhalt¬
punkte genng.

Ewig währt nichts, und so wenig wie das britische Parlament durch die
Jahrhunderte ohne Veränderung gegangen ist, so wenig ist seine Entwicklung
als abgeschlossen anzusehen. Von den Forderungen der Chartisten sind bis
jetzt erst zwei erfüllt, die geheime Abstimmung und die Abschaffung des Ein-
kommennachwcises der Parlamentsmitglieder, Jährliche Parlamente verlangt
niemand mehr; eine so häufige Wiederholung der Wahlaufreguug würde un¬
erträglich sein, Besoldung der Abgeordneten lind gleiche Wahlkreise, sowie
die neuere Forderung der Aufhebung des mehrfachen Stimmrechts gehören
noch zu den frommen Wünschen, Nur das allgemeine Stimmrecht ist der Er¬
füllung ziemlich nahe gekommen. Von 5 Prozent vor 1832 sind die Wähler
erst auf 16 Prozent und allmählich auf 84 Prozent der erwachsenen männ¬
lichen Bevölkerung gestiegen. Auch die übrigen 16 Prozent werden über
kurz oder lang das Stimmrecht erhalten. Aber ein Ende der Adelsherrschaft
wird das nicht herbeiführen. Der weise Wähler hat noch immer ans den
Köder angebissen, den die Großen ihm angeboten haben, und an Köder
werden diese es auch in Zukunft nicht fehlen lassen. Der Brite läßt sich viel
gefallen.

Wenn die Adels Herrschaft fällt, so wird es weniger durch die Stärke ihrer
Gegner sein , als durch ihre Fehler, Ein starkes Königtum hatte ihr längst
ein Ende gemacht. Doch das giebts in Großbritannien nicht — oder wenigstens
noch nicht.




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[0176] Das britische Parlament Nur auf eine ganz kurze Zeit hat einmal der Adel das Heft aus der Hand verloren, das war, als das Rumpfparlament schaltete und waltete, und als Oliver Cromwell unter dem Namen eines Protektors den Thron einnahm. Das Rumpfparlament ist kein Glanzpunkt in der britischen Geschichte, Crom¬ well hat gezeigt, was die Herrschaft eines Einzelnen much in Großbritannien leisten kaun. Ein König im germanischen Sinne konnte Cromwell nicht sei». Seine Stellung war am meisten verwandt mit der ältern griechischen Tyrannis, die sich durchaus nicht deckt mit dem, was wir jetzt Tyrannei nennen. Will man ihn mit dein erste» Dionysius von Syrakus vergleichen, so kann man auch ohne große Mühe die alte Geschichte zur Vergleichung mit der Adels¬ herrschaft Großbritanniens heranziehn. Die römischen Patrizier böten Anhalt¬ punkte genng. Ewig währt nichts, und so wenig wie das britische Parlament durch die Jahrhunderte ohne Veränderung gegangen ist, so wenig ist seine Entwicklung als abgeschlossen anzusehen. Von den Forderungen der Chartisten sind bis jetzt erst zwei erfüllt, die geheime Abstimmung und die Abschaffung des Ein- kommennachwcises der Parlamentsmitglieder, Jährliche Parlamente verlangt niemand mehr; eine so häufige Wiederholung der Wahlaufreguug würde un¬ erträglich sein, Besoldung der Abgeordneten lind gleiche Wahlkreise, sowie die neuere Forderung der Aufhebung des mehrfachen Stimmrechts gehören noch zu den frommen Wünschen, Nur das allgemeine Stimmrecht ist der Er¬ füllung ziemlich nahe gekommen. Von 5 Prozent vor 1832 sind die Wähler erst auf 16 Prozent und allmählich auf 84 Prozent der erwachsenen männ¬ lichen Bevölkerung gestiegen. Auch die übrigen 16 Prozent werden über kurz oder lang das Stimmrecht erhalten. Aber ein Ende der Adelsherrschaft wird das nicht herbeiführen. Der weise Wähler hat noch immer ans den Köder angebissen, den die Großen ihm angeboten haben, und an Köder werden diese es auch in Zukunft nicht fehlen lassen. Der Brite läßt sich viel gefallen. Wenn die Adels Herrschaft fällt, so wird es weniger durch die Stärke ihrer Gegner sein , als durch ihre Fehler, Ein starkes Königtum hatte ihr längst ein Ende gemacht. Doch das giebts in Großbritannien nicht — oder wenigstens noch nicht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/176>, abgerufen am 12.05.2024.