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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Holland und Deutschland

dem etwas, das sie als lcbeiidig wirkende Kraft in die Reibung der sich be¬
kämpfenden Gegensätze einstellen können.

Solange in Dentschland die seit dein Jahre 1871 eingeführte einheitliche
politische Ordnung noch nicht die Gewöhnung in den Gemütern gefunden hatte,
die notwendig ist, den Glauben an die Dauer des geschaffnen Zustands fest¬
zulegen, solange konnte man in den Niederlanden immer noch hoffen, daß
entweder über kurz oder lang ein Umschlag der Dinge zu ihren Gunsten ein¬
treten könnte, oder daß wenigstens ihre Weiterentwicklung derart sein würde,
daß sie der holländischen Zukunft nicht das Licht zu nehmen brauchte. Aber
seitdem dus neugegründete Reich immer fester geworden ist und immer tiefere
Wurzeln geschlagen hat, seitdem besonders das wirtschaftliche Lebe" in den
einen großen nationalen Strom znsanunengeflossen ist, der ans breitem und
starkem Rucken die Erzeugnisse deutschen Geistes und deutschen Fleißes ohne
Unterschied des Woher in die Welt hinausträgt und ungeahnten Gewinn
zurückbringt, da muß es dein holländischen Volke auch in seinen geistig tiefer
liegenden Schichten klar werden, daß neben einer solchen Kraftentfnltnng sein
Atem kürzer und kürzer werden muß.

Die zwingende Kraft der deutschen Volkswirtschaft rückt den Holländern
zusehends näher auf deu Leib. Die Art und Weise, wie die preußische Re¬
gierung die schon besprochnc Rheinschiffahrtskonvention von März des Jahres
1831 zu stände brachte, ist typisch für das in solchen Fällen von jeher be¬
obachtete Verfahren, Kann vernünftigen und gerechtfertigten Vorstellnnge"
kein Gehör verschafft werden, so mag die Wiedervergeltung aushelfen. Schon
Friedrich der Große hatte im Streit mit den seebeherrschenden Engländern
seinen Nachfolgern in der Regierung, die sonst vou ihm lernen wollten, gezeigt,
wie man auch an schwierigen Stellen, wo der Rechtsgang versagte, zu dem
seinigen kommen konnte. Nach den Bestimmungen der Wiener Kongreßakte
mußte auch Preußen, wenn die Schiffahrt auf dein Rheine frei sein sollte,
seineu sogenannten Stapel in Köln aufheben. Aber da Holland widerrechtlich
vorging, und da alle Verhandlungen, mochten sie direkt oder am Bundestage
geführt werden, zu nichts führten, so fuhr auch die preußische Regierung fort,
ihren Zoll in Köln weiter zu erheben und zwang dnrch diese konsequent durch¬
geführte Repressalie die Holländer zum endlichen Beilegen,

Interessant am Berlanf dieser Ereignisse ist noch der Umstand, daß das
Vorgehn Preußens bei deu Rheiuuferstaateu lind beim Bunde die schärfste Ver¬
urteilung fand. Anstatt die erhoffte Erleichterung für den Verkehr zu finden,
sah man sich zwischen zwei Feiler genommen und überschüttete in der Blind¬
heit des Unmuts die verbündete Regierung mit noch heftigem Vorwürfen als
die fremde -- bis mau endlich die Absicht Preußens erkannte; da hielte"
einige mit dem offen ausgesprochnen Danke nicht zurück, andre aber meinte"
kleinlaut, daß mau daS doch nicht habe wisse" tonnen. Woher sollte man es
auch wissen? Aus falschen Voraussetzilugeu kann man keine richtigen Schlüsse
ziehen.


Holland und Deutschland

dem etwas, das sie als lcbeiidig wirkende Kraft in die Reibung der sich be¬
kämpfenden Gegensätze einstellen können.

Solange in Dentschland die seit dein Jahre 1871 eingeführte einheitliche
politische Ordnung noch nicht die Gewöhnung in den Gemütern gefunden hatte,
die notwendig ist, den Glauben an die Dauer des geschaffnen Zustands fest¬
zulegen, solange konnte man in den Niederlanden immer noch hoffen, daß
entweder über kurz oder lang ein Umschlag der Dinge zu ihren Gunsten ein¬
treten könnte, oder daß wenigstens ihre Weiterentwicklung derart sein würde,
daß sie der holländischen Zukunft nicht das Licht zu nehmen brauchte. Aber
seitdem dus neugegründete Reich immer fester geworden ist und immer tiefere
Wurzeln geschlagen hat, seitdem besonders das wirtschaftliche Lebe» in den
einen großen nationalen Strom znsanunengeflossen ist, der ans breitem und
starkem Rucken die Erzeugnisse deutschen Geistes und deutschen Fleißes ohne
Unterschied des Woher in die Welt hinausträgt und ungeahnten Gewinn
zurückbringt, da muß es dein holländischen Volke auch in seinen geistig tiefer
liegenden Schichten klar werden, daß neben einer solchen Kraftentfnltnng sein
Atem kürzer und kürzer werden muß.

Die zwingende Kraft der deutschen Volkswirtschaft rückt den Holländern
zusehends näher auf deu Leib. Die Art und Weise, wie die preußische Re¬
gierung die schon besprochnc Rheinschiffahrtskonvention von März des Jahres
1831 zu stände brachte, ist typisch für das in solchen Fällen von jeher be¬
obachtete Verfahren, Kann vernünftigen und gerechtfertigten Vorstellnnge»
kein Gehör verschafft werden, so mag die Wiedervergeltung aushelfen. Schon
Friedrich der Große hatte im Streit mit den seebeherrschenden Engländern
seinen Nachfolgern in der Regierung, die sonst vou ihm lernen wollten, gezeigt,
wie man auch an schwierigen Stellen, wo der Rechtsgang versagte, zu dem
seinigen kommen konnte. Nach den Bestimmungen der Wiener Kongreßakte
mußte auch Preußen, wenn die Schiffahrt auf dein Rheine frei sein sollte,
seineu sogenannten Stapel in Köln aufheben. Aber da Holland widerrechtlich
vorging, und da alle Verhandlungen, mochten sie direkt oder am Bundestage
geführt werden, zu nichts führten, so fuhr auch die preußische Regierung fort,
ihren Zoll in Köln weiter zu erheben und zwang dnrch diese konsequent durch¬
geführte Repressalie die Holländer zum endlichen Beilegen,

Interessant am Berlanf dieser Ereignisse ist noch der Umstand, daß das
Vorgehn Preußens bei deu Rheiuuferstaateu lind beim Bunde die schärfste Ver¬
urteilung fand. Anstatt die erhoffte Erleichterung für den Verkehr zu finden,
sah man sich zwischen zwei Feiler genommen und überschüttete in der Blind¬
heit des Unmuts die verbündete Regierung mit noch heftigem Vorwürfen als
die fremde — bis mau endlich die Absicht Preußens erkannte; da hielte»
einige mit dem offen ausgesprochnen Danke nicht zurück, andre aber meinte»
kleinlaut, daß mau daS doch nicht habe wisse» tonnen. Woher sollte man es
auch wissen? Aus falschen Voraussetzilugeu kann man keine richtigen Schlüsse
ziehen.


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[0218] Holland und Deutschland dem etwas, das sie als lcbeiidig wirkende Kraft in die Reibung der sich be¬ kämpfenden Gegensätze einstellen können. Solange in Dentschland die seit dein Jahre 1871 eingeführte einheitliche politische Ordnung noch nicht die Gewöhnung in den Gemütern gefunden hatte, die notwendig ist, den Glauben an die Dauer des geschaffnen Zustands fest¬ zulegen, solange konnte man in den Niederlanden immer noch hoffen, daß entweder über kurz oder lang ein Umschlag der Dinge zu ihren Gunsten ein¬ treten könnte, oder daß wenigstens ihre Weiterentwicklung derart sein würde, daß sie der holländischen Zukunft nicht das Licht zu nehmen brauchte. Aber seitdem dus neugegründete Reich immer fester geworden ist und immer tiefere Wurzeln geschlagen hat, seitdem besonders das wirtschaftliche Lebe» in den einen großen nationalen Strom znsanunengeflossen ist, der ans breitem und starkem Rucken die Erzeugnisse deutschen Geistes und deutschen Fleißes ohne Unterschied des Woher in die Welt hinausträgt und ungeahnten Gewinn zurückbringt, da muß es dein holländischen Volke auch in seinen geistig tiefer liegenden Schichten klar werden, daß neben einer solchen Kraftentfnltnng sein Atem kürzer und kürzer werden muß. Die zwingende Kraft der deutschen Volkswirtschaft rückt den Holländern zusehends näher auf deu Leib. Die Art und Weise, wie die preußische Re¬ gierung die schon besprochnc Rheinschiffahrtskonvention von März des Jahres 1831 zu stände brachte, ist typisch für das in solchen Fällen von jeher be¬ obachtete Verfahren, Kann vernünftigen und gerechtfertigten Vorstellnnge» kein Gehör verschafft werden, so mag die Wiedervergeltung aushelfen. Schon Friedrich der Große hatte im Streit mit den seebeherrschenden Engländern seinen Nachfolgern in der Regierung, die sonst vou ihm lernen wollten, gezeigt, wie man auch an schwierigen Stellen, wo der Rechtsgang versagte, zu dem seinigen kommen konnte. Nach den Bestimmungen der Wiener Kongreßakte mußte auch Preußen, wenn die Schiffahrt auf dein Rheine frei sein sollte, seineu sogenannten Stapel in Köln aufheben. Aber da Holland widerrechtlich vorging, und da alle Verhandlungen, mochten sie direkt oder am Bundestage geführt werden, zu nichts führten, so fuhr auch die preußische Regierung fort, ihren Zoll in Köln weiter zu erheben und zwang dnrch diese konsequent durch¬ geführte Repressalie die Holländer zum endlichen Beilegen, Interessant am Berlanf dieser Ereignisse ist noch der Umstand, daß das Vorgehn Preußens bei deu Rheiuuferstaateu lind beim Bunde die schärfste Ver¬ urteilung fand. Anstatt die erhoffte Erleichterung für den Verkehr zu finden, sah man sich zwischen zwei Feiler genommen und überschüttete in der Blind¬ heit des Unmuts die verbündete Regierung mit noch heftigem Vorwürfen als die fremde — bis mau endlich die Absicht Preußens erkannte; da hielte» einige mit dem offen ausgesprochnen Danke nicht zurück, andre aber meinte» kleinlaut, daß mau daS doch nicht habe wisse» tonnen. Woher sollte man es auch wissen? Aus falschen Voraussetzilugeu kann man keine richtigen Schlüsse ziehen.

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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/218>, abgerufen am 23.05.2024.