Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.Bürgerliche und militärische Auffassung gehört, dafür zu sorgen, daß die Armee, dieses Palladium der Einheit und Bürgerliche und militärische Auffassung gehört, dafür zu sorgen, daß die Armee, dieses Palladium der Einheit und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0203" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/235375"/> <fw type="header" place="top"> Bürgerliche und militärische Auffassung</fw><lb/> <p xml:id="ID_936" prev="#ID_935" next="#ID_937"> gehört, dafür zu sorgen, daß die Armee, dieses Palladium der Einheit und<lb/> Freiheit Deutschlands, stark und schlagfertig erhalten wird. Aber nicht nur<lb/> die waffenfähige Mannschaft, die unter den Fahnen stehende und die einer<lb/> bürgerlichen Beschäftigung nachgebende, soll mit allen technischen und sittlichen<lb/> Eigenschaften und Fähigkeiten ausgestattet sein, die sie dem Feinde furchtbar<lb/> machen, auch die Wurzeln der militärischem Kraft müssen gesund erhalten<lb/> werden. Die deutsche Armee nun wurzelt in der Tüchtigkeit des gesamten<lb/> Volkes, aber sie wurzelt auch in dem Ansehe», der Hochachtung, die ihr von<lb/> diesem dargebracht wird. Verliert die Armee an Ansehen, so verliert sie anch<lb/> an innerer Kraft. Wie jede falsche Einrichtung innerhalb der Armee, jede<lb/> unwürdige Handlung eines ihrer Glieder ihre Kraft schwächt, so auch jedes<lb/> Ereignis, das dein Ansehen dieser Armee und ihrer Einrichtungen Abbruch<lb/> thut: die Armee soll dem Volke Achtung abnötigen. Wer sich nun anch nur<lb/> ein wenig die Sache überlegt, ums; zugeben, daß das Ansehen der militärische»<lb/> Einrichtungen geschädigt wird, wenn ein Mnuu, der durch das Urteil seiner<lb/> Kameraden ans dem Offizierstaude ausgeschieden ist, „durch das Vertrauen<lb/> seiner Mitbürger" zu einer ganz hervorragenden. Ehrenstcllnng innerhalb der<lb/> Gemeindeverwaltung berufen wird. Es giebt gewiß in Deutschland Leute, die<lb/> eine Schädigung des Ansehens des Offizierstandcs und der Armee wünschen;<lb/> sie würden es gern sehen, wenn Herr Salomon und Herr Kauffmann gerade<lb/> in recht hohe Amtsstelluugcn kämen, denn — so würde» sie mit Recht denken —<lb/> dadurch würde das Urteil des Offizierkorps, das Urteil des alte» Kaisers<lb/> Wilhelm desavouiert werden, und das Ansehe» des ganzen Offizierkorps hätte<lb/> einen Schlag erlitten. Wilhelm II. muß anders denken als diese Leute. Bei<lb/> ihm wäre es nnr verständlich, wenn er sich sorgfältig überlegte, ob er kraft<lb/> seiner königlichen Gewalt einen Alt vollziehn solle, gegen den eine Unterschrift<lb/> Wilhelms I. zu zeugen scheint, der im Falle Kauffmann zwar die Form der<lb/> unfreiwilligen Verabschiedung gemildert haben soll, diese selbst aber nicht auf¬<lb/> gehalten hat. Kaiser Wilhelm II. ist Offizier und trügt den Rock des Offiziers;<lb/> wenn er sich dagegen sträubt, einen Mann zum zweiten Bürgermeister der<lb/> Reichshauptstadt zu macheu, deu ein preußisches Offizierehrengericht nicht für<lb/> geeignet gehalten hat, hinfort Offizier zu bleiben; wenn er sich dagegen sträubt,<lb/> einen Manu als Gast in hoher Repräscntativnsstcllung bei sich im Schlosse<lb/> zu sehen und, selbst in Uniform, dem Manne die Hand zu reichen, dem die<lb/> Uniform von seinen Kameraden aberkannt worden ist — wie kann man dem<lb/> Kaiser das verübeln? Wir sagen ausdrücklich „wenn," denn wie eigentlich<lb/> seiner Zeit das Urteil gegen den Leutnant der Nieserve Kauffmann gelautet<lb/> hat, wissen nur nicht. Auch halten wir uicht für nötig, daß der Kaiser sich<lb/> mit jedem früher zu Recht ergauguen Urteil identifiziert, nnr wollten wir für<lb/> den Fall, daß er es thut, ihm das Anrecht wahren, auch entsprechende bürger¬<lb/> liche Entscheidungen zu treffen, während ihm hierzu von der andern Seite<lb/> rundweg die Berechtigung abgestritten wird. Endlich wissen Nur auch nicht,<lb/> ob der Mehrheit der Stadtverordneten, die für Kauffmmm gestimmt hat, dessen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0203]
Bürgerliche und militärische Auffassung
gehört, dafür zu sorgen, daß die Armee, dieses Palladium der Einheit und
Freiheit Deutschlands, stark und schlagfertig erhalten wird. Aber nicht nur
die waffenfähige Mannschaft, die unter den Fahnen stehende und die einer
bürgerlichen Beschäftigung nachgebende, soll mit allen technischen und sittlichen
Eigenschaften und Fähigkeiten ausgestattet sein, die sie dem Feinde furchtbar
machen, auch die Wurzeln der militärischem Kraft müssen gesund erhalten
werden. Die deutsche Armee nun wurzelt in der Tüchtigkeit des gesamten
Volkes, aber sie wurzelt auch in dem Ansehe», der Hochachtung, die ihr von
diesem dargebracht wird. Verliert die Armee an Ansehen, so verliert sie anch
an innerer Kraft. Wie jede falsche Einrichtung innerhalb der Armee, jede
unwürdige Handlung eines ihrer Glieder ihre Kraft schwächt, so auch jedes
Ereignis, das dein Ansehen dieser Armee und ihrer Einrichtungen Abbruch
thut: die Armee soll dem Volke Achtung abnötigen. Wer sich nun anch nur
ein wenig die Sache überlegt, ums; zugeben, daß das Ansehen der militärische»
Einrichtungen geschädigt wird, wenn ein Mnuu, der durch das Urteil seiner
Kameraden ans dem Offizierstaude ausgeschieden ist, „durch das Vertrauen
seiner Mitbürger" zu einer ganz hervorragenden. Ehrenstcllnng innerhalb der
Gemeindeverwaltung berufen wird. Es giebt gewiß in Deutschland Leute, die
eine Schädigung des Ansehens des Offizierstandcs und der Armee wünschen;
sie würden es gern sehen, wenn Herr Salomon und Herr Kauffmann gerade
in recht hohe Amtsstelluugcn kämen, denn — so würde» sie mit Recht denken —
dadurch würde das Urteil des Offizierkorps, das Urteil des alte» Kaisers
Wilhelm desavouiert werden, und das Ansehe» des ganzen Offizierkorps hätte
einen Schlag erlitten. Wilhelm II. muß anders denken als diese Leute. Bei
ihm wäre es nnr verständlich, wenn er sich sorgfältig überlegte, ob er kraft
seiner königlichen Gewalt einen Alt vollziehn solle, gegen den eine Unterschrift
Wilhelms I. zu zeugen scheint, der im Falle Kauffmann zwar die Form der
unfreiwilligen Verabschiedung gemildert haben soll, diese selbst aber nicht auf¬
gehalten hat. Kaiser Wilhelm II. ist Offizier und trügt den Rock des Offiziers;
wenn er sich dagegen sträubt, einen Mann zum zweiten Bürgermeister der
Reichshauptstadt zu macheu, deu ein preußisches Offizierehrengericht nicht für
geeignet gehalten hat, hinfort Offizier zu bleiben; wenn er sich dagegen sträubt,
einen Manu als Gast in hoher Repräscntativnsstcllung bei sich im Schlosse
zu sehen und, selbst in Uniform, dem Manne die Hand zu reichen, dem die
Uniform von seinen Kameraden aberkannt worden ist — wie kann man dem
Kaiser das verübeln? Wir sagen ausdrücklich „wenn," denn wie eigentlich
seiner Zeit das Urteil gegen den Leutnant der Nieserve Kauffmann gelautet
hat, wissen nur nicht. Auch halten wir uicht für nötig, daß der Kaiser sich
mit jedem früher zu Recht ergauguen Urteil identifiziert, nnr wollten wir für
den Fall, daß er es thut, ihm das Anrecht wahren, auch entsprechende bürger¬
liche Entscheidungen zu treffen, während ihm hierzu von der andern Seite
rundweg die Berechtigung abgestritten wird. Endlich wissen Nur auch nicht,
ob der Mehrheit der Stadtverordneten, die für Kauffmmm gestimmt hat, dessen
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