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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Von Einwandrern ans Deutschland herbeiführen würden, daß infolge dieses
Jahrzehnte andauernden Aderlasses unser Vaterland überhaupt zu einer großen
Siedlungstolouisativu auf eigne Faust in Zukunft nicht mehr imstande wäre.
Denn die Elemente würden abfließen, die spezifisch kolonisatorische Fähigkeiten
hätten, während die unter burcaukratischer Bevormundung und Auswüchsen
des Kastengeistes weniger leidenden passiven Massen zurückbleiben würden.

Es erscheint hier angebracht, sich überhaupt über die Frage einer kolo¬
nialen Ausbreitung Deutschlands und der Mittel zu deren Verwirklichung klar
zu werden. Dabei kann hier weniger von der kapitalistischen Kolonisation
geredet werden, die überall dort geschehn wird, wo sich Aussichten ans Gewinn
bieten und gesicherte Verhältnisse oder genügender Schutz durch die eigne Flagge
oder die einer andern kolonisierenden Macht vorhanden sind. Anders steht es
mit der nationalen Kolonisation. Diese sollte nicht mehr wie früher der natio¬
nalen Arbeit in planloser Verzettlung über alle fünf Weltteile verloren gehn,
sondern möglichst einer festen, planvollen Leitung gehorchen. Da für eine
großartig angelegte Kolonisation in diesem Sinne in unsern jetzigen Kolonien
kein Raum oder zur mindesten, solange die Verkehrsbediuguugen nicht ganz
anders sind, keine Gelegenheit geboten ist, fragt es sich, ob Deutschland nach
weitern Erwerbungen von Ländern, die eine größere Eiuwaudrung aufzunehmen
vermöchten, trachten soll. Dabei ist zu bemerken, daß für Deutschland ein
Imperium, wie es Rom hatte und Rußland und die nordamerikanische Union
jetzt anstreben, seiner ganzen geographischen Lage und bisherigen Entwicklung
nach schlechterdings unerreichbar ist. Als Rom mit Karthago endgiltig ab¬
gerechnet hatte, brauchte es keinen gefährlichen Nachbar mehr zu fürchten und
konnte nun, ohne eine eigentliche Seemacht zu sein, mit Hilfe seines Laud-
heers imperialistische Politik in großartigem Maßstab treiben. Großbritannien
war nur durch seiue insulare Lage, die eine Grenzverteidigung außerordentlich
erleichtert, in den Stand gesetzt, sich als Seemacht ein Weltreich zusammen-
zuerobcru, das freilich zu sehr zersplittert ist, als daß sich besonders in wirt¬
schaftlicher Hinsicht der Imperialismus konsequent durchführen ließe. Rußland
hat keine angriffslustiger Nachbarn und kann direkt an seinen Grenzen kolo¬
niale Erwerbungen machen, die sich ungezwungen dem Mutterlande organisch
angliedern. Hier sind ebenso wie bei der nordamerikanischen Union die Vor¬
bedingungen zur Schaffung eines Weltreichs gegeben, das auch wirtschaftlich
einen geschlossenen, wenn auch nicht abgeschlossenen Organismus darstellt.
Deutschland dagegen ist eingekeilt zwischen gefährliche Nachbarn, gegen die es
eine gewaltige Landmacht unter deu Waffen erhalten muß, und kann sich nicht
obendrein den Luxus erlaube", mit einer Flotte ersten Ranges und Kolonial¬
heeren in fernen Ländern Eroberungspolitik z" treiben. Es wird sein Be¬
streben darauf richte" müssen, überall geeignete Flottenstationen und Stütz¬
punkte für seinen überseeischen Handel zu gewinnen und vielleicht, um deu auf
Gebietszuwachs erpichten Schwärmern für die koloniale Sache ein Fest zu
machen, hie und da auf dieser oder jener Insel die Flagge zu bissen, voraus-


Von Einwandrern ans Deutschland herbeiführen würden, daß infolge dieses
Jahrzehnte andauernden Aderlasses unser Vaterland überhaupt zu einer großen
Siedlungstolouisativu auf eigne Faust in Zukunft nicht mehr imstande wäre.
Denn die Elemente würden abfließen, die spezifisch kolonisatorische Fähigkeiten
hätten, während die unter burcaukratischer Bevormundung und Auswüchsen
des Kastengeistes weniger leidenden passiven Massen zurückbleiben würden.

Es erscheint hier angebracht, sich überhaupt über die Frage einer kolo¬
nialen Ausbreitung Deutschlands und der Mittel zu deren Verwirklichung klar
zu werden. Dabei kann hier weniger von der kapitalistischen Kolonisation
geredet werden, die überall dort geschehn wird, wo sich Aussichten ans Gewinn
bieten und gesicherte Verhältnisse oder genügender Schutz durch die eigne Flagge
oder die einer andern kolonisierenden Macht vorhanden sind. Anders steht es
mit der nationalen Kolonisation. Diese sollte nicht mehr wie früher der natio¬
nalen Arbeit in planloser Verzettlung über alle fünf Weltteile verloren gehn,
sondern möglichst einer festen, planvollen Leitung gehorchen. Da für eine
großartig angelegte Kolonisation in diesem Sinne in unsern jetzigen Kolonien
kein Raum oder zur mindesten, solange die Verkehrsbediuguugen nicht ganz
anders sind, keine Gelegenheit geboten ist, fragt es sich, ob Deutschland nach
weitern Erwerbungen von Ländern, die eine größere Eiuwaudrung aufzunehmen
vermöchten, trachten soll. Dabei ist zu bemerken, daß für Deutschland ein
Imperium, wie es Rom hatte und Rußland und die nordamerikanische Union
jetzt anstreben, seiner ganzen geographischen Lage und bisherigen Entwicklung
nach schlechterdings unerreichbar ist. Als Rom mit Karthago endgiltig ab¬
gerechnet hatte, brauchte es keinen gefährlichen Nachbar mehr zu fürchten und
konnte nun, ohne eine eigentliche Seemacht zu sein, mit Hilfe seines Laud-
heers imperialistische Politik in großartigem Maßstab treiben. Großbritannien
war nur durch seiue insulare Lage, die eine Grenzverteidigung außerordentlich
erleichtert, in den Stand gesetzt, sich als Seemacht ein Weltreich zusammen-
zuerobcru, das freilich zu sehr zersplittert ist, als daß sich besonders in wirt¬
schaftlicher Hinsicht der Imperialismus konsequent durchführen ließe. Rußland
hat keine angriffslustiger Nachbarn und kann direkt an seinen Grenzen kolo¬
niale Erwerbungen machen, die sich ungezwungen dem Mutterlande organisch
angliedern. Hier sind ebenso wie bei der nordamerikanischen Union die Vor¬
bedingungen zur Schaffung eines Weltreichs gegeben, das auch wirtschaftlich
einen geschlossenen, wenn auch nicht abgeschlossenen Organismus darstellt.
Deutschland dagegen ist eingekeilt zwischen gefährliche Nachbarn, gegen die es
eine gewaltige Landmacht unter deu Waffen erhalten muß, und kann sich nicht
obendrein den Luxus erlaube», mit einer Flotte ersten Ranges und Kolonial¬
heeren in fernen Ländern Eroberungspolitik z» treiben. Es wird sein Be¬
streben darauf richte» müssen, überall geeignete Flottenstationen und Stütz¬
punkte für seinen überseeischen Handel zu gewinnen und vielleicht, um deu auf
Gebietszuwachs erpichten Schwärmern für die koloniale Sache ein Fest zu
machen, hie und da auf dieser oder jener Insel die Flagge zu bissen, voraus-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/184>, abgerufen am 06.06.2024.