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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Holland und Deutschland

Falsche Voraussetzungen gehn ans der Subjektivität der Betrachtung
hervor, die in diesem Falle auf dein Mißtraue" gegen die eigne Kraft und
ans der Meinung beruht, das; der Wille des andern von denselben Beweg¬
gründen vorwärts gestoßen werde wie der eigne. Mai? hat in früherer Zeit,
und thut es vielfach auch jetzt uoch, Preuße" als den Staat der widerrecht¬
lichen und der unvermuteten Übergriffe angesehen, aber man kann kaum etwas
verkehrteres thun. Was den Staat Preußen ganz für sich allein angeht, so
ist er der der peinlichsten Ordnung und des sorgsamste" Staatshaushalts,
betrachtet mau ihn aber in seinen: Verhältnis zu ander", so springt das
Gewicht in die Augen, das ans das Recht und die Verträge gelegt wird.
Wenn man hierbei den Grundsatz festhält, daß der Staat wie jedes Lebewesen
die Notwendigkeit des Wachsens in sich trägt, so muß mau zugebe", daß
nirgends dieses Wachstum organischer vor sich geht als in Preußen. Es giebt
innerhalb "ud außerhalb Deutschlands keinen Staat, desse" zunehmende Kraft
in höher": Maße auf der llmsicht und der Vorsicht beruhte, sich das gleichartige
und darauf kommt es hier an -- durch Kauf-, Heirath- "ud Erbschafts¬
verträge anzugliedern.

Allerdings neben der Abschließung von Verträgen steht gleich, w"adlig ""d
stark, die bewaffnete Macht, .neben der Achtung vor dein Recht die Entschlossen¬
heit, es mit aller Kraft gegen jedermami zu behaupten. Es ist die Seite
Preußischen Wesens, die im Konflikt mit Holland wegen der Rheinzöllc hervor¬
getreten ist, aber durch sie wird keineswegs allem sein Charakter bestimmt.
Noch kommt dazu die starke und selbstbewußte Offensive, der Gegensatz oder
der Widerspruch der Meinung, als ob die jedesmal bestehende Ordnung als
Abschluß einer Entwicklung betrachtet werden müsse. Im Gegensatz zu Preußen
haben Beobachter von müßen die Deutschen gern als das Volk des in sich
beruhenden Quietismus betrachtet, der vom Schicksal vorzugsweise dazu be¬
stimmt ist, am Ufer des Stromes zu sitzen und sich ans dein Spiel seiner
Wellen das nötige Gedaukenmateriat heraufzuholen. Mögen sie damit Recht
gehabt haben oder uicht, jedenfalls ist es mit einer Zeit, die zu solchen Ge¬
danken und Betrachtungen Veranlassung gab, vorbei. Deutschland hat von
Preußen gelernt, oder es lernt vielmehr alle Tage mehr, mit starker Faust in
das ringsum flutende Leben hineingreifen und sich, wo es darf und kann,
sein Recht festlege".

Wie es ehedem thöricht war, Preußen bei allen möglichen Gelegenheiten
offen oder heimlich als den Störenfried Hinznsteilen, so würde es jetzt nicht
"unter verkehrt sein, zu glauben, daß Deutschland dem Bedürfnis seines innern
und seines üußeru Wachstums nicht mit aller Entschiedenheit Rechnung tragen
und sein Recht uicht, zumal ans eignem Boden, bis an die äußerste Möglich¬
kett vordrängen werde. Es ist das der Punkt, deu Volk und Regierung der
Niederlande nicht ernst genug erwägen können, wenn es sich um das Gefühl
der Kränkung und des Leides in deutscher Brust handelt, daß der deutsche
Strom nicht auch die deutsche Mündung hat. Es braucht nicht wiederholt zu


Holland und Deutschland

Falsche Voraussetzungen gehn ans der Subjektivität der Betrachtung
hervor, die in diesem Falle auf dein Mißtraue» gegen die eigne Kraft und
ans der Meinung beruht, das; der Wille des andern von denselben Beweg¬
gründen vorwärts gestoßen werde wie der eigne. Mai? hat in früherer Zeit,
und thut es vielfach auch jetzt uoch, Preuße» als den Staat der widerrecht¬
lichen und der unvermuteten Übergriffe angesehen, aber man kann kaum etwas
verkehrteres thun. Was den Staat Preußen ganz für sich allein angeht, so
ist er der der peinlichsten Ordnung und des sorgsamste» Staatshaushalts,
betrachtet mau ihn aber in seinen: Verhältnis zu ander», so springt das
Gewicht in die Augen, das ans das Recht und die Verträge gelegt wird.
Wenn man hierbei den Grundsatz festhält, daß der Staat wie jedes Lebewesen
die Notwendigkeit des Wachsens in sich trägt, so muß mau zugebe», daß
nirgends dieses Wachstum organischer vor sich geht als in Preußen. Es giebt
innerhalb »ud außerhalb Deutschlands keinen Staat, desse» zunehmende Kraft
in höher»: Maße auf der llmsicht und der Vorsicht beruhte, sich das gleichartige
und darauf kommt es hier an — durch Kauf-, Heirath- »ud Erbschafts¬
verträge anzugliedern.

Allerdings neben der Abschließung von Verträgen steht gleich, w»adlig »»d
stark, die bewaffnete Macht, .neben der Achtung vor dein Recht die Entschlossen¬
heit, es mit aller Kraft gegen jedermami zu behaupten. Es ist die Seite
Preußischen Wesens, die im Konflikt mit Holland wegen der Rheinzöllc hervor¬
getreten ist, aber durch sie wird keineswegs allem sein Charakter bestimmt.
Noch kommt dazu die starke und selbstbewußte Offensive, der Gegensatz oder
der Widerspruch der Meinung, als ob die jedesmal bestehende Ordnung als
Abschluß einer Entwicklung betrachtet werden müsse. Im Gegensatz zu Preußen
haben Beobachter von müßen die Deutschen gern als das Volk des in sich
beruhenden Quietismus betrachtet, der vom Schicksal vorzugsweise dazu be¬
stimmt ist, am Ufer des Stromes zu sitzen und sich ans dein Spiel seiner
Wellen das nötige Gedaukenmateriat heraufzuholen. Mögen sie damit Recht
gehabt haben oder uicht, jedenfalls ist es mit einer Zeit, die zu solchen Ge¬
danken und Betrachtungen Veranlassung gab, vorbei. Deutschland hat von
Preußen gelernt, oder es lernt vielmehr alle Tage mehr, mit starker Faust in
das ringsum flutende Leben hineingreifen und sich, wo es darf und kann,
sein Recht festlege».

Wie es ehedem thöricht war, Preußen bei allen möglichen Gelegenheiten
offen oder heimlich als den Störenfried Hinznsteilen, so würde es jetzt nicht
"unter verkehrt sein, zu glauben, daß Deutschland dem Bedürfnis seines innern
und seines üußeru Wachstums nicht mit aller Entschiedenheit Rechnung tragen
und sein Recht uicht, zumal ans eignem Boden, bis an die äußerste Möglich¬
kett vordrängen werde. Es ist das der Punkt, deu Volk und Regierung der
Niederlande nicht ernst genug erwägen können, wenn es sich um das Gefühl
der Kränkung und des Leides in deutscher Brust handelt, daß der deutsche
Strom nicht auch die deutsche Mündung hat. Es braucht nicht wiederholt zu


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[0219] Holland und Deutschland Falsche Voraussetzungen gehn ans der Subjektivität der Betrachtung hervor, die in diesem Falle auf dein Mißtraue» gegen die eigne Kraft und ans der Meinung beruht, das; der Wille des andern von denselben Beweg¬ gründen vorwärts gestoßen werde wie der eigne. Mai? hat in früherer Zeit, und thut es vielfach auch jetzt uoch, Preuße» als den Staat der widerrecht¬ lichen und der unvermuteten Übergriffe angesehen, aber man kann kaum etwas verkehrteres thun. Was den Staat Preußen ganz für sich allein angeht, so ist er der der peinlichsten Ordnung und des sorgsamste» Staatshaushalts, betrachtet mau ihn aber in seinen: Verhältnis zu ander», so springt das Gewicht in die Augen, das ans das Recht und die Verträge gelegt wird. Wenn man hierbei den Grundsatz festhält, daß der Staat wie jedes Lebewesen die Notwendigkeit des Wachsens in sich trägt, so muß mau zugebe», daß nirgends dieses Wachstum organischer vor sich geht als in Preußen. Es giebt innerhalb »ud außerhalb Deutschlands keinen Staat, desse» zunehmende Kraft in höher»: Maße auf der llmsicht und der Vorsicht beruhte, sich das gleichartige und darauf kommt es hier an — durch Kauf-, Heirath- »ud Erbschafts¬ verträge anzugliedern. Allerdings neben der Abschließung von Verträgen steht gleich, w»adlig »»d stark, die bewaffnete Macht, .neben der Achtung vor dein Recht die Entschlossen¬ heit, es mit aller Kraft gegen jedermami zu behaupten. Es ist die Seite Preußischen Wesens, die im Konflikt mit Holland wegen der Rheinzöllc hervor¬ getreten ist, aber durch sie wird keineswegs allem sein Charakter bestimmt. Noch kommt dazu die starke und selbstbewußte Offensive, der Gegensatz oder der Widerspruch der Meinung, als ob die jedesmal bestehende Ordnung als Abschluß einer Entwicklung betrachtet werden müsse. Im Gegensatz zu Preußen haben Beobachter von müßen die Deutschen gern als das Volk des in sich beruhenden Quietismus betrachtet, der vom Schicksal vorzugsweise dazu be¬ stimmt ist, am Ufer des Stromes zu sitzen und sich ans dein Spiel seiner Wellen das nötige Gedaukenmateriat heraufzuholen. Mögen sie damit Recht gehabt haben oder uicht, jedenfalls ist es mit einer Zeit, die zu solchen Ge¬ danken und Betrachtungen Veranlassung gab, vorbei. Deutschland hat von Preußen gelernt, oder es lernt vielmehr alle Tage mehr, mit starker Faust in das ringsum flutende Leben hineingreifen und sich, wo es darf und kann, sein Recht festlege». Wie es ehedem thöricht war, Preußen bei allen möglichen Gelegenheiten offen oder heimlich als den Störenfried Hinznsteilen, so würde es jetzt nicht "unter verkehrt sein, zu glauben, daß Deutschland dem Bedürfnis seines innern und seines üußeru Wachstums nicht mit aller Entschiedenheit Rechnung tragen und sein Recht uicht, zumal ans eignem Boden, bis an die äußerste Möglich¬ kett vordrängen werde. Es ist das der Punkt, deu Volk und Regierung der Niederlande nicht ernst genug erwägen können, wenn es sich um das Gefühl der Kränkung und des Leides in deutscher Brust handelt, daß der deutsche Strom nicht auch die deutsche Mündung hat. Es braucht nicht wiederholt zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/219>, abgerufen am 11.05.2024.