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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Die Rente>lomsat!ein Südamerikas

kleinen Staat gegen mächtige Nachbarn zu schützen, da breitet sie die schlitzenden
Fittiche über ihn. Und auch die Mission rührt sich immer lebhafter im Dienst
der nationalen Sache. So wurde unlängst der Grundstein zu dem ersten
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der national-brasilisch-protestantischen Kirche, in der Stadt Rio Grande do Sui
gelegt. Der Bau soll mit Hilfe der nordamerikanischen Glaubensbrüder voll¬
endet werden. Zugegen waren als gelndne Gäste der Bischof dieser Kirche,
Rep> Lucien Lee Kiusolving, der Vertreter der inethodistisch-bischöflichen Kirche
Dr. Greenman aus Buenos Aires und der Vertreter der amerikanischen Bibel¬
gesellschaft Tncker aus Rio Janeiro -- lauter gut angelsächsische Namen. Und
wie die Namen, so ist anch die Politik dieser frommen Herren. Ein deutscher
Reiseprediger war auch dabei, der in einer Schilderung des Festes und der
Festfahrt in politisch unkluger Freude über diesen Triumph der evangelischen
Sache schwimmt. Ja, wir Deutschen sind das Salz der Erde. Wenn nur
dieses Salz nicht dumm wird! Ganz besondres Gewicht wird man aber jeden¬
falls von nordamerikanischer Seite auf die Gewinnung der bestehenden rcn-
tabeln Eisenbahnen und den Bau neuer Linien legen, wie schon angedeutet
worden ist. Dieses wichtigste Kolonisationsmittel der Neuzeit wird erst die wahre
Erschließung der unermeßlichen Binnenländer Südamerikas herbeiführen. Die
kapitalistische Kolonisation wird dann ihre Orgien feiern. Für die eigentliche
Kulturarbeit sind der biedre Deutsche, der Romane und der Slawe gerade recht,
wenn mir der Hauptgewinn in die Taschen der großen Trnstherren fließt. DaS
Regieren wird dann ebenfalls der Jankee besorgen.

In den lateinischen Republiken giebt man sich keinen Täuschungen darüber
hin, was eine Übertragung der panamerikanischen Idee in die Wirklichkeit für
diese bedeuten würde. Bei dem jüngst zu Madrid abgehaltnen spanisch-ameri¬
kanischen Kongreß wurde die Solidarität sämtlicher Krevleustaateu gegenüber
der amerikanischen Vormacht nachdrücklich betont. Der Vertreter Mexikos er¬
klärte im Namen von dreizehn mittel- und südamerikanischen Staaten, daß bei
der expansiven Politik der United States ein Bündnis aller lateinischen
Republiken gegen den Imperialismus für diese eine Lebensfrage sei, und
empfahl für die amerikanischen Staaten ein obligatorisches Schiedsgericht
bei allen internationalen Zwistigkeiten. Einstweilen überwiegt jedoch das
Trennende vor dem Einigenden. Der Druck vom Norden muß noch wesentlich
empfindlicher wirken, wenn sich die bedrohten Gemeinwesen zusammenschließen
sollen, und es ist wahrscheinlich, daß sich mehr Politiker finden werden, die
im Redekampfe gegen das moderne Makedonien nach den Lorbeeren des
Demosthenes trachten, als solche, die ans die Walstatt eines künftigen
Chäroncia hinausziehn. Was aber sagt bisher die europäische Diplomatie z"
den Absichten der Union? Sie erkannte diese bei der Haager Friedenskonferenz
stillschweigend als die offizielle Vertreterin der gesnmtamerikanischen Interessen
an. Portugal, Rumänien, Serbien, ja sogar China erhielten Sitz und Stimme
im Kongreß, während Brasilien, Argentinien, Chile, Mexiko keine Einladung


Die Rente>lomsat!ein Südamerikas

kleinen Staat gegen mächtige Nachbarn zu schützen, da breitet sie die schlitzenden
Fittiche über ihn. Und auch die Mission rührt sich immer lebhafter im Dienst
der nationalen Sache. So wurde unlängst der Grundstein zu dem ersten
Gotteshaus der Dg'rssg, Z?rot>68tAnt>v ^pi8vopci.l av Rio (Zi'curäö alö 3u1> d, h,
der national-brasilisch-protestantischen Kirche, in der Stadt Rio Grande do Sui
gelegt. Der Bau soll mit Hilfe der nordamerikanischen Glaubensbrüder voll¬
endet werden. Zugegen waren als gelndne Gäste der Bischof dieser Kirche,
Rep> Lucien Lee Kiusolving, der Vertreter der inethodistisch-bischöflichen Kirche
Dr. Greenman aus Buenos Aires und der Vertreter der amerikanischen Bibel¬
gesellschaft Tncker aus Rio Janeiro — lauter gut angelsächsische Namen. Und
wie die Namen, so ist anch die Politik dieser frommen Herren. Ein deutscher
Reiseprediger war auch dabei, der in einer Schilderung des Festes und der
Festfahrt in politisch unkluger Freude über diesen Triumph der evangelischen
Sache schwimmt. Ja, wir Deutschen sind das Salz der Erde. Wenn nur
dieses Salz nicht dumm wird! Ganz besondres Gewicht wird man aber jeden¬
falls von nordamerikanischer Seite auf die Gewinnung der bestehenden rcn-
tabeln Eisenbahnen und den Bau neuer Linien legen, wie schon angedeutet
worden ist. Dieses wichtigste Kolonisationsmittel der Neuzeit wird erst die wahre
Erschließung der unermeßlichen Binnenländer Südamerikas herbeiführen. Die
kapitalistische Kolonisation wird dann ihre Orgien feiern. Für die eigentliche
Kulturarbeit sind der biedre Deutsche, der Romane und der Slawe gerade recht,
wenn mir der Hauptgewinn in die Taschen der großen Trnstherren fließt. DaS
Regieren wird dann ebenfalls der Jankee besorgen.

In den lateinischen Republiken giebt man sich keinen Täuschungen darüber
hin, was eine Übertragung der panamerikanischen Idee in die Wirklichkeit für
diese bedeuten würde. Bei dem jüngst zu Madrid abgehaltnen spanisch-ameri¬
kanischen Kongreß wurde die Solidarität sämtlicher Krevleustaateu gegenüber
der amerikanischen Vormacht nachdrücklich betont. Der Vertreter Mexikos er¬
klärte im Namen von dreizehn mittel- und südamerikanischen Staaten, daß bei
der expansiven Politik der United States ein Bündnis aller lateinischen
Republiken gegen den Imperialismus für diese eine Lebensfrage sei, und
empfahl für die amerikanischen Staaten ein obligatorisches Schiedsgericht
bei allen internationalen Zwistigkeiten. Einstweilen überwiegt jedoch das
Trennende vor dem Einigenden. Der Druck vom Norden muß noch wesentlich
empfindlicher wirken, wenn sich die bedrohten Gemeinwesen zusammenschließen
sollen, und es ist wahrscheinlich, daß sich mehr Politiker finden werden, die
im Redekampfe gegen das moderne Makedonien nach den Lorbeeren des
Demosthenes trachten, als solche, die ans die Walstatt eines künftigen
Chäroncia hinausziehn. Was aber sagt bisher die europäische Diplomatie z»
den Absichten der Union? Sie erkannte diese bei der Haager Friedenskonferenz
stillschweigend als die offizielle Vertreterin der gesnmtamerikanischen Interessen
an. Portugal, Rumänien, Serbien, ja sogar China erhielten Sitz und Stimme
im Kongreß, während Brasilien, Argentinien, Chile, Mexiko keine Einladung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/182>, abgerufen am 06.06.2024.