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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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militärische Schicksale bekannt waren; vielleicht hätten sie, wenn sie darum
gewußt hätten, nicht für Kauffmann gestimmt; wenn sie aber wegen seines
Ausscheidens aus dein Militär für ihn gestimmt haben, so war es für die
Krone geradezu geboten, diese Demonstration zurückzuweisen. Jedenfalls hat
aber Kauffmann über seine eignen frühern Erlebnisse Bescheid gewußt und sich
an sie erinnert; es wäre seine Sache gewesen, sich zu erkundigen, ob er dnrch
seine Kandidatur die Stadtverordneten der Gefahr eines fruchtlosen Wahlgangs
aussetzte. Seine Bestätigung als Stadtrat überhob ihn uicht dieser Ver-
pflichtung; Bürgermeister oder Stadtrat ist ein großer Unterschied,

Im übrigen soll hier nicht über Kauffmann Gericht gehalten werde".
Jedes Richten würde sich wohl schon deshalb verbieten, weil die Strafe erteilt
und getragen worden ist. Zwar giebt es Leute, die so thun, als hielten sie
das Schicksal, das vor einer Reihe von Jahren den Leutnant der Reserve
Kauffmann, und das ähnliche Schicksal, das vor kurzem deu Sanitätsoffizier
des Beurlaubtenstaudes Arthur Schnitzler in Österreich getroffen hat, nicht für
eine Strafe. Uns dagegen scheint es allerdings eine Strafe zu sein, wenn
jemand aus einer auf die Ehrenhaftigkeit ihrer Mitglieder haltenden Gemein¬
schaft ausgestoßen wird, in die er durch strenge Pflichterfüllung Eingang
gewonnen und der er jahrelang angehört hat. um so härter muß dieses
Schicksal sei", je mehr der Mann mit innerer Herzensneigung an der Offizier-
stellnng und dem Kreise der Kameraden gehangen hat; von jedem anständigen
und nicht völlig gedankenlosen Mensche" aber darf man erwarten, daß
er sich nicht als Genosse und Kamerad i" einen Kreis gedrängt hat, ohne
an den Idealen dieses Kreises Anteil zu haben. Die Strafe ist ihrer Wirkung
nach durchaus nicht milder als eine Freiheitsstrafe, denn bei einer Gefängnis¬
strafe ist doch auch das nicht das Unangenehme, daß man einige Zeit eine
andre Lebensweise einhalten muß, sondern daß man von der Achtung der
Öffentlichkeit, von Freunden und Bekannten geschieden wird, lange Zeit noch,
nachdem die Strafe verbüßt ist -- vielleicht für immer.

Der Kaiser hat die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß sich nicht eine ver-
schiedne Wertung in der militärischen und in der bürgerlichen Welt anbahnt.
Deshalb muß er den militärischen Urteilen Achtung i" der bürgerliche" Welt
verschaffe", aber ebenso muß er darüber wachen, daß sich die militärischen An-
schmnmge" über Ehre und Pflicht nicht von den gesunden Anschauungen des
Volks entfernen. Es giebt n"n heute freilich Streitpunkte zwischen militä¬
rischer und bürgerlicher Anschauung, aber im große" und ganzen stimmt doch
die Würdigung von Person und Sache auf beiden Seiten ganz gut zusammen.
Man soll z. B. nicht glauben, daß in der Zweiknmpffrage ein so großer
Unterschied zwischen den Anschauungen des Offizierkorps und der unmittelbar
aus dem Volk hervorgegcmgnen Gemeinen besteht; der Offizier hätte einen
schweren Stand bei seinen Leute", von dem es bekannt wäre, daß er sich eine
unwürdige Behandlung hat gefallen lassen, ohne Sühne dafür zu forder".
Das Räsonnieren spielt beim Militär selbst eine große Rolle, und räsonniert


militärische Schicksale bekannt waren; vielleicht hätten sie, wenn sie darum
gewußt hätten, nicht für Kauffmann gestimmt; wenn sie aber wegen seines
Ausscheidens aus dein Militär für ihn gestimmt haben, so war es für die
Krone geradezu geboten, diese Demonstration zurückzuweisen. Jedenfalls hat
aber Kauffmann über seine eignen frühern Erlebnisse Bescheid gewußt und sich
an sie erinnert; es wäre seine Sache gewesen, sich zu erkundigen, ob er dnrch
seine Kandidatur die Stadtverordneten der Gefahr eines fruchtlosen Wahlgangs
aussetzte. Seine Bestätigung als Stadtrat überhob ihn uicht dieser Ver-
pflichtung; Bürgermeister oder Stadtrat ist ein großer Unterschied,

Im übrigen soll hier nicht über Kauffmann Gericht gehalten werde».
Jedes Richten würde sich wohl schon deshalb verbieten, weil die Strafe erteilt
und getragen worden ist. Zwar giebt es Leute, die so thun, als hielten sie
das Schicksal, das vor einer Reihe von Jahren den Leutnant der Reserve
Kauffmann, und das ähnliche Schicksal, das vor kurzem deu Sanitätsoffizier
des Beurlaubtenstaudes Arthur Schnitzler in Österreich getroffen hat, nicht für
eine Strafe. Uns dagegen scheint es allerdings eine Strafe zu sein, wenn
jemand aus einer auf die Ehrenhaftigkeit ihrer Mitglieder haltenden Gemein¬
schaft ausgestoßen wird, in die er durch strenge Pflichterfüllung Eingang
gewonnen und der er jahrelang angehört hat. um so härter muß dieses
Schicksal sei», je mehr der Mann mit innerer Herzensneigung an der Offizier-
stellnng und dem Kreise der Kameraden gehangen hat; von jedem anständigen
und nicht völlig gedankenlosen Mensche» aber darf man erwarten, daß
er sich nicht als Genosse und Kamerad i» einen Kreis gedrängt hat, ohne
an den Idealen dieses Kreises Anteil zu haben. Die Strafe ist ihrer Wirkung
nach durchaus nicht milder als eine Freiheitsstrafe, denn bei einer Gefängnis¬
strafe ist doch auch das nicht das Unangenehme, daß man einige Zeit eine
andre Lebensweise einhalten muß, sondern daß man von der Achtung der
Öffentlichkeit, von Freunden und Bekannten geschieden wird, lange Zeit noch,
nachdem die Strafe verbüßt ist — vielleicht für immer.

Der Kaiser hat die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß sich nicht eine ver-
schiedne Wertung in der militärischen und in der bürgerlichen Welt anbahnt.
Deshalb muß er den militärischen Urteilen Achtung i» der bürgerliche» Welt
verschaffe», aber ebenso muß er darüber wachen, daß sich die militärischen An-
schmnmge» über Ehre und Pflicht nicht von den gesunden Anschauungen des
Volks entfernen. Es giebt n»n heute freilich Streitpunkte zwischen militä¬
rischer und bürgerlicher Anschauung, aber im große» und ganzen stimmt doch
die Würdigung von Person und Sache auf beiden Seiten ganz gut zusammen.
Man soll z. B. nicht glauben, daß in der Zweiknmpffrage ein so großer
Unterschied zwischen den Anschauungen des Offizierkorps und der unmittelbar
aus dem Volk hervorgegcmgnen Gemeinen besteht; der Offizier hätte einen
schweren Stand bei seinen Leute», von dem es bekannt wäre, daß er sich eine
unwürdige Behandlung hat gefallen lassen, ohne Sühne dafür zu forder».
Das Räsonnieren spielt beim Militär selbst eine große Rolle, und räsonniert


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[0204] militärische Schicksale bekannt waren; vielleicht hätten sie, wenn sie darum gewußt hätten, nicht für Kauffmann gestimmt; wenn sie aber wegen seines Ausscheidens aus dein Militär für ihn gestimmt haben, so war es für die Krone geradezu geboten, diese Demonstration zurückzuweisen. Jedenfalls hat aber Kauffmann über seine eignen frühern Erlebnisse Bescheid gewußt und sich an sie erinnert; es wäre seine Sache gewesen, sich zu erkundigen, ob er dnrch seine Kandidatur die Stadtverordneten der Gefahr eines fruchtlosen Wahlgangs aussetzte. Seine Bestätigung als Stadtrat überhob ihn uicht dieser Ver- pflichtung; Bürgermeister oder Stadtrat ist ein großer Unterschied, Im übrigen soll hier nicht über Kauffmann Gericht gehalten werde». Jedes Richten würde sich wohl schon deshalb verbieten, weil die Strafe erteilt und getragen worden ist. Zwar giebt es Leute, die so thun, als hielten sie das Schicksal, das vor einer Reihe von Jahren den Leutnant der Reserve Kauffmann, und das ähnliche Schicksal, das vor kurzem deu Sanitätsoffizier des Beurlaubtenstaudes Arthur Schnitzler in Österreich getroffen hat, nicht für eine Strafe. Uns dagegen scheint es allerdings eine Strafe zu sein, wenn jemand aus einer auf die Ehrenhaftigkeit ihrer Mitglieder haltenden Gemein¬ schaft ausgestoßen wird, in die er durch strenge Pflichterfüllung Eingang gewonnen und der er jahrelang angehört hat. um so härter muß dieses Schicksal sei», je mehr der Mann mit innerer Herzensneigung an der Offizier- stellnng und dem Kreise der Kameraden gehangen hat; von jedem anständigen und nicht völlig gedankenlosen Mensche» aber darf man erwarten, daß er sich nicht als Genosse und Kamerad i» einen Kreis gedrängt hat, ohne an den Idealen dieses Kreises Anteil zu haben. Die Strafe ist ihrer Wirkung nach durchaus nicht milder als eine Freiheitsstrafe, denn bei einer Gefängnis¬ strafe ist doch auch das nicht das Unangenehme, daß man einige Zeit eine andre Lebensweise einhalten muß, sondern daß man von der Achtung der Öffentlichkeit, von Freunden und Bekannten geschieden wird, lange Zeit noch, nachdem die Strafe verbüßt ist — vielleicht für immer. Der Kaiser hat die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß sich nicht eine ver- schiedne Wertung in der militärischen und in der bürgerlichen Welt anbahnt. Deshalb muß er den militärischen Urteilen Achtung i» der bürgerliche» Welt verschaffe», aber ebenso muß er darüber wachen, daß sich die militärischen An- schmnmge» über Ehre und Pflicht nicht von den gesunden Anschauungen des Volks entfernen. Es giebt n»n heute freilich Streitpunkte zwischen militä¬ rischer und bürgerlicher Anschauung, aber im große» und ganzen stimmt doch die Würdigung von Person und Sache auf beiden Seiten ganz gut zusammen. Man soll z. B. nicht glauben, daß in der Zweiknmpffrage ein so großer Unterschied zwischen den Anschauungen des Offizierkorps und der unmittelbar aus dem Volk hervorgegcmgnen Gemeinen besteht; der Offizier hätte einen schweren Stand bei seinen Leute», von dem es bekannt wäre, daß er sich eine unwürdige Behandlung hat gefallen lassen, ohne Sühne dafür zu forder». Das Räsonnieren spielt beim Militär selbst eine große Rolle, und räsonniert

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/204>, abgerufen am 06.06.2024.