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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Holland und Deutschland

ich, "eng es MIN sein, wo es will, ein andres Ergebnis für ihre
Kolonisationen herausstellen können. Freilich kommt dazu noch ein andres Er¬
fordernis. Die Niederländer mußten es um besten wissen, wodurch sie in
schwerer Zeit Land und Leben, Freiheit und Staat wieder erworben und be¬
hauptet hatten, aber was die freien Männer der That hochgemut errungen
hatten, das ließen die Sklaven des Goldes schwachmütig wieder aus der Hand.
Es ist eine Thatsache, daß die Kriegsflotte der Holländer der Hort des Glücks
und der Wohlfahrt im Lande gewesen war. Wenn es um anch zweifelhaft
erscheint, ob sich die Generalstaaten allein mit der Pflege dieses Machtmittels
auf der Höhe hätten halten können, die sie um das Jahr 1675 uoch behaup¬
teten, so ist doch das außer aller Frage, daß die Erhaltung ihrer Marine in
dem Bestände, der zur Wahrung ihrer Interessen im richtigen Verhältnis stand,
sie in ganz andrer Verfassung über den Sturm der Zeiten hinweggetragen hätte.

Auch eine Flotte zweiten Ranges, aber von der Thatkraft und der Dis¬
ziplin früherer Zeiten belebt, reichte zur Durchführung einer Rolle ans, die
unter kluger Benutzung der Umstände nicht bloß die politische Selbständigkeit
des Landes, sondern auch den Besitz der Kolonien gesichert hätte. Man braucht
hier bloß an die wichtigste aller holländischen Ansiedlunge", an die Kapkolonie,
zu denken. Die Hülste der Seestreitkräfte, die in der Schlacht an der Doggers¬
bank aufs Spiel gesetzt wurde", reichte aus, ein Land zu retten, das, wenn es
zugleich unter die alles umfassende nationalökonomische Verwaltung gestellt
>vnde, zur Vergeltung einmal das Mutterland halten konnte. Was für ein
Menschenmatericil mit der gezwungnen Abtretung des Kaplandes von Holland
preisgegeben worden ist, das zeigt die Geschichte von Südafrika vom Jahre
1836 an in steigender Potenz. Achtzehn Monate lang hat England unter
Aufbietung aller seiner Kräfte mit der Bevölkerung der beiden Bnreustaaten
gerungen. Höchstens dreißigtausend moderner Disziplin ermangelnde Männer
haben die lauge Zeit der erdrückende" Übermacht Großbritanniens stand ge¬
halten, allerdings sind es freie Männer. Wenn diese Freiheit unter dem
Schutze und der sorgfältigen wirtschaftlichen Pflege des Landes gestanden hätte,
vou dem sie einstmals ausging, hätte auch England sie nicht anzutasten gewagt.

Alles dies sind irreal hhpothetische Sätze und haben für die Niederländer
viel Wert, wie das Geld für einen, der es verloren hat, aber hier waren
I'e am Platze, um den Unterschied in der Bethätigung des vvlkslvirtschaftlichen
Erstes darzuthun, der hier Brandenburg und dort die Niederlande regiert
M. Klagen um den Verlust von Dinge", die uicht wieder einzubringen sind?
-nein, das sollen die Holländer nicht, aber eben so sehr müsse" sie sich vor etwas
"überm hüten, was nicht minder nmiütz und nicht minder gefährlich ist. Aus
berechtigte" Stolz auf gewesene Dinge unberechtigte Folgerungen ziehn
"ud ein Recht daraus machen wollen, das nur auf vorhandne Wirklichkeiten
gegründet werden kauu, ist eine Thorheit, die sich sofort rächt. Das Recht und
er Wert des Daseins finde" Mensche" und Staate" "ur in dem Gewicht, das
in die ewig auf und ab gehende Schale des Weltgerichts werfen, oder in


Grenzboten til. 1901 27
Holland und Deutschland

ich, »eng es MIN sein, wo es will, ein andres Ergebnis für ihre
Kolonisationen herausstellen können. Freilich kommt dazu noch ein andres Er¬
fordernis. Die Niederländer mußten es um besten wissen, wodurch sie in
schwerer Zeit Land und Leben, Freiheit und Staat wieder erworben und be¬
hauptet hatten, aber was die freien Männer der That hochgemut errungen
hatten, das ließen die Sklaven des Goldes schwachmütig wieder aus der Hand.
Es ist eine Thatsache, daß die Kriegsflotte der Holländer der Hort des Glücks
und der Wohlfahrt im Lande gewesen war. Wenn es um anch zweifelhaft
erscheint, ob sich die Generalstaaten allein mit der Pflege dieses Machtmittels
auf der Höhe hätten halten können, die sie um das Jahr 1675 uoch behaup¬
teten, so ist doch das außer aller Frage, daß die Erhaltung ihrer Marine in
dem Bestände, der zur Wahrung ihrer Interessen im richtigen Verhältnis stand,
sie in ganz andrer Verfassung über den Sturm der Zeiten hinweggetragen hätte.

Auch eine Flotte zweiten Ranges, aber von der Thatkraft und der Dis¬
ziplin früherer Zeiten belebt, reichte zur Durchführung einer Rolle ans, die
unter kluger Benutzung der Umstände nicht bloß die politische Selbständigkeit
des Landes, sondern auch den Besitz der Kolonien gesichert hätte. Man braucht
hier bloß an die wichtigste aller holländischen Ansiedlunge», an die Kapkolonie,
zu denken. Die Hülste der Seestreitkräfte, die in der Schlacht an der Doggers¬
bank aufs Spiel gesetzt wurde», reichte aus, ein Land zu retten, das, wenn es
zugleich unter die alles umfassende nationalökonomische Verwaltung gestellt
>vnde, zur Vergeltung einmal das Mutterland halten konnte. Was für ein
Menschenmatericil mit der gezwungnen Abtretung des Kaplandes von Holland
preisgegeben worden ist, das zeigt die Geschichte von Südafrika vom Jahre
1836 an in steigender Potenz. Achtzehn Monate lang hat England unter
Aufbietung aller seiner Kräfte mit der Bevölkerung der beiden Bnreustaaten
gerungen. Höchstens dreißigtausend moderner Disziplin ermangelnde Männer
haben die lauge Zeit der erdrückende» Übermacht Großbritanniens stand ge¬
halten, allerdings sind es freie Männer. Wenn diese Freiheit unter dem
Schutze und der sorgfältigen wirtschaftlichen Pflege des Landes gestanden hätte,
vou dem sie einstmals ausging, hätte auch England sie nicht anzutasten gewagt.

Alles dies sind irreal hhpothetische Sätze und haben für die Niederländer
viel Wert, wie das Geld für einen, der es verloren hat, aber hier waren
I'e am Platze, um den Unterschied in der Bethätigung des vvlkslvirtschaftlichen
Erstes darzuthun, der hier Brandenburg und dort die Niederlande regiert
M. Klagen um den Verlust von Dinge», die uicht wieder einzubringen sind?
-nein, das sollen die Holländer nicht, aber eben so sehr müsse» sie sich vor etwas
"überm hüten, was nicht minder nmiütz und nicht minder gefährlich ist. Aus
berechtigte» Stolz auf gewesene Dinge unberechtigte Folgerungen ziehn
"ud ein Recht daraus machen wollen, das nur auf vorhandne Wirklichkeiten
gegründet werden kauu, ist eine Thorheit, die sich sofort rächt. Das Recht und
er Wert des Daseins finde» Mensche» und Staate» »ur in dem Gewicht, das
in die ewig auf und ab gehende Schale des Weltgerichts werfen, oder in


Grenzboten til. 1901 27
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[0217] Holland und Deutschland ich, »eng es MIN sein, wo es will, ein andres Ergebnis für ihre Kolonisationen herausstellen können. Freilich kommt dazu noch ein andres Er¬ fordernis. Die Niederländer mußten es um besten wissen, wodurch sie in schwerer Zeit Land und Leben, Freiheit und Staat wieder erworben und be¬ hauptet hatten, aber was die freien Männer der That hochgemut errungen hatten, das ließen die Sklaven des Goldes schwachmütig wieder aus der Hand. Es ist eine Thatsache, daß die Kriegsflotte der Holländer der Hort des Glücks und der Wohlfahrt im Lande gewesen war. Wenn es um anch zweifelhaft erscheint, ob sich die Generalstaaten allein mit der Pflege dieses Machtmittels auf der Höhe hätten halten können, die sie um das Jahr 1675 uoch behaup¬ teten, so ist doch das außer aller Frage, daß die Erhaltung ihrer Marine in dem Bestände, der zur Wahrung ihrer Interessen im richtigen Verhältnis stand, sie in ganz andrer Verfassung über den Sturm der Zeiten hinweggetragen hätte. Auch eine Flotte zweiten Ranges, aber von der Thatkraft und der Dis¬ ziplin früherer Zeiten belebt, reichte zur Durchführung einer Rolle ans, die unter kluger Benutzung der Umstände nicht bloß die politische Selbständigkeit des Landes, sondern auch den Besitz der Kolonien gesichert hätte. Man braucht hier bloß an die wichtigste aller holländischen Ansiedlunge», an die Kapkolonie, zu denken. Die Hülste der Seestreitkräfte, die in der Schlacht an der Doggers¬ bank aufs Spiel gesetzt wurde», reichte aus, ein Land zu retten, das, wenn es zugleich unter die alles umfassende nationalökonomische Verwaltung gestellt >vnde, zur Vergeltung einmal das Mutterland halten konnte. Was für ein Menschenmatericil mit der gezwungnen Abtretung des Kaplandes von Holland preisgegeben worden ist, das zeigt die Geschichte von Südafrika vom Jahre 1836 an in steigender Potenz. Achtzehn Monate lang hat England unter Aufbietung aller seiner Kräfte mit der Bevölkerung der beiden Bnreustaaten gerungen. Höchstens dreißigtausend moderner Disziplin ermangelnde Männer haben die lauge Zeit der erdrückende» Übermacht Großbritanniens stand ge¬ halten, allerdings sind es freie Männer. Wenn diese Freiheit unter dem Schutze und der sorgfältigen wirtschaftlichen Pflege des Landes gestanden hätte, vou dem sie einstmals ausging, hätte auch England sie nicht anzutasten gewagt. Alles dies sind irreal hhpothetische Sätze und haben für die Niederländer viel Wert, wie das Geld für einen, der es verloren hat, aber hier waren I'e am Platze, um den Unterschied in der Bethätigung des vvlkslvirtschaftlichen Erstes darzuthun, der hier Brandenburg und dort die Niederlande regiert M. Klagen um den Verlust von Dinge», die uicht wieder einzubringen sind? -nein, das sollen die Holländer nicht, aber eben so sehr müsse» sie sich vor etwas "überm hüten, was nicht minder nmiütz und nicht minder gefährlich ist. Aus berechtigte» Stolz auf gewesene Dinge unberechtigte Folgerungen ziehn "ud ein Recht daraus machen wollen, das nur auf vorhandne Wirklichkeiten gegründet werden kauu, ist eine Thorheit, die sich sofort rächt. Das Recht und er Wert des Daseins finde» Mensche» und Staate» »ur in dem Gewicht, das in die ewig auf und ab gehende Schale des Weltgerichts werfen, oder in Grenzboten til. 1901 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/217>, abgerufen am 06.06.2024.