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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Die Neukoloniscition Südamerikas

zur Teilnahme erhielten. Es sieht fast danach aus, als ob man sich die nord¬
amerikanische Auslegung der Monroedoktrin in den europäischen Kabinetten zu
eigen machte, nachdem die Union selbst mit ihrer Annexion der Philippinen
diesen Grundsatz tut lrdsnrämn geführt hat.

Dabei liegt ans der Hand, daß die Beseitigung der Politik der offnen
Thür zu Gunsten eines panamerikanischen Zvllbundeö die Interessen der euro¬
päischen Staaten, die auf deu Export ihrer Jndustrieerzengnisse angewiesen
siud, aufs schwerste verletzen würde. Welche Summen für Deutschland auf
dem Spiele stehn, geht ans der Schützung hervor, wonach der gesamte Waren¬
verkehr zwischen Deutschland und Südamerika, wenn wir die unter englischer
und sonstiger fremder Flagge mitgeführten Waren deutschen Ursprungs ein¬
rechnen, im Laufe der letzten zehn Jahre durchschnittlich einen Wert von min¬
destens "50 Millionen Mark jährlich darstellt. Noch empfindlicher aber als
Deutschland würde eine" Panamerikanismus im angedeuteten Sinne Gro߬
britannien empfinden, dessen Ausfuhr nach Südamerika -- hier, wie immer,
die europäische", Kolonien dort nicht mitgerechnet -- weit bedeutender ist
als die Deutschlands. Die Möglichkeit des einträchtigen Zusammengehns
Englands mit dem angelsächsischen Bruderstaat in der südameriknnischen An
gelegenheit erscheint besonders nach dem gewaltthätigen Vorgehn der Union in
der interozeanischen Kanalfrage sehr unwahrscheinlich. Englands Ausfuhr "ach
Brasilien z. B. überwiegt die Einfuhr von dort so sehr (1895 von Brasilien
dorthin importiert für 15,1 Millionen Dollars, nach Brasilien exportiert für
78,8 Millionen Dollars), daß die außerordentliche Begünstigung Englands
durch diesem Saldo in die Augen springt. Daß aber die Union das Verbleiben
Englands in einer so bevorzugte" Stellung dulden würde, ist ausgeschlossen.
Wenn auch dem ganzen industriellen Europa der Fehdehandschuh hingeworfen
wird, England ist doch die Macht, deren wirtschaftliche Interessen dabei die
größte Gefahr laufen.

Aber anch Frankreich wird stark in Mitleidenschaft gezogen werden, und
ganz besonders Italien, dessen Ausfuhr nach Südamerika sich dank der vielen
dort ansässigen Landeskinder in den letzten Jahren sehr verstärkt hat. Über
eine Gefahr jedoch, die Deutschland als ein Land betrifft, das keine aus¬
reichenden Kolonien hat, die deu Überschuß seiner Bevölkerung aufzunehmen
vermöchten, scheint man sich hierzulande uoch in keiner Weise klar zu sein.
Wenn es den Vereinigten Staaten gelänge, die Neukolonisation Südamerikas
^" monopolisieren, so ist zu befürchten, daß wiederum wie früher die deutsche
Auswandrnng. die sich im Jahre 1900 mir ans 11582 Personen über Ham¬
burg belief. gewaltig anschwellen und sich den neu zu erschließende" Ländern
Mwendeu würde, lind abermals könnte sich das beschämende Schauspiel
wiederhole", daß trotz aller Auswaudrungsgesetze Tausende und aber Tausende
von Deutsche" in kurzer Zeit im N""lectum untergingen. Ja es ist nicht
ausgeschlossen, daß die größere Bewegungsfreiheit unter dem Sternenbanner
u>'d die Aussicht auf ein rasches Vorwärtskommen einen derartigen Zustrom


Die Neukoloniscition Südamerikas

zur Teilnahme erhielten. Es sieht fast danach aus, als ob man sich die nord¬
amerikanische Auslegung der Monroedoktrin in den europäischen Kabinetten zu
eigen machte, nachdem die Union selbst mit ihrer Annexion der Philippinen
diesen Grundsatz tut lrdsnrämn geführt hat.

Dabei liegt ans der Hand, daß die Beseitigung der Politik der offnen
Thür zu Gunsten eines panamerikanischen Zvllbundeö die Interessen der euro¬
päischen Staaten, die auf deu Export ihrer Jndustrieerzengnisse angewiesen
siud, aufs schwerste verletzen würde. Welche Summen für Deutschland auf
dem Spiele stehn, geht ans der Schützung hervor, wonach der gesamte Waren¬
verkehr zwischen Deutschland und Südamerika, wenn wir die unter englischer
und sonstiger fremder Flagge mitgeführten Waren deutschen Ursprungs ein¬
rechnen, im Laufe der letzten zehn Jahre durchschnittlich einen Wert von min¬
destens «50 Millionen Mark jährlich darstellt. Noch empfindlicher aber als
Deutschland würde eine» Panamerikanismus im angedeuteten Sinne Gro߬
britannien empfinden, dessen Ausfuhr nach Südamerika — hier, wie immer,
die europäische», Kolonien dort nicht mitgerechnet — weit bedeutender ist
als die Deutschlands. Die Möglichkeit des einträchtigen Zusammengehns
Englands mit dem angelsächsischen Bruderstaat in der südameriknnischen An
gelegenheit erscheint besonders nach dem gewaltthätigen Vorgehn der Union in
der interozeanischen Kanalfrage sehr unwahrscheinlich. Englands Ausfuhr »ach
Brasilien z. B. überwiegt die Einfuhr von dort so sehr (1895 von Brasilien
dorthin importiert für 15,1 Millionen Dollars, nach Brasilien exportiert für
78,8 Millionen Dollars), daß die außerordentliche Begünstigung Englands
durch diesem Saldo in die Augen springt. Daß aber die Union das Verbleiben
Englands in einer so bevorzugte» Stellung dulden würde, ist ausgeschlossen.
Wenn auch dem ganzen industriellen Europa der Fehdehandschuh hingeworfen
wird, England ist doch die Macht, deren wirtschaftliche Interessen dabei die
größte Gefahr laufen.

Aber anch Frankreich wird stark in Mitleidenschaft gezogen werden, und
ganz besonders Italien, dessen Ausfuhr nach Südamerika sich dank der vielen
dort ansässigen Landeskinder in den letzten Jahren sehr verstärkt hat. Über
eine Gefahr jedoch, die Deutschland als ein Land betrifft, das keine aus¬
reichenden Kolonien hat, die deu Überschuß seiner Bevölkerung aufzunehmen
vermöchten, scheint man sich hierzulande uoch in keiner Weise klar zu sein.
Wenn es den Vereinigten Staaten gelänge, die Neukolonisation Südamerikas
^" monopolisieren, so ist zu befürchten, daß wiederum wie früher die deutsche
Auswandrnng. die sich im Jahre 1900 mir ans 11582 Personen über Ham¬
burg belief. gewaltig anschwellen und sich den neu zu erschließende» Ländern
Mwendeu würde, lind abermals könnte sich das beschämende Schauspiel
wiederhole«, daß trotz aller Auswaudrungsgesetze Tausende und aber Tausende
von Deutsche» in kurzer Zeit im N""lectum untergingen. Ja es ist nicht
ausgeschlossen, daß die größere Bewegungsfreiheit unter dem Sternenbanner
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[0183] Die Neukoloniscition Südamerikas zur Teilnahme erhielten. Es sieht fast danach aus, als ob man sich die nord¬ amerikanische Auslegung der Monroedoktrin in den europäischen Kabinetten zu eigen machte, nachdem die Union selbst mit ihrer Annexion der Philippinen diesen Grundsatz tut lrdsnrämn geführt hat. Dabei liegt ans der Hand, daß die Beseitigung der Politik der offnen Thür zu Gunsten eines panamerikanischen Zvllbundeö die Interessen der euro¬ päischen Staaten, die auf deu Export ihrer Jndustrieerzengnisse angewiesen siud, aufs schwerste verletzen würde. Welche Summen für Deutschland auf dem Spiele stehn, geht ans der Schützung hervor, wonach der gesamte Waren¬ verkehr zwischen Deutschland und Südamerika, wenn wir die unter englischer und sonstiger fremder Flagge mitgeführten Waren deutschen Ursprungs ein¬ rechnen, im Laufe der letzten zehn Jahre durchschnittlich einen Wert von min¬ destens «50 Millionen Mark jährlich darstellt. Noch empfindlicher aber als Deutschland würde eine» Panamerikanismus im angedeuteten Sinne Gro߬ britannien empfinden, dessen Ausfuhr nach Südamerika — hier, wie immer, die europäische», Kolonien dort nicht mitgerechnet — weit bedeutender ist als die Deutschlands. Die Möglichkeit des einträchtigen Zusammengehns Englands mit dem angelsächsischen Bruderstaat in der südameriknnischen An gelegenheit erscheint besonders nach dem gewaltthätigen Vorgehn der Union in der interozeanischen Kanalfrage sehr unwahrscheinlich. Englands Ausfuhr »ach Brasilien z. B. überwiegt die Einfuhr von dort so sehr (1895 von Brasilien dorthin importiert für 15,1 Millionen Dollars, nach Brasilien exportiert für 78,8 Millionen Dollars), daß die außerordentliche Begünstigung Englands durch diesem Saldo in die Augen springt. Daß aber die Union das Verbleiben Englands in einer so bevorzugte» Stellung dulden würde, ist ausgeschlossen. Wenn auch dem ganzen industriellen Europa der Fehdehandschuh hingeworfen wird, England ist doch die Macht, deren wirtschaftliche Interessen dabei die größte Gefahr laufen. Aber anch Frankreich wird stark in Mitleidenschaft gezogen werden, und ganz besonders Italien, dessen Ausfuhr nach Südamerika sich dank der vielen dort ansässigen Landeskinder in den letzten Jahren sehr verstärkt hat. Über eine Gefahr jedoch, die Deutschland als ein Land betrifft, das keine aus¬ reichenden Kolonien hat, die deu Überschuß seiner Bevölkerung aufzunehmen vermöchten, scheint man sich hierzulande uoch in keiner Weise klar zu sein. Wenn es den Vereinigten Staaten gelänge, die Neukolonisation Südamerikas ^" monopolisieren, so ist zu befürchten, daß wiederum wie früher die deutsche Auswandrnng. die sich im Jahre 1900 mir ans 11582 Personen über Ham¬ burg belief. gewaltig anschwellen und sich den neu zu erschließende» Ländern Mwendeu würde, lind abermals könnte sich das beschämende Schauspiel wiederhole«, daß trotz aller Auswaudrungsgesetze Tausende und aber Tausende von Deutsche» in kurzer Zeit im N""lectum untergingen. Ja es ist nicht ausgeschlossen, daß die größere Bewegungsfreiheit unter dem Sternenbanner u>'d die Aussicht auf ein rasches Vorwärtskommen einen derartigen Zustrom

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/183>, abgerufen am 27.05.2024.